"Es waren schöne, glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte..."
"Vorwärts in die Vergangenheit!"
Der Sehnsucht nach Wiederherstellung eines früheren Zustands der Welt oder zumindest der Gesellschaft, in der man lebt, tut das jedoch keinen Abbruch. Und fast immer geht die rückwärtsgewandte Sehnsucht einher mit einer unsachlichen Verklärung des Status quo ante.
Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Anfang des Fragments "Die Christenheit oder Europa", das der Frühromantiker Novalis 1799 geschrieben hat.
1000 Jahre Deutschland – ich gebe euch nicht her!" – lautet ein Seufzer Höckes, der Geschichtskitsch mit völkischem Denken vermischt.
Mit weit größeren globalen Konsequenzen verfolgt wiederum US-Präsident Donald Trump seine leitende Idee "Make America great again". Allerdings sind die angeblich guten alten Zeiten als solche gar nicht der wichtigste Grund ihrer Verherrlichung. Erst das Missbehagen an der Gegenwart, am Tempo nicht nur des technischen Wandels und an der Unberechenbarkeit der Zukunft lässt die Vergangenheit zum Sehnsuchtsort werden.
Rückzug in die Vergangenheit
Wer sich dagegen in der politischen Sphäre für alte Ordnungen, abgehangene Konzepte und stabile Traditionen stark macht, hat eine Sehnsucht nach Vergangenem, die ernster zu nehmen ist als Retro-Moden. Der amerikanische Politikwissenschaftler Mark Lilla besteht in seinem Werk "Der Glanz der Vergangenheit" auf einer harten Unterscheidung von Konservativen und Reaktionären.
Für Lilla sind Reaktionäre, anders als vorsichtig reformwillige Konservative, genauso radikal wie Revolutionäre – nur dass sie sich auf der Zeitachse in die entgegengesetzte Richtung orientieren.
"Der reaktionäre Geist ist ein schiffbrüchiger Geist. Wo andere den Strom der Zeit fließen sehen wie eh und je, meint der Reaktionär die Bruchstücke des Paradieses zu erkennen, die an ihm vorbeischwimmen. Der Revolutionär sieht eine strahlende Zukunft, die den anderen verborgen ist, und dieses Bild beflügelt ihn. Der Reaktionär denkt sich immun gegenüber den modernen Lügen, sieht die Vergangenheit in all ihrer Glorie, und auch ihn beflügelt ein Bild."
Fundamentalistische Muslime und ihr Goldenes Zeitalter
Aus ihrer Sicht, so Lilla, ist durch den modernen Säkularismus, Individualismus und Materialismus ein neues Heidentum entstanden, gegen das man nicht weniger streng vorgehen müsse wie einst der Prophet gegen das alte Heidentum.
"Er machte keine Kompromisse. Er gab sich nicht liberal. Er wollte keine Demokratie. Er strebte nicht nach Entwicklung. Er sprach Gottes Wort und gab sein Gesetz weiter, und wir (die Muslime) müssen seinem heiligen Beispiel folgen. Sobald dies getan ist, wird das glorreiche Zeitalter des Propheten wiederkehren und mit ihm seine Gefährten. Inschallah."
Für Revolutionäre liegt das Ziel in der Zukunft
Ihre Phantasie von einem paradiesischen Retropia fällt ungerührt hinter Heraklits Erkenntnis zurück, man könne nicht zweimal im selben Fluss baden. Politische Nostalgie von dieser Sorte, so pointiert es Lilla, "offenbart eine Form magischen Denkens im Hinblick auf die Geschichte".
Weil aber gerade Vernunft, Aufklärung und Freiheitsstreben von den Reaktionären für den misslichen Geschichtsverlauf mitverantwortlich gemacht werden, dürfte ihnen dieser Vorwurf schnuppe sein.