Sehnsucht nach Gemeinschaft
In dieser Essaysammlung aus über 20 Jahren erzählt der Schriftsteller György Konrád von seinem Leben, dessen Erschütterungen in jedem Kapitel spürbar sind. Als ungarischer Jude, Jahrgang 1933, musste er miterleben, wie ein Teil seiner Landsleute zu willigen Helfern der Nazis wurde.
"Über Juden", so der zurückhaltende Titel des Bandes, ist das Protokoll einer Sinnsuche. Wer ist György Konrád? Wer ist er? Genauer: Wer will er sein? So steht der entscheidende Satz gleich zu Anfang des Bandes. Als "jemand, den die Vorsehung zum Kind eines jüdischen Menschenpaares gemacht hat" wird er "unweigerlich" mit der Frage konfrontiert, "ob er sich selbst akzeptieren" kann? Denn, er hat ja die Wahl: Ob er sich dafür entscheiden will, der zu sein "als der er geboren wurde"? Oder ob er sich "nicht besser befreien sollte"?
Aufhören sollte, sich als Jude zu empfinden. Nicht überraschend: Konrad, der nicht religiöse Jude, entscheidet sich dafür, sein Schicksal anzunehmen, und spürt nun den intellektuellen Folgen dieser Entscheidung nach.
Seine Anmerkungen und Bekenntnisse in dieser Essaysammlung aus über zwanzig Jahren mag man teilen oder nicht: sie sind in jedem Fall ehrlich und regen zum Nachdenken an. Denn es ist die Geschichte seines Lebens, dessen Erschütterungen in jedem Kapitel spürbar sind. Ein ungarischer Jude, Jahrgang 1933, der das Dritte Reich überlebte, der erlebte, wie die so genannten "Pfeilkreuzler", also ungarischen Landsleute, geprägt von einer kruden Mischung aus Katholizismus und Faschismus, mit Begeisterung den Nazis die entscheidende Hilfe waren, 400.000 ungarische Juden zu ermorden.
Der heute von Israel träumt, sich aber entschieden hat, weiterhin in Ungarn zu leben. Und das, obwohl in keinem anderen Land der Europäischen Gemeinschaft so offen und politisch einflussreich rassistische Hetze und antisemtische Agitation betrieben wird. Wen wundert´s, dass sich Konrád u.a. als Außenseiter fühlt. Was bedeutet das in seinem Fall?
Die Antwort lässt sich lapidar und lakonisch zusammenfassen. Es ist ein jüdischer Beruf. Gepaart mit der Sehnsucht nach Gemeinschaft. Individualisten, die das Kollektiv brauchen, um nicht zu vereinsamen. Ähnlich sieht er den Staat Israel. Dieser habe es geschafft, als Staat ein Außenseiter zu sein.
An vielen Stellen, so auch hier, hätte man sich präziesere Ausführungen gewünscht. Aber vieleicht schreckte er auch vor den Konsequenzen zurück, die er zaghaft andenkt, sodann in den Kontext seines Lebens stellt - und die doch irgendwie Bruchstücke bleiben. So stoppt er die weitere Reflexion, wenn er zum Beispiel warnt, dass, wenn "der Fundamentalismus in Israel (weiter) die Oberhand gewinnt, dann ... wird es mit den Juden in aller Welt nicht mehr viel Kommunikation geben."
Der Weltbürger Konrád: der leidenschaftliche Europäer, der mit Entsetzen seinem Vaterland Ungarn treu bleibt, der nicht religiös ist und doch die Religiösen beneidet, der Israel verteidigt, als wäre er Netanjahus Pressesprecher und sich dennoch unausgesprochen Sorgen über dessen Zukunft macht und letztlich froh ist, ein intellektueller und jüdischer Individualist zu sein, der die Gemeinschaft der Grenzen sprengenden Außenseiter sucht - nicht nur die der jüdischen.
Es wäre wunderbar, wenn er in seinem nächsten Buch diesem Phänomen in all ihrer Widersprüchlichkeit nachginge. Immerhin regt er mit seinen einfühlenden Erzählungen den Leser an, solche Gedanken weiter zu spinnen. Der vorliegende Band lässt manches offen, aber er schickt den Leser auf seine ganz eigene Entdeckungsreise.
Besprochen von Günther B. Ginzel
György Konrád: Über Juden
Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke
Suhrkamp, Berlin, 2012,
246 Seiten, 21,95 Euro
Aufhören sollte, sich als Jude zu empfinden. Nicht überraschend: Konrad, der nicht religiöse Jude, entscheidet sich dafür, sein Schicksal anzunehmen, und spürt nun den intellektuellen Folgen dieser Entscheidung nach.
Seine Anmerkungen und Bekenntnisse in dieser Essaysammlung aus über zwanzig Jahren mag man teilen oder nicht: sie sind in jedem Fall ehrlich und regen zum Nachdenken an. Denn es ist die Geschichte seines Lebens, dessen Erschütterungen in jedem Kapitel spürbar sind. Ein ungarischer Jude, Jahrgang 1933, der das Dritte Reich überlebte, der erlebte, wie die so genannten "Pfeilkreuzler", also ungarischen Landsleute, geprägt von einer kruden Mischung aus Katholizismus und Faschismus, mit Begeisterung den Nazis die entscheidende Hilfe waren, 400.000 ungarische Juden zu ermorden.
Der heute von Israel träumt, sich aber entschieden hat, weiterhin in Ungarn zu leben. Und das, obwohl in keinem anderen Land der Europäischen Gemeinschaft so offen und politisch einflussreich rassistische Hetze und antisemtische Agitation betrieben wird. Wen wundert´s, dass sich Konrád u.a. als Außenseiter fühlt. Was bedeutet das in seinem Fall?
Die Antwort lässt sich lapidar und lakonisch zusammenfassen. Es ist ein jüdischer Beruf. Gepaart mit der Sehnsucht nach Gemeinschaft. Individualisten, die das Kollektiv brauchen, um nicht zu vereinsamen. Ähnlich sieht er den Staat Israel. Dieser habe es geschafft, als Staat ein Außenseiter zu sein.
An vielen Stellen, so auch hier, hätte man sich präziesere Ausführungen gewünscht. Aber vieleicht schreckte er auch vor den Konsequenzen zurück, die er zaghaft andenkt, sodann in den Kontext seines Lebens stellt - und die doch irgendwie Bruchstücke bleiben. So stoppt er die weitere Reflexion, wenn er zum Beispiel warnt, dass, wenn "der Fundamentalismus in Israel (weiter) die Oberhand gewinnt, dann ... wird es mit den Juden in aller Welt nicht mehr viel Kommunikation geben."
Der Weltbürger Konrád: der leidenschaftliche Europäer, der mit Entsetzen seinem Vaterland Ungarn treu bleibt, der nicht religiös ist und doch die Religiösen beneidet, der Israel verteidigt, als wäre er Netanjahus Pressesprecher und sich dennoch unausgesprochen Sorgen über dessen Zukunft macht und letztlich froh ist, ein intellektueller und jüdischer Individualist zu sein, der die Gemeinschaft der Grenzen sprengenden Außenseiter sucht - nicht nur die der jüdischen.
Es wäre wunderbar, wenn er in seinem nächsten Buch diesem Phänomen in all ihrer Widersprüchlichkeit nachginge. Immerhin regt er mit seinen einfühlenden Erzählungen den Leser an, solche Gedanken weiter zu spinnen. Der vorliegende Band lässt manches offen, aber er schickt den Leser auf seine ganz eigene Entdeckungsreise.
Besprochen von Günther B. Ginzel
György Konrád: Über Juden
Aus dem Ungarischen von Hans-Henning Paetzke
Suhrkamp, Berlin, 2012,
246 Seiten, 21,95 Euro