Sehnsucht nach Schönheit
Beinahe 20 Jahre ist es her, dass in Deutschland die erste und bislang einzige Retrospektive des italienischen Malers Amedeo Modigliani zu sehen gewesen war. Das erscheint verblüffend angesichts der Bekanntheit und Beliebtheit des Künstlers, dessen Portraits auf Postkarten, Kunstkalendern und Postern massenhaft verbreitet sind. Die Bundeskunsthalle in Bonn zeigt jetzt nicht nur Gemälde, sondern auch wenig bekannte Zeichnungen und einige der äußerst raren Skulpturen.
Lang, lang und schlank ist der Hals, auf dem das schmale Oval des Gesichts schwebt. Mit wenigen markanten Linien ist es erfasst. Eine einzige beschreibt die Augenbrauen und die Nase, der Mund ist klein und leuchtend rot, die Augen sind mandelförmig - und leer.
Nicht auf ein Bild der Bonner Ausstellung trifft diese Beschreibung zu, sondern auf eine ganze Reihe. Das Frauenportrait von Amedeo Modigliani, eine Chiffre der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, eine Ikone der Moderne. So zu bezeichnen nicht nur wegen der Verehrung und Bewunderung, die ihr entgegengebracht werden, sondern weil der Künstler in der frontalen Darstellung, im vorherrschenden Format des Brustbilds und in der geheimnisvollen, entrückten Aura der Dargestellten tatsächlich viele Merkmale dieses Andachtsbildes aufgriff.
Amdeo Modigliani - dieser Name gehört zu denen, die einen Chip einrasten lassen im Bildgedächtnis kunstinteressierter Menschen und sofort eine Vorstellung erzeugen. Dass vieles von dem, was man zu kennen und wissen glaubt, aber nur auf einem pauschalen Vorurteil beruht, das kann man jetzt in der Bonner Ausstellung erleben. Die zeigt nämlich auch, wie Modigliani erst zu Modigliani wurde. Susanne Kleine, Projektleiterin der Schau, berichtet, dass das Frühwerk selbst für sie eine Überraschung darstellte.
"Das ist hochspannend zu sehen, wie sehr er gesucht und ausprobiert hat, wie er geschaut hat, wo ist sein Weg, wo kann er sich abgrenzen, das leistet die Ausstellung, dass sie nicht das Klischee liefert, das ist auch zu sehen, aber sie bettet es ein in sein Gesamtwerk und spiegelt es noch mal."
Schon ganz am Anfang spielt das Portrait offenbar eine wichtige Rolle, spätimpressionistische Lichtspiele huschen über zartfarbige Frauenköpfe. Die ersten Bildnisse der Ausstellung sind Arbeiten eines Sechzehnjährigen, dem seine vermögenden Eltern Privatunterricht erteilen lassen und der unterwegs im Süden Italiens seine Begeisterung für die Kunst entdeckt. Eigentlich sollten diese Reisen seine Gesundheit festigen, denn schon als Junge leidet Modigliani an Tuberkulose - einer Krankheit, der er mit 35 zum Opfer fallen wird.
Nach dem Studium in Venedig kommt er 1906 nach Paris.
Paris ist vor dem Ersten Weltkrieg die Hauptstadt der Avantgarde. Modigliani lernt Picasso kennen, setzt sich mit den verschiedensten aktuellen Kunstströmungen auseinander, ohne einer Gruppe anzugehören.
"Er lässt sich nicht zuordnen, das macht auch die Faszination aus, die Nicht-Fassbarkeit, man kann eben nicht sagen, er ist ein Kubist und damit ist das Thema erledigt, er ist eben Modigliani, das heißt, man muss immer sein Werk eingebettet in die Zeit sehen, er nimmt jede Tendenz wahr. Sie spiegelt sich auch immer wieder in seinem Werk, seine Liebe zu Cezanne, die kubistischen Elemente, sie sehen immer was von den Hauptströmungen, aber er ist eine ganz singuläre Figur."
Wie Modigliani dann den Durchbruch zur eigenen Form und zum persönlichen Ausdruck schafft, das lässt einen die Ausstellung, die von Christoph Vitali und Susanne Kleine gemeinsam kuratiert wurde, ganz direkt nacherleben. Es ist die aufregendste Station des Rundgangs. 1910 beschäftigt sich Modigliani geradezu obsessiv mit Karyatiden, weiblichen Figuren aus der Tradition der Bauplastik. Immer weiter abstrahiert er die Umrisse des Körpers, nimmt ihm das Volumen, reduziert ihn auf die Linie. Die Beschäftigung mit afrikanischer Kunst bringt das Element des Maskenhaften, Archetypischen in die Zeichnungen, und so findet Modigliani zu seinem Stil, der radikale Vereinfachung mit großer formaler Ausgewogenheit verbindet. Zehn Jahre bleiben ihm da noch für sein reifes Werk, das auch in dieser Schau dominiert ist von Frauenportraits.
Und da hält die Ausstellung in der Begegnung mit den Originalen, von denen viele aus Privatbesitz stammen und unverglast gezeigt werden, eine zweite Überraschung bereit. Modigliani hat sich ganz verschiedener malerischer Handschriften bedient, Konsistenz und Auftrag der Farbe, Ausdruck des Pinselstrichs variieren, tragen zur Charakteristik der dargestellten Person ebenso viel bei wie die Farbkomposition und die Gestaltung der Gesichtszüge. So leicht es ist, den Künstler in der Erinnerung auf einen Prototyp zu reduzieren, so reich, lebendig und individuell zeigt sich das Werk im Original. Bei einem Künstler, der so massenhaft in Reproduktionen verbreitet ist wie Modigliani, schon ein guter Grund, nach Bonn zu reisen. Und sich einzulassen auf den ganz eigenen Reiz dieser Bilder, deren großen Erfolg beim Publikum der Maler vielleicht noch ahnen, aber nicht mehr erleben konnte. Gleich nach seinem frühen Tod 1920 begann ihr Siegeszug. Denn in den rätselhaften, verletzlichen, unnahbar, traumverloren und der Zeit enthoben in sich hineinblickenden Wesen suchten die Menschen Halt in einer Epoche, die in traumatischen Kriegserfahrungen und einer radikal beschleunigten Modernisierung aus den Fugen geriet. Und vielleicht begründet das Modiglianis anhaltende Beliebtheit bis heute.
"Ich denke, dass in dieser anmutigen, poetischen, melancholischen Form, dass man sich da wiedergefunden hat, und eine Sehnsucht nach Schönheit gespiegelt wird. Dass man in diesen schönen, formal ruhigen Bildern einen Ruhepol findet in einer zerrissenen und auseinanderstrebenden Welt, das ist bei ihm sehr stark zu finden."
Info:
Modigliani
Bundeskunsthalle Bonn
17.4.-30.8.09
Di+mi 10-21, do-so 10-19
www.bundeskunsthalle.de
Nicht auf ein Bild der Bonner Ausstellung trifft diese Beschreibung zu, sondern auf eine ganze Reihe. Das Frauenportrait von Amedeo Modigliani, eine Chiffre der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, eine Ikone der Moderne. So zu bezeichnen nicht nur wegen der Verehrung und Bewunderung, die ihr entgegengebracht werden, sondern weil der Künstler in der frontalen Darstellung, im vorherrschenden Format des Brustbilds und in der geheimnisvollen, entrückten Aura der Dargestellten tatsächlich viele Merkmale dieses Andachtsbildes aufgriff.
Amdeo Modigliani - dieser Name gehört zu denen, die einen Chip einrasten lassen im Bildgedächtnis kunstinteressierter Menschen und sofort eine Vorstellung erzeugen. Dass vieles von dem, was man zu kennen und wissen glaubt, aber nur auf einem pauschalen Vorurteil beruht, das kann man jetzt in der Bonner Ausstellung erleben. Die zeigt nämlich auch, wie Modigliani erst zu Modigliani wurde. Susanne Kleine, Projektleiterin der Schau, berichtet, dass das Frühwerk selbst für sie eine Überraschung darstellte.
"Das ist hochspannend zu sehen, wie sehr er gesucht und ausprobiert hat, wie er geschaut hat, wo ist sein Weg, wo kann er sich abgrenzen, das leistet die Ausstellung, dass sie nicht das Klischee liefert, das ist auch zu sehen, aber sie bettet es ein in sein Gesamtwerk und spiegelt es noch mal."
Schon ganz am Anfang spielt das Portrait offenbar eine wichtige Rolle, spätimpressionistische Lichtspiele huschen über zartfarbige Frauenköpfe. Die ersten Bildnisse der Ausstellung sind Arbeiten eines Sechzehnjährigen, dem seine vermögenden Eltern Privatunterricht erteilen lassen und der unterwegs im Süden Italiens seine Begeisterung für die Kunst entdeckt. Eigentlich sollten diese Reisen seine Gesundheit festigen, denn schon als Junge leidet Modigliani an Tuberkulose - einer Krankheit, der er mit 35 zum Opfer fallen wird.
Nach dem Studium in Venedig kommt er 1906 nach Paris.
Paris ist vor dem Ersten Weltkrieg die Hauptstadt der Avantgarde. Modigliani lernt Picasso kennen, setzt sich mit den verschiedensten aktuellen Kunstströmungen auseinander, ohne einer Gruppe anzugehören.
"Er lässt sich nicht zuordnen, das macht auch die Faszination aus, die Nicht-Fassbarkeit, man kann eben nicht sagen, er ist ein Kubist und damit ist das Thema erledigt, er ist eben Modigliani, das heißt, man muss immer sein Werk eingebettet in die Zeit sehen, er nimmt jede Tendenz wahr. Sie spiegelt sich auch immer wieder in seinem Werk, seine Liebe zu Cezanne, die kubistischen Elemente, sie sehen immer was von den Hauptströmungen, aber er ist eine ganz singuläre Figur."
Wie Modigliani dann den Durchbruch zur eigenen Form und zum persönlichen Ausdruck schafft, das lässt einen die Ausstellung, die von Christoph Vitali und Susanne Kleine gemeinsam kuratiert wurde, ganz direkt nacherleben. Es ist die aufregendste Station des Rundgangs. 1910 beschäftigt sich Modigliani geradezu obsessiv mit Karyatiden, weiblichen Figuren aus der Tradition der Bauplastik. Immer weiter abstrahiert er die Umrisse des Körpers, nimmt ihm das Volumen, reduziert ihn auf die Linie. Die Beschäftigung mit afrikanischer Kunst bringt das Element des Maskenhaften, Archetypischen in die Zeichnungen, und so findet Modigliani zu seinem Stil, der radikale Vereinfachung mit großer formaler Ausgewogenheit verbindet. Zehn Jahre bleiben ihm da noch für sein reifes Werk, das auch in dieser Schau dominiert ist von Frauenportraits.
Und da hält die Ausstellung in der Begegnung mit den Originalen, von denen viele aus Privatbesitz stammen und unverglast gezeigt werden, eine zweite Überraschung bereit. Modigliani hat sich ganz verschiedener malerischer Handschriften bedient, Konsistenz und Auftrag der Farbe, Ausdruck des Pinselstrichs variieren, tragen zur Charakteristik der dargestellten Person ebenso viel bei wie die Farbkomposition und die Gestaltung der Gesichtszüge. So leicht es ist, den Künstler in der Erinnerung auf einen Prototyp zu reduzieren, so reich, lebendig und individuell zeigt sich das Werk im Original. Bei einem Künstler, der so massenhaft in Reproduktionen verbreitet ist wie Modigliani, schon ein guter Grund, nach Bonn zu reisen. Und sich einzulassen auf den ganz eigenen Reiz dieser Bilder, deren großen Erfolg beim Publikum der Maler vielleicht noch ahnen, aber nicht mehr erleben konnte. Gleich nach seinem frühen Tod 1920 begann ihr Siegeszug. Denn in den rätselhaften, verletzlichen, unnahbar, traumverloren und der Zeit enthoben in sich hineinblickenden Wesen suchten die Menschen Halt in einer Epoche, die in traumatischen Kriegserfahrungen und einer radikal beschleunigten Modernisierung aus den Fugen geriet. Und vielleicht begründet das Modiglianis anhaltende Beliebtheit bis heute.
"Ich denke, dass in dieser anmutigen, poetischen, melancholischen Form, dass man sich da wiedergefunden hat, und eine Sehnsucht nach Schönheit gespiegelt wird. Dass man in diesen schönen, formal ruhigen Bildern einen Ruhepol findet in einer zerrissenen und auseinanderstrebenden Welt, das ist bei ihm sehr stark zu finden."
Info:
Modigliani
Bundeskunsthalle Bonn
17.4.-30.8.09
Di+mi 10-21, do-so 10-19
www.bundeskunsthalle.de