Sehnsucht nach Shanghai
Xujü Yang arbeitet für die größte chinesische Staatsreederei. Von Hamburg aus organisiert er den gesamten europäischen Containerverkehr. Zwar schätzt er die Vorzüge der Hansestadt, doch richtig zu Hause fühlt er sich hier nicht.
Es riecht nach Bratfisch und Räucheraal, Xujü Yang lehnt eingerahmt auf dem schmalen, rotbraunen Sofa in einem kleinen Hafenimbiss. Rechts: Hans Albers, links: ein Rettungsring. Hinter Yang an der Wand: Fotos von Dampf- und Segelschiffen, der Hafen vor 60, 70, 80 Jahren. Draußen, in fünf Metern Entfernung schwappt die grün-braune Elbe an die Landungsbrücken. Hier fühlt Herr Yang sich wohl.
"Ja, mein Lieblingsplatz ist der Hafen! Immerhin war ich vor zehn Jahren noch selber Seemann. Ich hab auf Schiffen gearbeitet, rund um den Globus. Das schafft einfach Verbundenheit, mit dem Wasser, dem Hafen. Und wenn ich also Zeit habe, dann gehe ich hier spazieren, am Wasser entlang, den Hafen im Blick."
Der Chinese blättert in der Speisekarte, wählt Cappuccino. Viel zu zögerlich hebt er den Zeigefinger, die Bedienung übersieht ihn. Beim zweiten Anlauf klappt es. - Herr Yang schwärmt von seiner Ankunft in Hamburg, ein Jahr ist das her: anders als in anderen Städten gibt es hier ein "Welcome Center" für Fach- und Führungskräfte. Untergebracht im noblen Rathaus gibt es hier Hilfe für Hamburger Neubürger:
"Das ist wirklich sehr bequem! Man kommt da als Ausländer hin und alles wird auf einen Schlag erledigt. Das ist soviel einfacher als anderswo! Ich kenne Geschichten aus anderen Städten, wo man zu ganz verschiedenen Behörden muss, verteilt über die ganze Stadt. Hier anzukommen war für mich also wirklich kein Problem."
Er nickt in Richtung Fenster, zu den riesigen Containerbrücken und den Schiffen auf der anderen Flussseite. Mit Anfang 20 begann er seine Karriere als einfacher Seemann auf Containerschiffen. Oft war er wochenlang auf See. Dann studiert er Nautik in Shanghai und findet einen Job bei "Cosco", der größten chinesischen Staats-Reederei. Sein heutiger Beruf nennt sich: BPS:
"Business, Process and System Information Service. Immerhin sind auf den Weltmeeren unzählige Container unterwegs. Und wir brauchen einfach ein gut entwickeltes System, um diese Millionen Container im Blick zu behalten. Und ich bin da zuständig für den gesamten europäischen Raum, ich sorge dafür, technische Probleme schnell zu lösen und unseren Geschäftspartnern die Informationen zu liefern, die sie brauchen."
Herr Yang lächelt, er lächelt viel. Sein dunkelgrauer Anzug sitzt perfekt, die schwarzgeputzten Lederschuhe sind elegant, nicht extravagant. Ein sportlicher Typ, mit breiten Schultern. Seine Frau und die zweijährige Tochter, erzählt Yang, leben in Shanghai. Diesen Sommer haben sie gemeinsam verlebt, im Hamburger Umland und in Süddeutschland. Jetzt ist wieder die Sehnsucht da, nach der Familie und dem heimischen Essen:
"Das exzellente Essen in Shanghai vermisse ich sehr. Denn ehrlich gesagt: Hier ist es schon sehr schwierig, ein wirklich köstliches Essen zu finden. - Aber es liegt nicht an der deutschen Küche, die französische oder italienische habe ich auch probiert und eins ist klar: Ich bevorzuge asiatisches Essen!"
Draußen schiebt sich ein voll beladener Containerfrachter über die Elbe, Herr Yang schaut zu - und lächelt. Einen Deutschkurs will er im Moment nicht machen. Denn wie lange er bleibt, ist unklar und abhängig von seinen Vorgesetzten. Und auf Englisch kann er sich gut verständigen:
"In China an der Universität denkt niemand daran, Deutsch zu lernen … Die meisten lernen Englisch. Und die Aussprache im Deutschen ist ganz anders als das Englische. Dazu noch diese wahnsinnig langen Wörter. Mit so vielen Buchstaben ... Die muss man erst mal behalten!"
Mit schnellen Schlucken trinkt er seinen Cappuccino, schaut auf die Uhr, wischt sich einen Klecks Milchschaum von der Oberlippe. Er muss los ins Büro.
Zehn Minuten entfernt liegt der futuristische Cosco-Bau: innen ein kleiner Lichthof, viel Stahl, zwei gläserne Aufzüge. Yang Xujü fährt in den dritten Stock, begrüßt seinen Kollegen. 200 Menschen arbeiten für Cosco in Hamburg, nur 20 stammen aus China. Im Büro wirft Herr Yang einen kurzen Blick auf den Monitor, setzt sich an seinen aufgeräumten Schreibtisch, greift zum Telefon. - Ein Stockwerk höher arbeitet Christine Stock. Die Assistentin der Geschäftsführung ist studierte Sinologin, 42 Jahre alt. Sie hilft beim Neustart der Chinesen in Hamburg, bei Arztbesuchen und Schulwahl und sie weiß, was die Chinesen an Deutschland am meisten überrascht:
"Ja, die wundern sich, wenn sie ganz neu kommen, dass hier nicht so viel los ist. Dass es eher leer auf den Straßen ist. Dass die Geschäfte nicht immer offen haben, an Wochenenden und abends nach acht."
Christine Stock wippt im Bürostuhl leicht vor und zurück. Bei Cosco, sagt sie, machen sich die kulturellen Unterschiede oft bemerkbar: Dann wird – von chinesischer Seite - die deutsche Direktheit schnell als schroffer Vorwurf verstanden. Und anders herum interpretieren einige deutsche Kollegen die Zurückhaltung, das Höfliche und das etwas Steife im Umgang mit einem Chinesen oft falsch.
"Die Chinesen sind sehr spontan. Und nicht so durchorganisiert wie geplant wie die Deutschen. Bei der alltäglichen Arbeit. Dass dann oft mal die Deutschen denken: Oh, oh, das hätte aber vorher schon mal sagen können!"
Dabei, so Stock, sei es doch ein Vorteil, schnell und ohne langes Überlegen zu reagieren, um Probleme in den Griff zu bekommen. Ihr Telefon klingelt, am anderen Ende meldet sich Yang Xujü. In einer Woche fliegt er nach Shanghai, muss seinen Flug umbuchen, bittet um Hilfe. Eine Minute später steht er im Büro von Christine Stock, das Flugticket in der Hand.
Yang erzählt von seiner Reise nach Shanghai, und lächelt. Hier in Hamburg, sagt er, hat er seine Arbeit. Aber Freunde, mit denen er die Freizeit verbringt, die gibt es noch nicht.
"Ehrlich gesagt: bin ich einsam hier. Bei der Arbeit bin ich abgelenkt, da wird gearbeitet und ich habe keine Zeit, darüber nach zu denken. Und wenn ich dann nach Hause komme, mache ich Sport. Ich mache Sport und vergesse die Traurigkeit. Das hilft mir."
Yang zuckt mit den Schultern, reicht seiner Kollegin den Zettel mit den Flugdaten. Er weiß, seine Frau und die Tochter wollen nicht weg aus Shanghai, zumindest nicht in den nächsten paar Jahren. Yang Xujü aber wird in Hamburg bleiben und vielleicht nie richtig ankommen.
"Ja, mein Lieblingsplatz ist der Hafen! Immerhin war ich vor zehn Jahren noch selber Seemann. Ich hab auf Schiffen gearbeitet, rund um den Globus. Das schafft einfach Verbundenheit, mit dem Wasser, dem Hafen. Und wenn ich also Zeit habe, dann gehe ich hier spazieren, am Wasser entlang, den Hafen im Blick."
Der Chinese blättert in der Speisekarte, wählt Cappuccino. Viel zu zögerlich hebt er den Zeigefinger, die Bedienung übersieht ihn. Beim zweiten Anlauf klappt es. - Herr Yang schwärmt von seiner Ankunft in Hamburg, ein Jahr ist das her: anders als in anderen Städten gibt es hier ein "Welcome Center" für Fach- und Führungskräfte. Untergebracht im noblen Rathaus gibt es hier Hilfe für Hamburger Neubürger:
"Das ist wirklich sehr bequem! Man kommt da als Ausländer hin und alles wird auf einen Schlag erledigt. Das ist soviel einfacher als anderswo! Ich kenne Geschichten aus anderen Städten, wo man zu ganz verschiedenen Behörden muss, verteilt über die ganze Stadt. Hier anzukommen war für mich also wirklich kein Problem."
Er nickt in Richtung Fenster, zu den riesigen Containerbrücken und den Schiffen auf der anderen Flussseite. Mit Anfang 20 begann er seine Karriere als einfacher Seemann auf Containerschiffen. Oft war er wochenlang auf See. Dann studiert er Nautik in Shanghai und findet einen Job bei "Cosco", der größten chinesischen Staats-Reederei. Sein heutiger Beruf nennt sich: BPS:
"Business, Process and System Information Service. Immerhin sind auf den Weltmeeren unzählige Container unterwegs. Und wir brauchen einfach ein gut entwickeltes System, um diese Millionen Container im Blick zu behalten. Und ich bin da zuständig für den gesamten europäischen Raum, ich sorge dafür, technische Probleme schnell zu lösen und unseren Geschäftspartnern die Informationen zu liefern, die sie brauchen."
Herr Yang lächelt, er lächelt viel. Sein dunkelgrauer Anzug sitzt perfekt, die schwarzgeputzten Lederschuhe sind elegant, nicht extravagant. Ein sportlicher Typ, mit breiten Schultern. Seine Frau und die zweijährige Tochter, erzählt Yang, leben in Shanghai. Diesen Sommer haben sie gemeinsam verlebt, im Hamburger Umland und in Süddeutschland. Jetzt ist wieder die Sehnsucht da, nach der Familie und dem heimischen Essen:
"Das exzellente Essen in Shanghai vermisse ich sehr. Denn ehrlich gesagt: Hier ist es schon sehr schwierig, ein wirklich köstliches Essen zu finden. - Aber es liegt nicht an der deutschen Küche, die französische oder italienische habe ich auch probiert und eins ist klar: Ich bevorzuge asiatisches Essen!"
Draußen schiebt sich ein voll beladener Containerfrachter über die Elbe, Herr Yang schaut zu - und lächelt. Einen Deutschkurs will er im Moment nicht machen. Denn wie lange er bleibt, ist unklar und abhängig von seinen Vorgesetzten. Und auf Englisch kann er sich gut verständigen:
"In China an der Universität denkt niemand daran, Deutsch zu lernen … Die meisten lernen Englisch. Und die Aussprache im Deutschen ist ganz anders als das Englische. Dazu noch diese wahnsinnig langen Wörter. Mit so vielen Buchstaben ... Die muss man erst mal behalten!"
Mit schnellen Schlucken trinkt er seinen Cappuccino, schaut auf die Uhr, wischt sich einen Klecks Milchschaum von der Oberlippe. Er muss los ins Büro.
Zehn Minuten entfernt liegt der futuristische Cosco-Bau: innen ein kleiner Lichthof, viel Stahl, zwei gläserne Aufzüge. Yang Xujü fährt in den dritten Stock, begrüßt seinen Kollegen. 200 Menschen arbeiten für Cosco in Hamburg, nur 20 stammen aus China. Im Büro wirft Herr Yang einen kurzen Blick auf den Monitor, setzt sich an seinen aufgeräumten Schreibtisch, greift zum Telefon. - Ein Stockwerk höher arbeitet Christine Stock. Die Assistentin der Geschäftsführung ist studierte Sinologin, 42 Jahre alt. Sie hilft beim Neustart der Chinesen in Hamburg, bei Arztbesuchen und Schulwahl und sie weiß, was die Chinesen an Deutschland am meisten überrascht:
"Ja, die wundern sich, wenn sie ganz neu kommen, dass hier nicht so viel los ist. Dass es eher leer auf den Straßen ist. Dass die Geschäfte nicht immer offen haben, an Wochenenden und abends nach acht."
Christine Stock wippt im Bürostuhl leicht vor und zurück. Bei Cosco, sagt sie, machen sich die kulturellen Unterschiede oft bemerkbar: Dann wird – von chinesischer Seite - die deutsche Direktheit schnell als schroffer Vorwurf verstanden. Und anders herum interpretieren einige deutsche Kollegen die Zurückhaltung, das Höfliche und das etwas Steife im Umgang mit einem Chinesen oft falsch.
"Die Chinesen sind sehr spontan. Und nicht so durchorganisiert wie geplant wie die Deutschen. Bei der alltäglichen Arbeit. Dass dann oft mal die Deutschen denken: Oh, oh, das hätte aber vorher schon mal sagen können!"
Dabei, so Stock, sei es doch ein Vorteil, schnell und ohne langes Überlegen zu reagieren, um Probleme in den Griff zu bekommen. Ihr Telefon klingelt, am anderen Ende meldet sich Yang Xujü. In einer Woche fliegt er nach Shanghai, muss seinen Flug umbuchen, bittet um Hilfe. Eine Minute später steht er im Büro von Christine Stock, das Flugticket in der Hand.
Yang erzählt von seiner Reise nach Shanghai, und lächelt. Hier in Hamburg, sagt er, hat er seine Arbeit. Aber Freunde, mit denen er die Freizeit verbringt, die gibt es noch nicht.
"Ehrlich gesagt: bin ich einsam hier. Bei der Arbeit bin ich abgelenkt, da wird gearbeitet und ich habe keine Zeit, darüber nach zu denken. Und wenn ich dann nach Hause komme, mache ich Sport. Ich mache Sport und vergesse die Traurigkeit. Das hilft mir."
Yang zuckt mit den Schultern, reicht seiner Kollegin den Zettel mit den Flugdaten. Er weiß, seine Frau und die Tochter wollen nicht weg aus Shanghai, zumindest nicht in den nächsten paar Jahren. Yang Xujü aber wird in Hamburg bleiben und vielleicht nie richtig ankommen.

Blick auf Shanghai© AP Archiv