Sehnsuchtsorte und mörderische Hitze
Es ist eine Ausstellung der Superlative: Im Berliner Martin-Gropius-Bau wird mit "Die Tropen - Ansichten von der Mitte der Weltkugel" erstmals ein zeitlicher Bogen von der vorkolonialen bis zur zeitgenössischen Kunst geschlagen. Die Künstler stellen das blühende tropische Leben dar, werfen aber auch einen Blick auf Tod und Verzweiflung.
Die Tropen: Ort der Sehnsucht und Fiebergrab des weißen Mannes. Wild wuchernde Natur, schillernde Farben. Armut, Dreck und mörderische Hitze. Viele bunte Bilder flimmern über die Netzhaut von uns Europäern, denken wir an die fernen Lande am Äquator. Bunt wie das riesige Wandbild "Terminal Tropical" von Franz Ackermann, mit dem der Rundgang beginnt.
Gerda Steiner ist Künstlerin aus der Schweiz und überwältigt von der Fruchtbarkeit der Tropen, fast greifbar wabernd in der feucht-schwülen Luft:
"Wir sind in einem Büro von einen Manager mit seiner Sekretärin. Er hat diesen Gummibaum, der die Kontrolle übernommen hat, eindeutig. Gleichzeitig sieht man, wie die Sekretärin verwildert: Sie ist schon beim Knochen-Telefon angelangt und ihre Fingernägel sprießen wild herum."
Der Gummibaum ist zum Urwaldriesen mutiert: Äste aus buntem Textil und Kunststoff ranken bis zur Decke, blühende Blumen schaukeln an Fäden, Lianen umschlingen Schreibtisch und PC.
"Traum einer Büropflanze" heißt die Installation ganz im Sinne des Kurators. Alfons Hug leitet das Goethe-Institut in Rio de Janeiro und sein zentrales Anliegen ist die Re-Ästhetisierung der Tropen. Schluss mit Berichten von Regenwaldabholzung und Hungerkatastrophen, Bandenkriminalität und Indianerausrottung. Das Gewicht der tropischen Kulturräume will er in die Wagschale werfen:
"Es ist wahr, dass der urbane Ansatz von Künstlern, die etwa in Sao Paulo, Rio leben, durchaus skeptischer ist. Dort wird die Farbpalette auch reduziert und dort suchen gerade die Fotografen auch dunkle Ecken. Aber es wäre falsch, Tropen jetzt nur noch auf Krise und ökologische Probleme zu reduzieren. Es gibt eben weiterhin diese sehr sehr unberührten Landschaften."
Hug hat die Werke 40 zeitgenössischer Künstler zur Schau beigetragen. Sie treffen auf 200 der weltweit wichtigsten Exponate aus vormoderner Zeit: Masken, Skulpturen und Figuren aus Afrika, Asien, Ozeanien und dem tropischen Amerika. Sie stammen aus den Sammlungen des Ethnologischen Museums in Berlin. Die Kunst als Zeitmaschine.
Alfons Hug: "Das angeblich modernste Medium, Video, oder ein sehr modernes Medium wie die Fotografie wirken in bestimmten Momenten absolut archaisch, vor allem das Video: Wenn es gut ist, kommen die Bilder von ganz weit her. Gleichzeitig wirken einige der sogenannten alten Masken oder Skulpturen erstaunlich modern. Also da verschränken sich die Zeitachsen."
Man könnte auch sagen, sie wirbeln wild durcheinander. Als roter Faden sollen sieben mythisch aufgeladene Kapitelüberschriften dienen: Natur, Menschenbilder, Macht und Konflikte, Farben der Tropen und so weiter. Das Problem dieser Ausstellung ist jedoch, dass die Zuordnungen beliebig wirken und sich darum nicht wirklich erschließen. Sehr sehenswert ist sie trotzdem.
"Centripetas" von Mariana Manhaes aus Brasilien zum Beispiel: Zwei verkabelte Stative mit Lautsprecher und weißen Plastik-Flügeln. Motoren und Gewinde lassen die Installation schnurren, rappeln und quietschen. Entzückend. Aber Tropen?
Mariana Manhaes: "Ich habe viele verschiedene Materialien benutzt, sie zusamme gefügt und dann hat es irgendwie funktioniert. Wir in Brasilien und in anderen tropischen Ländern müssen sehen, dass wir aus dem etwas machen, das übrig bleibt. Außerdem erinnert mich ihre Form an lebendige Tiere."
Zu verstehen, was die antike Maske eines Waldgeistes mit einer modernen Installation zu tun hat, sei ein Prozess, sagte Hortensia Völkers heute bei der Vorstellung der Schau. Und vielleicht muss man auch nicht immer gleich alles verstehen, meinte die Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes:
"Uns Interessiert ein Diskurs, der bei der letzten documenta begonnen hatte und sehr sehr schwer kritisiert wurde: Warum dort Artefakte, Gegenstände, Ethnologica mit zeitgenössischer Kunst konfrontiert werden, ohne dass man versteht warum und wieso."
Eine Million Euro Förderung hat sich die Kulturstiftung diesen tropischen Diskurs kosten lassen. Auch, weil die Ausstellung als wegweisendes Beispiel für das Humboldt-Forum gilt, das in ein paar Jahren im wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss die Kulturen der Welt zeigen soll. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz:
"Das Zusammengehen, das hier, wie ich finde, sehr geglückt versucht wird, dieser Dialog, der hier hergestellt wird, ist schon einmal ganz, ganz wichtig: Es wird experimentiert, es werden die klassischen Fächergrenzen überwunden, es werden neue Präsentationsformen gesucht. Und ich denke, das ist ein wichtiger Prozess auf dem Weg zu diesem Humboldt-Forum."
Die Ausstellungs-Macher wollten nicht unbedingt etwas Politisches, sagt der peruanische Künstler Fernando Bryce, der seine Heimatstadt Lima verlassen hat und seit 20 Jahren in Berlin lebt. Er rekonstruierte aber trotzdem in einer Serie von Zeichnungen anhand alter Fotos und Zeitungsartikel deutsches Kolonial-Treiben in Neuguinea - eine Dokumentation des Rassismus. Die bunte Tropenwelt ist nicht seine, sagt Bryce:
"Mein Teil war eher dieses Thema: Geopolitik. Deutsche Kolonialgeschichte in dem Rahmen der imperialistischen Politik im 19. Jahrhundert, Anfang 20. Jahrhundert. Ja, das sind eher meine Themen: Imperialismus und Kolonialismus. Ich arbeite Schwarz-Weiß sowieso."
Karneval in Rio, die unglaublich farbenfrohen Trachten der Indios in Guatemala: Diese Ausstellung zeigt das blühende tropische Leben. Aber hier und da wirft sie auch einen Blick auf Tod und Verzweiflung. Wie in der berührenden Arbeit von Dinh Lé, der in seiner Videoinstallation den Alltag vietnamesischer Reisbauern mit Szenen aus "Apocalypse Now" mischt.
Service: Die Ausstellung "Die Tropen - Ansichten von der Mitte der Weltkugel" ist vom 12. September 2008 bis zum 5. Januar 2009 in Berlin im Martin-Gropius-Bau zu sehen.
Gerda Steiner ist Künstlerin aus der Schweiz und überwältigt von der Fruchtbarkeit der Tropen, fast greifbar wabernd in der feucht-schwülen Luft:
"Wir sind in einem Büro von einen Manager mit seiner Sekretärin. Er hat diesen Gummibaum, der die Kontrolle übernommen hat, eindeutig. Gleichzeitig sieht man, wie die Sekretärin verwildert: Sie ist schon beim Knochen-Telefon angelangt und ihre Fingernägel sprießen wild herum."
Der Gummibaum ist zum Urwaldriesen mutiert: Äste aus buntem Textil und Kunststoff ranken bis zur Decke, blühende Blumen schaukeln an Fäden, Lianen umschlingen Schreibtisch und PC.
"Traum einer Büropflanze" heißt die Installation ganz im Sinne des Kurators. Alfons Hug leitet das Goethe-Institut in Rio de Janeiro und sein zentrales Anliegen ist die Re-Ästhetisierung der Tropen. Schluss mit Berichten von Regenwaldabholzung und Hungerkatastrophen, Bandenkriminalität und Indianerausrottung. Das Gewicht der tropischen Kulturräume will er in die Wagschale werfen:
"Es ist wahr, dass der urbane Ansatz von Künstlern, die etwa in Sao Paulo, Rio leben, durchaus skeptischer ist. Dort wird die Farbpalette auch reduziert und dort suchen gerade die Fotografen auch dunkle Ecken. Aber es wäre falsch, Tropen jetzt nur noch auf Krise und ökologische Probleme zu reduzieren. Es gibt eben weiterhin diese sehr sehr unberührten Landschaften."
Hug hat die Werke 40 zeitgenössischer Künstler zur Schau beigetragen. Sie treffen auf 200 der weltweit wichtigsten Exponate aus vormoderner Zeit: Masken, Skulpturen und Figuren aus Afrika, Asien, Ozeanien und dem tropischen Amerika. Sie stammen aus den Sammlungen des Ethnologischen Museums in Berlin. Die Kunst als Zeitmaschine.
Alfons Hug: "Das angeblich modernste Medium, Video, oder ein sehr modernes Medium wie die Fotografie wirken in bestimmten Momenten absolut archaisch, vor allem das Video: Wenn es gut ist, kommen die Bilder von ganz weit her. Gleichzeitig wirken einige der sogenannten alten Masken oder Skulpturen erstaunlich modern. Also da verschränken sich die Zeitachsen."
Man könnte auch sagen, sie wirbeln wild durcheinander. Als roter Faden sollen sieben mythisch aufgeladene Kapitelüberschriften dienen: Natur, Menschenbilder, Macht und Konflikte, Farben der Tropen und so weiter. Das Problem dieser Ausstellung ist jedoch, dass die Zuordnungen beliebig wirken und sich darum nicht wirklich erschließen. Sehr sehenswert ist sie trotzdem.
"Centripetas" von Mariana Manhaes aus Brasilien zum Beispiel: Zwei verkabelte Stative mit Lautsprecher und weißen Plastik-Flügeln. Motoren und Gewinde lassen die Installation schnurren, rappeln und quietschen. Entzückend. Aber Tropen?
Mariana Manhaes: "Ich habe viele verschiedene Materialien benutzt, sie zusamme gefügt und dann hat es irgendwie funktioniert. Wir in Brasilien und in anderen tropischen Ländern müssen sehen, dass wir aus dem etwas machen, das übrig bleibt. Außerdem erinnert mich ihre Form an lebendige Tiere."
Zu verstehen, was die antike Maske eines Waldgeistes mit einer modernen Installation zu tun hat, sei ein Prozess, sagte Hortensia Völkers heute bei der Vorstellung der Schau. Und vielleicht muss man auch nicht immer gleich alles verstehen, meinte die Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes:
"Uns Interessiert ein Diskurs, der bei der letzten documenta begonnen hatte und sehr sehr schwer kritisiert wurde: Warum dort Artefakte, Gegenstände, Ethnologica mit zeitgenössischer Kunst konfrontiert werden, ohne dass man versteht warum und wieso."
Eine Million Euro Förderung hat sich die Kulturstiftung diesen tropischen Diskurs kosten lassen. Auch, weil die Ausstellung als wegweisendes Beispiel für das Humboldt-Forum gilt, das in ein paar Jahren im wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss die Kulturen der Welt zeigen soll. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz:
"Das Zusammengehen, das hier, wie ich finde, sehr geglückt versucht wird, dieser Dialog, der hier hergestellt wird, ist schon einmal ganz, ganz wichtig: Es wird experimentiert, es werden die klassischen Fächergrenzen überwunden, es werden neue Präsentationsformen gesucht. Und ich denke, das ist ein wichtiger Prozess auf dem Weg zu diesem Humboldt-Forum."
Die Ausstellungs-Macher wollten nicht unbedingt etwas Politisches, sagt der peruanische Künstler Fernando Bryce, der seine Heimatstadt Lima verlassen hat und seit 20 Jahren in Berlin lebt. Er rekonstruierte aber trotzdem in einer Serie von Zeichnungen anhand alter Fotos und Zeitungsartikel deutsches Kolonial-Treiben in Neuguinea - eine Dokumentation des Rassismus. Die bunte Tropenwelt ist nicht seine, sagt Bryce:
"Mein Teil war eher dieses Thema: Geopolitik. Deutsche Kolonialgeschichte in dem Rahmen der imperialistischen Politik im 19. Jahrhundert, Anfang 20. Jahrhundert. Ja, das sind eher meine Themen: Imperialismus und Kolonialismus. Ich arbeite Schwarz-Weiß sowieso."
Karneval in Rio, die unglaublich farbenfrohen Trachten der Indios in Guatemala: Diese Ausstellung zeigt das blühende tropische Leben. Aber hier und da wirft sie auch einen Blick auf Tod und Verzweiflung. Wie in der berührenden Arbeit von Dinh Lé, der in seiner Videoinstallation den Alltag vietnamesischer Reisbauern mit Szenen aus "Apocalypse Now" mischt.
Service: Die Ausstellung "Die Tropen - Ansichten von der Mitte der Weltkugel" ist vom 12. September 2008 bis zum 5. Januar 2009 in Berlin im Martin-Gropius-Bau zu sehen.