"Seht euer Haus als Teil einer Geschichte"
Vor 50 Jahren gab es einen Streit um die Ruine der Berliner Gedächtniskirche: Abriss und Neubau oder Erhalt eines Mahnmals? Der Architekt Michael Braum lobt die Qualität, die das Ensemble heute ausstrahlt, "gerade mit diesem Miteinander zwischen Alt und Neu".
Liane von Billerbeck:
Beitrag in Informationen am Mittag, Deutschlandfunk(MP3-Audio)
Stimmen gegen den Abriss der Gedächtniskirche. Vor unserer Sendung habe ich mit Michael Braum gesprochen, er ist Architekt und Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, auch Herausgeber des Buches Nachkriegsmoderne in Deutschland: Eine Epoche weiterdenken, und er ist ein Kenner und Liebhaber derselben. Herr Braum, ich grüße Sie!
Michael Braum: Ja, guten Tag!
von Billerbeck: Sowohl der Architekt Eiermann als auch der Westberliner Senat wollten die Gedächtniskirchenruine abreißen lassen, die Bürger aber wollten sie unbedingt erhalten. Ist diese Debatte eigentlich typisch für die damalige Diskrepanz so zwischen architektonischer Utopie und der Sehnsucht der Bürger nach Tradition und Identifikation?
Braum: Ich denke, dass diese Diskrepanz nicht typisch für die damalige Zeit ist, sie ist typisch auch für die heutige Zeit. Ich denke, dass die Qualität, die diese Gedächtniskirche heute ausstrahlt, gerade mit diesem Miteinander zwischen Alt und Neu zu tun hat, und wenn sich die Bürger damals nicht so stark gemacht hätten, dann hätten wir da jetzt einen sicherlich sehr anspruchsvollen Eiermann-Bau stehen – der auch, wenn man nur die Nachkriegsmoderne betrachtet, zu den Ikonen der Architektur gehört –, aber jetzt haben wir ein Mahnmal, jetzt haben wir viel mehr, jetzt haben wir Emotionen und jetzt haben wir auch eine fortgeschrittene Geschichte, die dieses Bauwerk in einer ganz anderen Art und Weise dem Bürger nahebringt als ein reiner, mag er auch noch so gut entworfener Kirchenbau sein.
von Billerbeck: Das heißt, es ging in dieser Kontroverse damals um mehr als um den Erhalt eines Kirchenbaus?
Braum: Ich glaube, in der Kontroverse damals ging es sehr viel auch um dieses Thema Identität, also das ist ja auch so ein Verlustgefühl, was die Bürger hatten, denen ist ja … Diese alte Kirche von Schwechten ist ihnen da kaputt gebombt worden, und da kommt jetzt auf einmal so ein Moderner und setzt denen da so ein modernes Gebäude hin. Und ich glaube, dass das stärker das Bewusstsein der Leute widerspiegelt und auch stärker etwas ist, mit dem wir uns, wenn wir uns über zeitgemäße Architektur auseinandersetzen müssen, auseinanderzusetzen haben, nämlich, dass etwas, was man nicht in Ästhetik messen kann … Also die Schwechten-Kirche, von der hatten wir ganz viele in der Art in Deutschland stehen, das sehen mir jetzt alle Bauhistoriker nach, von diesem Typ. Es geht also nicht um das Bauwerk alleine, sondern es geht um etwas, was den Leuten verlorengeht, und das wollen sie auch ein Stück wiederhaben.
Und ich glaube, wenn es auch nicht dieser harte Krieg ist, der so eine Zerstörung herbeiführt, haben wir das in vielen anderen Gebäuden auch: Jedes Gebäude hat irgendwann, wenn es von den Leuten angenommen wird, eine eigene Kraft nur daraus, dass es von den Leuten angenommen wird und die Leute ihre Wünsche und Vorstellungen in die Architektur reinprojizieren. Und da tun sich Architekten hinlänglicherweise immer sehr schwer mit, auch der von mir außerordentlich geschätzte Egon Eiermann, der seine Architektur sieht als Baukunst, und diese geschichtliche Transformation und das, was mit diesem Gebäude, mit den Leuten geschieht, gar nicht so sehr sehen will. Aber dieses Zusammenspiel Baukunst und Akzeptanz durch die Bürger, das macht eigentlich das Thema Baukultur aus.
von Billerbeck: Was ist denn nun eigentlich das Besondere an diesem Gedächtniskirchen-Bau, wie er nun entstanden ist, und ist das für Sie aus heutiger Sicht ein gelungener Kirchenbau?
Braum: Ja, und das ist eine ganz subjektive Einschätzung, muss ich Ihnen sagen. Wissen Sie, warum ich den so gelungen finde? Der wirkt ja vom Innenraum. Also wenn Sie in die Gedächtniskirche reingehen – und ich bin häufig in der Gedächtniskirche –, wenn ich in diesem ganzen Trubel dieser Tauentzienstraße und des Kurfürstendamms bin, dann geht man in diesen Raum: Das ist ein kontemplativer Ort für mich, in dem ich ein bisschen zur Ruhe und zur Besinnung komme. Und dieses Spiel des Lichtes in diesem Raum von außen, dieses blaue, gebrochene Licht – das finde ich unglaublich. Das nimmt einen ein und vermittelt einem den gleichen Eindruck, nur in unserer Zeit, wie wenn ich in einer gotischen Kathedrale bin. Die hat ja auch mit diesen Lichtspielen gespielt und gearbeitet, hat durch die Architektur auch die Leute in ihren Bann gezogen. Und das finde ich tut die Gedächtniskirche auch.
von Billerbeck: Egon Eiermann hat ja nicht nur diesen Bau entworfen, von ihm stammen beispielsweise auch die Fassaden für das Kaufhaus Horten, die sogenannte Eiermann-Fassade. Die hatte ja einen hohen Wiedererkennungswert und beschwor auch die Corporate Identity dieses Unternehmens. Inwiefern hat Eiermann denn damit Architekturgeschichte geschrieben?
Braum: Mit den Fassaden? Das ist sicherlich ein sehr streitbares Thema. Er hat mit den Fassaden Architekturgeschichte geschrieben, gleichwohl finde ich: In dem Moment, wo so was in Serie geht – und das war ja diese Fassade, die da überall bei Horten dran war –, ist es dann auch Corporate Identity und da wird dann Architektur auch zum Design. Und ich finde, in dem Moment, wo Architektur zum Design wird, ist es … Sicherlich gibt es da Leute, die finden das schön und andere finden es nicht schön, das ist, finde ich, eher skeptisch zu sehen. Architekturgeschichte geschrieben würde ich weniger sagen, ich würde eher sagen, Designgeschichte geschrieben. Das ist ein Feld, auf das sich Eiermann begeben hat, das aber in der Wahrnehmung durch die Bevölkerung, weil ja dann dieses Synonym gekommen ist, das ist eine Eiermann-Fassade oder so was, sich dann so weiter reproduziert hat. Aber ich finde es nicht seine großartigste Leistung.
von Billerbeck: Als das frühere Kaufhaus Schocken abgerissen werden sollte, da gab es ja auch dagegen Proteste. Doch Eiermann hat auf den Abriss bestanden, um eben seinen Neubau realisieren zu können. Der Vorgängerbau war ja immerhin von seinem Kollegen Erich Mendelsohn und er galt als architektonisches Jahrhundertwerk des Expressionismus. Wie bewerten Sie den Abriss heute, war das ein kulturpolitischer Sündenfall?
Braum: Das war ein Sündenfall, das war ein Sündenfall, mit Sicherheit, weil das Mendelsohn-Kaufhaus hat mindestens die gleichen Qualitäten wie der Nachfolgebau. Jetzt will ich da gar nicht in so eine Konkurrenz treten, aber ich glaube, das ist ein Problem, was Sie da ansprechen, das bei vielen Architekten typisch ist. Also ein Architekt ist dann davon beseelt, seine Idee zu produzieren, weil er sozusagen sein Objekt als Haus, als Teil seiner Kreativität sieht, und dann eben diese Qualitäten, die an anderer Stelle da auch bestanden haben, für ihn persönlich gar nicht so wichtig sind, weil er davon überzeugt ist, dass das, was er als Qualität da reinsetzt, besser ist als das alte. Das ist aber finde ich ein vollkommen falsches Verständnis von Architektur und von Baukultur, und das ist auch eine Kritik, die ich den Architektenkollegen da auch immer wieder ranstelle: Seht euch bitte als Teil des Ganzen und seht auch euer Haus als Teil einer Geschichte, die sich immer wieder ändert, und seht nicht euer Haus als das wunderbarste Haus auf der ganzen Welt.
von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, Michael Braum ist mein Gesprächspartner von der Bundesstiftung Baukultur, die Nachkriegsmoderne in der Architektur unser Thema. Diese Nachkriegsmoderne, Herr Braum, die wollte ja mit der Vergangenheit brechen, heute wird aber ein Teil dieser Architektur durchaus kritisch gesehen. Alan Posener sprach in einem Artikel von "atemberaubender Hässlichkeit" und meinte damit die Kölner Innenstadt. Auch die Ästhetik einer Horten-Fassade wird heute eher gering geschätzt, Sie schienen ja auch nicht richtig begeistert davon. Ist das eine unterschätzte Epoche?
Braum: Man kann das nicht so pauschal beantworten. Ich finde, es gibt in der Nachkriegsmoderne, insbesondere in den 50er- und auch frühen 60er-Jahren wahre Ikonen von ganz unterschiedlichen Architekten, und das sind herausragende Gebäude. Und da gibt es auch ganz viele, die in diesem Wert, den sie haben – weil sie vernachlässigt worden sind, weil sie nicht instand gehalten werden, weil sie einfach runtergekommen sind –, unterschätzt sind. Diese Teile dieser Epoche werden mit Sicherheit unterschätzt. Die, die nicht unterschätzt wird und das ist das Problem, was die Nachkriegsmoderne auch hat, das ist, dass in dem Moment, wo das in Serie gegangen ist, in dem Moment, wo wir versucht haben, Häuser zu bauen wie Autos, das heißt also, in Systemen irgendetwas zu vervielfältigen, in dem Moment ist die Nachkriegsmoderne auch zu Recht in die Kritik geraten.
Und auch in unserem Buch, was Sie angesprochen hatten, versuchen wir, Nachkriegsmoderne weiterzudenken, so zu interpretieren, dass man sehr sorgfältig unterscheidet, was hat eine baukulturelle Qualität und was nicht, wie setzt es sich mit Kontext auseinander, gut oder schlecht, und auf Grundlage dieser Analyse zu entscheiden: Was behalte ich und was behalte ich nicht? Das gilt nicht nur für die Nachkriegsmoderne, das gilt für alle Epochen der Architektur.
Und in der Nachkriegsmoderne ist es nur insofern besonders schwierig, weil wir da Masse produziert haben, wir haben Massenwohnungsbau produziert, wir hatten diesen Bauwirtschaftsfunktionalismus, das waren Gesellschaften wie beispielsweise die Neue Heimat, die sozialen Wohnungsbau realisierte, die auch Geld damit verdient hatten, und denen dieser Gedanke – jedes Objekt muss an jeder Stelle eine ganz spezifische Qualität haben, weil sie sich mit dem Kontext auseinanderzusetzen hat – nicht wichtig war. Es ging um Quantitäten im Durchschnitt, und nicht um Qualitäten.
von Billerbeck: Posener hat ja in diesem Artikel sogar ein Recht auf Abriss für nachfolgende Generationen postuliert. Was würde denn damit verloren gehen, und was ist an dieser Epoche der Nachkriegsmoderne so zeitlos?
Braum: Also ich finde erst mal: Das Recht auf Abriss ist ein Recht, was ich unterstreichen würde. Also das, was keine Qualitäten hat, was sich nicht auf den Stadt- und auch landschaftlich räumlichen Kontext orientiert, das darf alles für sich auch immer wieder von nachfolgenden Generationen überdacht werden, ob man es behält oder ob man es nicht behält. "Zeitlos", finde ich, gibt es nur dann in der Architektur, wenn ich sozusagen Klassiker aus einer Epoche, auch Ensembles aus einer Epoche realisiert habe, die in sich eine solche Plausibilität und Qualität haben, dass sie über alle Zeiten sich retten. Gucken Sie sich an, die Mathildenhöhe in Darmstadt, den Jugendstilbau, der dort steht, der Hochzeitsturm.
Das ist natürlich eine baukulturelle Ikone, weil er sehr symptomatisch für diese Zeit steht, aber nicht jedes Haus ist gut und nicht jeder Architekt hat diese Qualitäten, mit Recht davon zu sprechen, dass das etwas Zeitloses ist. Ich glaube, dieser Begriff "zeitlos" ist nicht auf eine Epoche anzuwenden, sondern der ist auf Architekturqualitäten ganz unterschiedlicher Epochen anzuwenden. Wir haben in jeder Epoche zeitlose Gebäude, die in einer Lässigkeit das Denken aus dieser Zeit bis in die heutige Zeit transportieren.
von Billerbeck: Das sagt Michael Braum von der Bundesstiftung Baukultur. Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Michael Braum: Ja, guten Tag!
von Billerbeck: Sowohl der Architekt Eiermann als auch der Westberliner Senat wollten die Gedächtniskirchenruine abreißen lassen, die Bürger aber wollten sie unbedingt erhalten. Ist diese Debatte eigentlich typisch für die damalige Diskrepanz so zwischen architektonischer Utopie und der Sehnsucht der Bürger nach Tradition und Identifikation?
Braum: Ich denke, dass diese Diskrepanz nicht typisch für die damalige Zeit ist, sie ist typisch auch für die heutige Zeit. Ich denke, dass die Qualität, die diese Gedächtniskirche heute ausstrahlt, gerade mit diesem Miteinander zwischen Alt und Neu zu tun hat, und wenn sich die Bürger damals nicht so stark gemacht hätten, dann hätten wir da jetzt einen sicherlich sehr anspruchsvollen Eiermann-Bau stehen – der auch, wenn man nur die Nachkriegsmoderne betrachtet, zu den Ikonen der Architektur gehört –, aber jetzt haben wir ein Mahnmal, jetzt haben wir viel mehr, jetzt haben wir Emotionen und jetzt haben wir auch eine fortgeschrittene Geschichte, die dieses Bauwerk in einer ganz anderen Art und Weise dem Bürger nahebringt als ein reiner, mag er auch noch so gut entworfener Kirchenbau sein.
von Billerbeck: Das heißt, es ging in dieser Kontroverse damals um mehr als um den Erhalt eines Kirchenbaus?
Braum: Ich glaube, in der Kontroverse damals ging es sehr viel auch um dieses Thema Identität, also das ist ja auch so ein Verlustgefühl, was die Bürger hatten, denen ist ja … Diese alte Kirche von Schwechten ist ihnen da kaputt gebombt worden, und da kommt jetzt auf einmal so ein Moderner und setzt denen da so ein modernes Gebäude hin. Und ich glaube, dass das stärker das Bewusstsein der Leute widerspiegelt und auch stärker etwas ist, mit dem wir uns, wenn wir uns über zeitgemäße Architektur auseinandersetzen müssen, auseinanderzusetzen haben, nämlich, dass etwas, was man nicht in Ästhetik messen kann … Also die Schwechten-Kirche, von der hatten wir ganz viele in der Art in Deutschland stehen, das sehen mir jetzt alle Bauhistoriker nach, von diesem Typ. Es geht also nicht um das Bauwerk alleine, sondern es geht um etwas, was den Leuten verlorengeht, und das wollen sie auch ein Stück wiederhaben.
Und ich glaube, wenn es auch nicht dieser harte Krieg ist, der so eine Zerstörung herbeiführt, haben wir das in vielen anderen Gebäuden auch: Jedes Gebäude hat irgendwann, wenn es von den Leuten angenommen wird, eine eigene Kraft nur daraus, dass es von den Leuten angenommen wird und die Leute ihre Wünsche und Vorstellungen in die Architektur reinprojizieren. Und da tun sich Architekten hinlänglicherweise immer sehr schwer mit, auch der von mir außerordentlich geschätzte Egon Eiermann, der seine Architektur sieht als Baukunst, und diese geschichtliche Transformation und das, was mit diesem Gebäude, mit den Leuten geschieht, gar nicht so sehr sehen will. Aber dieses Zusammenspiel Baukunst und Akzeptanz durch die Bürger, das macht eigentlich das Thema Baukultur aus.
von Billerbeck: Was ist denn nun eigentlich das Besondere an diesem Gedächtniskirchen-Bau, wie er nun entstanden ist, und ist das für Sie aus heutiger Sicht ein gelungener Kirchenbau?
Braum: Ja, und das ist eine ganz subjektive Einschätzung, muss ich Ihnen sagen. Wissen Sie, warum ich den so gelungen finde? Der wirkt ja vom Innenraum. Also wenn Sie in die Gedächtniskirche reingehen – und ich bin häufig in der Gedächtniskirche –, wenn ich in diesem ganzen Trubel dieser Tauentzienstraße und des Kurfürstendamms bin, dann geht man in diesen Raum: Das ist ein kontemplativer Ort für mich, in dem ich ein bisschen zur Ruhe und zur Besinnung komme. Und dieses Spiel des Lichtes in diesem Raum von außen, dieses blaue, gebrochene Licht – das finde ich unglaublich. Das nimmt einen ein und vermittelt einem den gleichen Eindruck, nur in unserer Zeit, wie wenn ich in einer gotischen Kathedrale bin. Die hat ja auch mit diesen Lichtspielen gespielt und gearbeitet, hat durch die Architektur auch die Leute in ihren Bann gezogen. Und das finde ich tut die Gedächtniskirche auch.
von Billerbeck: Egon Eiermann hat ja nicht nur diesen Bau entworfen, von ihm stammen beispielsweise auch die Fassaden für das Kaufhaus Horten, die sogenannte Eiermann-Fassade. Die hatte ja einen hohen Wiedererkennungswert und beschwor auch die Corporate Identity dieses Unternehmens. Inwiefern hat Eiermann denn damit Architekturgeschichte geschrieben?
Braum: Mit den Fassaden? Das ist sicherlich ein sehr streitbares Thema. Er hat mit den Fassaden Architekturgeschichte geschrieben, gleichwohl finde ich: In dem Moment, wo so was in Serie geht – und das war ja diese Fassade, die da überall bei Horten dran war –, ist es dann auch Corporate Identity und da wird dann Architektur auch zum Design. Und ich finde, in dem Moment, wo Architektur zum Design wird, ist es … Sicherlich gibt es da Leute, die finden das schön und andere finden es nicht schön, das ist, finde ich, eher skeptisch zu sehen. Architekturgeschichte geschrieben würde ich weniger sagen, ich würde eher sagen, Designgeschichte geschrieben. Das ist ein Feld, auf das sich Eiermann begeben hat, das aber in der Wahrnehmung durch die Bevölkerung, weil ja dann dieses Synonym gekommen ist, das ist eine Eiermann-Fassade oder so was, sich dann so weiter reproduziert hat. Aber ich finde es nicht seine großartigste Leistung.
von Billerbeck: Als das frühere Kaufhaus Schocken abgerissen werden sollte, da gab es ja auch dagegen Proteste. Doch Eiermann hat auf den Abriss bestanden, um eben seinen Neubau realisieren zu können. Der Vorgängerbau war ja immerhin von seinem Kollegen Erich Mendelsohn und er galt als architektonisches Jahrhundertwerk des Expressionismus. Wie bewerten Sie den Abriss heute, war das ein kulturpolitischer Sündenfall?
Braum: Das war ein Sündenfall, das war ein Sündenfall, mit Sicherheit, weil das Mendelsohn-Kaufhaus hat mindestens die gleichen Qualitäten wie der Nachfolgebau. Jetzt will ich da gar nicht in so eine Konkurrenz treten, aber ich glaube, das ist ein Problem, was Sie da ansprechen, das bei vielen Architekten typisch ist. Also ein Architekt ist dann davon beseelt, seine Idee zu produzieren, weil er sozusagen sein Objekt als Haus, als Teil seiner Kreativität sieht, und dann eben diese Qualitäten, die an anderer Stelle da auch bestanden haben, für ihn persönlich gar nicht so wichtig sind, weil er davon überzeugt ist, dass das, was er als Qualität da reinsetzt, besser ist als das alte. Das ist aber finde ich ein vollkommen falsches Verständnis von Architektur und von Baukultur, und das ist auch eine Kritik, die ich den Architektenkollegen da auch immer wieder ranstelle: Seht euch bitte als Teil des Ganzen und seht auch euer Haus als Teil einer Geschichte, die sich immer wieder ändert, und seht nicht euer Haus als das wunderbarste Haus auf der ganzen Welt.
von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, Michael Braum ist mein Gesprächspartner von der Bundesstiftung Baukultur, die Nachkriegsmoderne in der Architektur unser Thema. Diese Nachkriegsmoderne, Herr Braum, die wollte ja mit der Vergangenheit brechen, heute wird aber ein Teil dieser Architektur durchaus kritisch gesehen. Alan Posener sprach in einem Artikel von "atemberaubender Hässlichkeit" und meinte damit die Kölner Innenstadt. Auch die Ästhetik einer Horten-Fassade wird heute eher gering geschätzt, Sie schienen ja auch nicht richtig begeistert davon. Ist das eine unterschätzte Epoche?
Braum: Man kann das nicht so pauschal beantworten. Ich finde, es gibt in der Nachkriegsmoderne, insbesondere in den 50er- und auch frühen 60er-Jahren wahre Ikonen von ganz unterschiedlichen Architekten, und das sind herausragende Gebäude. Und da gibt es auch ganz viele, die in diesem Wert, den sie haben – weil sie vernachlässigt worden sind, weil sie nicht instand gehalten werden, weil sie einfach runtergekommen sind –, unterschätzt sind. Diese Teile dieser Epoche werden mit Sicherheit unterschätzt. Die, die nicht unterschätzt wird und das ist das Problem, was die Nachkriegsmoderne auch hat, das ist, dass in dem Moment, wo das in Serie gegangen ist, in dem Moment, wo wir versucht haben, Häuser zu bauen wie Autos, das heißt also, in Systemen irgendetwas zu vervielfältigen, in dem Moment ist die Nachkriegsmoderne auch zu Recht in die Kritik geraten.
Und auch in unserem Buch, was Sie angesprochen hatten, versuchen wir, Nachkriegsmoderne weiterzudenken, so zu interpretieren, dass man sehr sorgfältig unterscheidet, was hat eine baukulturelle Qualität und was nicht, wie setzt es sich mit Kontext auseinander, gut oder schlecht, und auf Grundlage dieser Analyse zu entscheiden: Was behalte ich und was behalte ich nicht? Das gilt nicht nur für die Nachkriegsmoderne, das gilt für alle Epochen der Architektur.
Und in der Nachkriegsmoderne ist es nur insofern besonders schwierig, weil wir da Masse produziert haben, wir haben Massenwohnungsbau produziert, wir hatten diesen Bauwirtschaftsfunktionalismus, das waren Gesellschaften wie beispielsweise die Neue Heimat, die sozialen Wohnungsbau realisierte, die auch Geld damit verdient hatten, und denen dieser Gedanke – jedes Objekt muss an jeder Stelle eine ganz spezifische Qualität haben, weil sie sich mit dem Kontext auseinanderzusetzen hat – nicht wichtig war. Es ging um Quantitäten im Durchschnitt, und nicht um Qualitäten.
von Billerbeck: Posener hat ja in diesem Artikel sogar ein Recht auf Abriss für nachfolgende Generationen postuliert. Was würde denn damit verloren gehen, und was ist an dieser Epoche der Nachkriegsmoderne so zeitlos?
Braum: Also ich finde erst mal: Das Recht auf Abriss ist ein Recht, was ich unterstreichen würde. Also das, was keine Qualitäten hat, was sich nicht auf den Stadt- und auch landschaftlich räumlichen Kontext orientiert, das darf alles für sich auch immer wieder von nachfolgenden Generationen überdacht werden, ob man es behält oder ob man es nicht behält. "Zeitlos", finde ich, gibt es nur dann in der Architektur, wenn ich sozusagen Klassiker aus einer Epoche, auch Ensembles aus einer Epoche realisiert habe, die in sich eine solche Plausibilität und Qualität haben, dass sie über alle Zeiten sich retten. Gucken Sie sich an, die Mathildenhöhe in Darmstadt, den Jugendstilbau, der dort steht, der Hochzeitsturm.
Das ist natürlich eine baukulturelle Ikone, weil er sehr symptomatisch für diese Zeit steht, aber nicht jedes Haus ist gut und nicht jeder Architekt hat diese Qualitäten, mit Recht davon zu sprechen, dass das etwas Zeitloses ist. Ich glaube, dieser Begriff "zeitlos" ist nicht auf eine Epoche anzuwenden, sondern der ist auf Architekturqualitäten ganz unterschiedlicher Epochen anzuwenden. Wir haben in jeder Epoche zeitlose Gebäude, die in einer Lässigkeit das Denken aus dieser Zeit bis in die heutige Zeit transportieren.
von Billerbeck: Das sagt Michael Braum von der Bundesstiftung Baukultur. Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.