Im Podcast der Weltzeit beschreibt Historiker James Millward von der Georgetown University in den USA, warum er die "Neue Seidenstraße" nur für ein Label hält, das Chinesen an ihre "goldene Epoche" und den Rest der Welt an eine private Kamel-Karawane erinnern soll. Und er erklärt, wie der deutsche Geograf Ferdinand von Richthofen den Ausdruck "Seidenstraßen" erfand.
Altes Label zur neuen Weltherrschaft?
25:12 Minuten
Mehr als 60 Länder machen schon mit bei Chinas "Neuer Seidenstraße". Vor sechs Jahren in Kasachstan gestartet, soll so ein neues Handelsnetzwerk zwischen Asien, Afrika und Europa entstehen. Kritiker befürchten, es bleibt eine Einbahnstraße.
Pao Mo – so heißt die Lammfleisch-Nudelsuppe mit eingeweichten Brotstückchen. Eine Spezialität im muslimische Viertel von Xi’an, der alten Kaiser- und Hauptstadt in China. Menschen drängen durch die engen Gassen, die Köche schneiden in weiß gefliesten Ladenzeilen das Lammfleisch. In den kleinen Nudel-Restaurants dampft und qualmt es.
Xi’an war einst berühmter Ausgangspunkt der antiken Seidenstraße. Der Handel von Asien nach Europa begann vor mehr als 2000 Jahren. Die Kaufleute handelten damals mit Textilien wie Seide, auch mit Gewürzen, Porzellan, Edelsteinen, Jade oder Tee. Sie transportierten ihre Waren über ein Netz von Karawanenstraßen, dessen Hauptroute von Ostasien über Zentralasien Richtung Mittelmeer führte. Nun propagiert China die "Neue Seidenstraße". Und profitieren wollen auch chinesische Städte wie Xi‘an, die bereits früher wichtige Handelszentren waren. Bewohner wie Wang Qian hoffen, dass die Stadt ihre Rolle von damals wieder einnehmen kann.
"Xi’an ist Kerngebiet und der erste Stopp auf der 'Neuen Seidenstraße'. Es ist das größte, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum. Natürlich wird Xi’an von der 'Neuen Seidenstraße' profitieren: weil mehr Touristen kommen, Ausländer und Chinesen. Der Schnellzug aus Shanghai braucht heute nicht mehr zehn sondern nur noch sechs Stunden. Aber auch von Europa und Zentralasien sind die Verbindungen besser. Die Fahrzeiten in beide Richtungen sind gesunken. Die Auswirkungen auf Wirtschaft, Kultur und Tourismus von Xi’an sind noch gar nicht abzusehen."
100 Staaten beim Seidenstraßen-Gipfel
Bei der "Neuen Seidenstraße" geht es um ein Handelsnetzwerk zwischen Asien, Afrika und Europa. China finanziert in anderen Ländern massiv in neue Häfen, Zugstrecken, Straßen und andere Infrastrukturprojekte. Die Neue Seidenstraße gilt als Lieblingsprojekt von Staats- und Parteichef Xi Jinping. 2013 hat er den Plan zum ersten Mal erwähnt, zweimal hat er seitdem zu einem Seidenstraßen-Gipfel nach Peking eingeladen. Um das Projekt politisch zu bewerben und die Welt für seine Initiative zu begeistern. Vertreter aus über 100 Staaten kamen dazu zuletzt im April nach Peking.
"Mit der 'Neuen Seidenstraße' wollen wir den wirtschaftlichen Austausch weltweit verbessern und den Wohlstand aller Länder erhöhen. Es ist eine Straße für einen gemeinsamen, globalen Aufschwung. Die Fakten zeigen, dass die gemeinsamen Projekte nicht nur die Entwicklung vieler Ländern in der Welt fördern, sondern auch für China eine weitere Öffnung bedeuten."
Pakistan, Sri Lanka und Kasachstan. Malaysia, Montenegro und Italien. China zählt über 125 Länder, die bislang in die Neue Seidenstraße mit eingebunden sind. Das Konzept ist auf alle Kontinente ausgedehnt. Die "Neue Seidenstraße" gilt heute als Kern der chinesischen Außenpolitik. Der Grundgedanke: damit sich China wirtschaftlich und geopolitisch weiter entwickeln kann, braucht es einen langfristigen Ansatz mit globaler Perspektive. Wang Yiwei ist Politikwissenschaftler an der Renmin-Universität in Peking. Er ist einer der renommiertesten Forscher zum Thema Neue Seidenstraße.
"Beim Konzept der 'Neuen Seidenstraße' geht es vor allem um neue Märkte. Wir brauchen Diversifizierung – wir brauchen Europa. Also überqueren wir den eurasischen Kontinent, wie der Trans-Eurasia-Express. Es geht schon um mehr Märkte für China, aber es trägt auch zum Wachstum der Weltwirtschaft bei. Die Länder brauchen China, um Zugstrecken und Infrastruktur zu bauen. Und wenn wir gemeinsam reich werden wollen, müssen wir unsere Straßen verbinden."
Die "Neue Seidenstraße" als Win-Win-Situationen, so heißt es immer wieder. Chinas Argumentation gegenüber anderen Ländern ist dabei immer die gleiche: "Wir können bei Euch Infrastruktur finanzieren und bauen, die Ihr unbedingt braucht!" Die Kritik, die "Neue Seidenstraße" sei vor allem eine Einbahnstraße zum Wohle der Chinesen, lässt der regierungsnahe Wissenschaftler Wang nicht gelten.
"Die Initiative 'Neue Seidenstraße' ist auf Jahrzehnte angelegt, nicht kurzfristig. In der frühen Phase macht China mit seinen Unternehmen die schwierige Arbeit. Eine Zugstrecke zu bauen, ist harte und schmutzige Arbeit und bringt auch nicht sofort Geld. Aber in der zweiten Phase kommen private Unternehmen dazu: nicht nur chinesische, sondern auch europäische, japanische, sogar amerikanische Unternehmen. Alle können dann Geld verdienen. Wir bauen Infrastruktur in Afrika und ihr könnt mehr investieren! Das ist die Idee der Kooperation der 'Neuen Seidenstraße'."
Staatspräsident Xi: Wir werden geltende Standards befolgen
Laut einer US-amerikanischen Studie werden bislang bis zu 90 Prozent der Projektaufträge entlang der "Neuen Seidenstraße" an Unternehmen aus China vergeben. Profiteure sind danach vor allem chinesische Bau-, Stahl- und Transportunternehmen, die die Infrastrukturprojekte mit umsetzen. Kritiker, wie auch die deutsche Bundesregierung, monieren, dass dabei verbindliche Regeln, faire Ausschreibungen und Transparenz auf der Strecke bleiben. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zeigt sich skeptisch.
"Unser Ziel ist es, dass wir deutlich machen: Wir glauben, dass diese Initiative grundsätzlich dazu beitragen kann, den Welthandel zu stärken. Aber: Konnektivität ist nicht ausreichend. Wir brauchen ein sogenanntes Level-Playing-Field. Das heißt, gleiche Rechte und gleiche Möglichkeiten für alle. Wir brauchen den Abbau von Behinderungen, die es heute noch gibt. Es geht um ganz konkrete Verbesserungen im Detail."
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat auf dem Seidenstraßen-Gipfel im April erstmals angekündigt, die Projekte qualitativ zu verbessern. Er stellte Veränderungen beim Infrastrukturprojekt "Neue Seidenstraße" und für China wirtschaftliche Reformen in Aussicht.
"Wir werden uns an die allgemein verbindlichen Regeln und Standards halten und auch die beteiligten Unternehmen ermutigen, die geltenden internationalen Standards zu befolgen. Bei der Projektentwicklung, der Projektausführung und auch bei den Ausschreibungsverfahren."
Chinas Kredite sind Schuldenfalle für ärmere Staaten
Finanziert werden die Projekte in der Regel von chinesischen Staatsbanken. Kritiker warnen davor, dass China mit seinen Krediten gerade ärmere Länder in die Schuldenfalle locken könnte. Projekte werden auf Pump finanziert und die betreffenden Staaten laufen dann in Gefahr, ihre Schulden nicht zurückzahlen zu können. Der Wissenschaftler Thomas Eder betreut am China-Forschungsinstitut Merics in Berlin ein Forschungsprojekt zum Thema Neue Seidenstraße.
"Es gibt auf jeden Fall Staaten, die hohe Kredite aufgenommen haben und auch schon nicht in der Lage waren, zurückzuzahlen. Da hat sich Beijing als sehr kreativ herausgestellt. In Afrika war man mitunter bereit, zu stunden oder auch Kredite abzuschreiben. In manchen Staaten hat man statt monetärer Rückzahlungen Rohstoffe angenommen, zum Beispiel von Venezuela Öl-Lieferungen. In Sri Lanka zum Beispiel hat man sich bereit erklärt, auch Assets anzunehmen, und zwar einen Hafen, den Hafen Hambantota, für 99 Jahren in Pacht zu nehmen, als Gegenleistung."
Die amerikanische Regierung hat China sogar vorgeworfen, absichtlich Kredite an Staaten zu vergeben, bei denen klar ist, dass sie nicht zurückgezahlt werden können. Das sei ein Prinzip der "Neuen Seidenstraße". Das Bild sei aber komplizierter, sagt Merics-Forscher Thomas Eder. Grundsätzlich bestehe aber die Gefahr nicht nur wirtschaftlicher sondern auch politischer Abhängigkeit von China.
"Eine Frage, die sicherlich im Raum steht und noch nicht beantwortet ist, sind die möglichen politischen 'strings attached'. Was man denn an politischen Gegenleistungen potenziell erwartet, wenn man dann so kleinen verwundbaren Volkswirtschaften doch sehr hohe Kredite gibt und dann potenziell erlässt."
"Die Neue Seidenstraße keine Wohltätigkeitsveranstaltung"
China bestreitet, eine Politik der Schuldenfallen und Abhängigkeiten zu verfolgen. Die Win-Win-Situation bei Projekten der Neuen Seidenstraße liege vor allem in der Zukunft, sagt der regierungsnahe Pekinger Experte Wang Yiwei.
"Natürlich ist die Neue Seidenstraße keine Wohltätigkeits-Veranstaltung. Wenn ich Dir ein Huhn gebe und Du das einfach mit der Suppe verspeist, dann hast Du Schulden bei mir. Aber die 'Neue Seidenstraße' gibt Dir ein Huhn – und dieses Huhn soll dann Eier legen. Und dann kommen immer neue Hühner. Und die legen dann auch Eier. Und in der Zukunft zahlst Du mir das Huhn dann zurück. Die Schulden sind also langfristig kein Problem für Dich."
Das Forschungsinstitut Merics listet rund 2000 Projekte auf, die von den Chinesen als Teil der Neuen Seidenstraße eingestuft werden, oder die den Zielsetzungen der Initiative entsprechen. In China gibt es dazu keine offizielle, komplette Liste. Die chinesische Regierung hat aber zwei Strategie-Papiere zur Initiative "Neue Seidenstraße" veröffentlicht, 2015 und 2017. Im ersten Papier gibt es noch kein eigenes Kapitel zur Sicherheitskooperationen, im zweiten dann schon. Die geopolitische Komponente wird wichtiger, sagt Merics-Forscher Thomas Eder.
"In diesem Kapitel zur Sicherheitskooperation bietet sich China an als Sicherheitspartner, als jemand der Technologie zur Verfügung stellen kann. Man bietet sich auch an als Sicherheitspartner bei Katastrophen-Prävention und – Bekämpfung, bei der Evakuierung aus Krisenregionen, bei Anti-Piraterie. Und sogar die Übersee-Basen, also Dschibuti als erste Übersee-Basis, aber auch die Häfen und Militäreinrichtungen im Südchinesischen Meer stellt China hier explizit in den Seidenstraßen-Kontext."
"Es geht nicht um eine dominante Macht"
Anders als seine Vorgänger übt sich Chinas Staatspräsident Xi Jinping nicht in außenpolitischer Bescheidenheit. China, einst ein mächtiges Kaiser- und Weltreich, soll an seinen angestammten Platz in der Weltgemeinschaft zurückkehren, so der Wille der politischen Führung. Das offizielle Motto lautet: die Wiedergeburt der Großen Chinesischen Nation. Gleichzeitig bestreitet China aber, mit dem Projekt "Neue Seidenstraße" neokoloniale Absichten zu verfolgen. Es sei kein Versuch, die Welt zu kolonisieren, wie Europa das früher getan habe. Die "Neue Seidenstraße" habe eine ganz andere DNA, sagt Politikwissenschaftler Wang Yiwei.
"Die Chinesen sind da schlauer! Wir sagen: die ganze Welt ist miteinander verbunden! Es geht nicht um eine dominante Macht. Nicht um die chinesische Vormachtstellung und auch nicht um eine andere. Alle Länder sind miteinander verbunden – darum geht es bei der Neuen Seidenstraße. Wir brauchen dieses globale System der gegenseitigen Verbundenheit. Die heutige USA-zentrierte Weltordnung ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wir haben das 21. Jahrhundert, keiner wird das 19. oder 20. Jahrhundert wiederholen können. China hat aus den Kriegen der Geschichte gelernt, unsere Mentalität, unsere Kultur zielt mehr auf Harmonie ab."
Wie sehr die Welt die Initiative "Neue Seidenstraße" wirklich begrüßt, bleibt aber fraglich. Längst nicht alle heißen die chinesische Investitionspolitik willkommen. In Ländern wie Sri Lanka, Malaysia und Vietnam hat sich die Stimmung bereits gedreht. Malaysia hat den Bau einer 20 Milliarden Dollar teuren Eisenbahnlinie bis zur thailändischen Grenze aussetzen lassen. Das Projekt sollte mit Hilfe chinesischer Staatsunternehmen und Kredite entstehen. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping ließ sich aber auf dem Seidenstraßen-Gipfel im April von seiner optimistischen Sicht nicht abbringen.
"Ich bin davon überzeugt, dass wir mehr Konsens und Resultate erreichen, wenn wir an einem Strang ziehen. Dann können wir die Neue Seidenstraße als Projekt der internationalen Kooperation voranbringen, und Menschen aller Länder können davon profitieren. Damit leisten wir einen großartigen Beitrag für die Schicksalsgemeinschaft der Menschheit."