Seifenoper im Westerwald
Katharina Born ist bisher dadurch bekannt, dass sie aus dem Nachlass Werke ihres berühmten Vaters Nicolas Born herausgegeben hat. Doch jetzt veröffentlicht sie selbst ihren ersten Roman.
Zum Teil kommt darin auch die Welt ihres Vaters vor: Wenn zum Beispiel langhaarige Männer in Kneipen namens "Eckstein" oder "Rote Quelle" Tischfußball spielen und revolutionäre Gespräche führen. Es geht um die Vater- und Muttergeneration in diesem Roman, um spezifische emotionale Spannungen und Zerreißzustände – aber das ist nur der Auslöser. Es handelt sich nicht um einen Schlüsselroman.
Der Text geht bis ins Kaiserreich zurück und verfolgt über mehrere Generationen die Familie Vahlen im Westerwald. Angefangen von der 13-jährigen Irma im Jahr 1865 über Martha, Hella, Judith und schließlich Alexia entsteht ein Bogen bis in die unmittelbare Gegenwart, mit wiederkehrenden Motiven und Irritationen. Geschichtliche wie private Katastrophen erscheinen aus Frauenperspektive: die dörfliche Brutalität und die Überlebensgier, Vergewaltigungen, Inzest und Inzestphantasien. Der Roman spielt auf mehreren Zeitebenen, die sich in rascher Folge ablösen. Sie erscheinen dadurch fast simultan, wie in den schnellen Schnitten einer Fernsehserie. Die Szenen sind jeweils nur wenige Seiten lang und tragen Überschriften wie Regieanweisungen.
Auf der Gegenwartsebene entdeckt ein Doktorand auf dem Dachboden der Witwe Peter Vahlens ein spätes Romanmanuskript des Dichters. Es scheint die Fortsetzung seines Erfolgsromans "Westerwald" zu sein – und es fächert Vahlens Familiengeschichte genauso auf, wie es der Roman Katharina Borns vorführt, in dem er eine Hauptrolle spielt. Die Spiegelungen vervielfachen sich noch dadurch, dass Vahlens Roman von seiner Frau zu der quotenträchtigen Fernsehsoap "Villa Westerwald" umgearbeitet worden ist.
Hier liegt der Ansatzpunkt dafür, dass Katharina Borns Roman offensiv die formalen Mittel solch einer Fernsehserie aufnimmt: Sie drückt immer stärker auf die Tube, das verfügbare Arsenal menschlicher Schicksale wird bis zur letzten Konsequenz ausgeschöpft. Die Autorin möchte die Reize der "Villa Westerwald", der von ihren Figuren entworfenen Soap-Opera, gleichzeitig aufnehmen und entlarven. An diesem Doppelsalto scheitert sie. Ein Problem dabei ist die Sprache: Sie bleibt bis zum Schluss einer deutschen Vorabendproduktion verhaftet, anstatt, der Handlung entsprechend, zu explodieren. Katharina Born setzt, was für das 19. Jahrhundert hinreicht, auf die Tradition des einfachen, sozialrealistischen Erzählens. Das funktioniert aber nicht, wenn es um Kolportage geht, um visuelle Effekte, um serielle Produktion.
Besprochen von Helmut Böttiger
Katharina Born: Schlechte Gesellschaft. Eine Familiengeschichte
Carl Hanser Verlag, München 2011
264 Seiten, 19,90 Euro
Der Text geht bis ins Kaiserreich zurück und verfolgt über mehrere Generationen die Familie Vahlen im Westerwald. Angefangen von der 13-jährigen Irma im Jahr 1865 über Martha, Hella, Judith und schließlich Alexia entsteht ein Bogen bis in die unmittelbare Gegenwart, mit wiederkehrenden Motiven und Irritationen. Geschichtliche wie private Katastrophen erscheinen aus Frauenperspektive: die dörfliche Brutalität und die Überlebensgier, Vergewaltigungen, Inzest und Inzestphantasien. Der Roman spielt auf mehreren Zeitebenen, die sich in rascher Folge ablösen. Sie erscheinen dadurch fast simultan, wie in den schnellen Schnitten einer Fernsehserie. Die Szenen sind jeweils nur wenige Seiten lang und tragen Überschriften wie Regieanweisungen.
Auf der Gegenwartsebene entdeckt ein Doktorand auf dem Dachboden der Witwe Peter Vahlens ein spätes Romanmanuskript des Dichters. Es scheint die Fortsetzung seines Erfolgsromans "Westerwald" zu sein – und es fächert Vahlens Familiengeschichte genauso auf, wie es der Roman Katharina Borns vorführt, in dem er eine Hauptrolle spielt. Die Spiegelungen vervielfachen sich noch dadurch, dass Vahlens Roman von seiner Frau zu der quotenträchtigen Fernsehsoap "Villa Westerwald" umgearbeitet worden ist.
Hier liegt der Ansatzpunkt dafür, dass Katharina Borns Roman offensiv die formalen Mittel solch einer Fernsehserie aufnimmt: Sie drückt immer stärker auf die Tube, das verfügbare Arsenal menschlicher Schicksale wird bis zur letzten Konsequenz ausgeschöpft. Die Autorin möchte die Reize der "Villa Westerwald", der von ihren Figuren entworfenen Soap-Opera, gleichzeitig aufnehmen und entlarven. An diesem Doppelsalto scheitert sie. Ein Problem dabei ist die Sprache: Sie bleibt bis zum Schluss einer deutschen Vorabendproduktion verhaftet, anstatt, der Handlung entsprechend, zu explodieren. Katharina Born setzt, was für das 19. Jahrhundert hinreicht, auf die Tradition des einfachen, sozialrealistischen Erzählens. Das funktioniert aber nicht, wenn es um Kolportage geht, um visuelle Effekte, um serielle Produktion.
Besprochen von Helmut Böttiger
Katharina Born: Schlechte Gesellschaft. Eine Familiengeschichte
Carl Hanser Verlag, München 2011
264 Seiten, 19,90 Euro