Seine Leidenschaft galt den Frauen
Edgar Degas interessierte sich nicht für rein malerische Fragen, er malte auch keine Landschaften. So ist es auch keine Überraschung, dass sich die Ausstellung "Edgar Degas. Intimität und Pose” im Hamburger Hubertus Wald Forum mit 60 Bildern und allen 73 Skulpturen den Frauen widmet.
Edgar Degas war von den Frauen fasziniert: Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr malte er sie seit den 1870er Jahren bis zu seinem Tod 1917 immer wieder: Mit Ölfarben, Kohle und bunter Kreide zeigt er Tänzerinnen bei der Probe, Frauen bei der Toilette - wie sie sich beim Baden den Rücken schrubben, oder sich, auf dem Wannenrand hockend, abtrocknen.
60 dieser Bilder hängen nun in den Räumen des Hubertus-Wald- Forums. Davor stehen - auf einzelnen Sockeln sowie mehreren großen tischartigen Podesten im Zentrum der Ausstellung - die 20 bis 60 Zentimeter großen Bronzeskulpturen. Und das wirkt, als seien die Frauen aus den Bildern getreten und zum Leben erweckt worden. Was dort eindimensional zu sehen ist, findet hier dreidimensional statt: Die Frauen kämmen sich, ziehen einen verrutschten Strumpf hoch und - drillen ihren Körper für die Bühne: Sie stehen auf Zehenspitzen. Haben ein Bein erhoben oder angewinkelt. Oder - irrwitziger Balanceakt - den Oberkörper tief nach vorn gebeugt und dabei ein Bein lang in die Luft gestreckt.
Kunsthallenleiter Hubertus Gassner: "Mir war wichtig, dass man auf einen Schlag gleich die Dynamik der Skulpturen wahrnimmt. Es sind ja alles Tänzerinnen, Frauen beim Baden. In Bewegung. Ihm war die Bewegung so wichtig, ein Zeichen der Modernität. Früher gab es immer ein Standbein, ein Spielbein, die Figuren waren aus einem Block. Er ist derjenige, der am meisten, glaube ich, mit dem Gleichgewicht und der Balance spielt. Dieses Ausreizen des Körpers in seinen Möglichkeiten, sich in dem Raum zu entfalten aber dann immer wieder die Erdung auch zu finden, das treibt er bei seinen Figuren bis ins Extrem."
Edgar Degas, 1834 in Paris geboren, studierte an der dortigen Kunstakademie, und malte lange Zeit große Historienbilder und Porträts seiner wohlhabenden Familie. Mit der sich herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft jedoch wandte er sich immer mehr dem einfachen Leben zu: Dem neuen Alltag in der Großstadt, den Individuen und ihrem Dasein. Degas’ einst penibler Strich wird nun flüchtig und skizzenhaft, und betont so die Flüchtigkeit des modernen Alltags, die er einzufangen sucht als ein Ausdruck seiner Zeit. Immer raffinierter und dynamischer werden auch seine Kompositionen: er arbeitet mit Anschnitten, leichten Aufsichten, komplizierten Rückenansichten. Und stets sind die Büglerinnen, Tänzerinnen und Badenden, die Degas sich zum Malen in sein Atelier bestellte, ganz bei sich.
"Obwohl es ja eine ganz künstliche Szene war haben wir doch das Gefühl, dass wir hier Menschen in ihrer Nacktheit vor uns haben, die sich überhaupt nicht darum kümmern, dass sie jemand betrachtet. Und das passiert ja ganz selten. Und ich glaube, deshalb hat er auch diese Arrangements gemacht. Das Baden steht gar nicht so im Vordergrund - sondern Menschen, die in ihre Tätigkeit versunken sind, dass er die darstellen wollte. Und dadurch bekommen sie auch eine enorme Würde, weil sie so ganz bei sich selbst sind und nicht für uns da sind."
Ungeschönt und fernab von Voyeurismus macht Degas diese Frauen, die der bürgerlichen Gesellschaft gemeinhin als Huren galten, bildwürdig; erhebt sie zu Kunst. Mit diesem Programm nahm er in den Siebziger- und Achtzigerjahren, als sich die Impressionisten in ihren Sommerlandschaften mit rein malerischen Fragen beschäftigten, eine Außenseiterrolle ein. Immerhin war der ziemlich unzugängliche Degas befreundet mit Manet, Pissaro und Sissley, und nahm auch regelmäßig an den Ausstellungen der Impressionisten teil. 1881 zeigte er dort seine Skulptur der "Kleinen Tänzerin von 14 Jahren”. Das knochige Mädchen misst fasst einen Meter, hat harte Gesichtszüge, trägt einen echten Ballettrock und im Pferdeschwanz eine echte Schleife.
"Das gab einen Riesenskandal, weil die so veristisch war, so wahrheitsgetreu. Dann hatte sie das Gesicht einer Verbrecherphysiognomie, war auch in einer Pose die zu selbstbewusst für ein Mädchen mit 14 Jahren galt, also das war sehr genau inszeniert. Daneben hat er dann ja Zeichnungen mit tatsächlichen Physiognomien von Verbrechern gehängt, um allen sozusagen - den Herren, die hinter der Bühne mit solchen Mädchen Umgang pflegten und amouröse Abenteuer - die gleichzeitig aber dann das Publikum der Ausstellung waren, um die zu provozieren, zu ärgern, um die Verlogenheit der Gesellschaft auch darzustellen. Es ging immer eigentlich zu Gunsten des Models und Zuungunsten der Gesellschaft, was er gemacht hat."
Nach dem Skandal um die "Kleine Tänzerin” stellte Degas nie wieder eine Skulptur aus, das Publikum schien es ihm nicht wert zu sein. Doch knetete er sich weiterhin Studienmodelle aus Wachs, um damit - nicht zuletzt aufgrund seiner nachlassenden Sehfähigkeit - Bewegungen nachvollziehen zu können. Ihre groben Oberflächenstrukturen erzählen dabei auch von dem haptischen Vergnügen, dass der Künstler beim Formen der Figuren empfunden haben muss.
"Wenn ich sehe, wie er diese Figuren knetet, wie er das ganz belässt, dass sie eigentlich grob wirken, dann ist das schon ein sehr sinnlicher Umgang mit Material. Dann hat das schon damit zu tun, dass er sozusagen einen körperlichen Kontakt sucht durch das Material, mit dem er arbeitet. Und er schafft sich, glaube ich, eigentlich jede Frau neu, bei jeder Skulptur."
Und so wirkt die Ausstellung, die Degas’ neue Themen, Form- und Raumvorstellungen eindrucksvoll vorführt, auch ein bisschen wie das Atelier Pygmalions: Als hätte der meist grimmige, zeitlebens unverheiratet gebliebene Künstler die Frauen seiner Bilder in den Skulpturen zum Leben erwecken wollen.
60 dieser Bilder hängen nun in den Räumen des Hubertus-Wald- Forums. Davor stehen - auf einzelnen Sockeln sowie mehreren großen tischartigen Podesten im Zentrum der Ausstellung - die 20 bis 60 Zentimeter großen Bronzeskulpturen. Und das wirkt, als seien die Frauen aus den Bildern getreten und zum Leben erweckt worden. Was dort eindimensional zu sehen ist, findet hier dreidimensional statt: Die Frauen kämmen sich, ziehen einen verrutschten Strumpf hoch und - drillen ihren Körper für die Bühne: Sie stehen auf Zehenspitzen. Haben ein Bein erhoben oder angewinkelt. Oder - irrwitziger Balanceakt - den Oberkörper tief nach vorn gebeugt und dabei ein Bein lang in die Luft gestreckt.
Kunsthallenleiter Hubertus Gassner: "Mir war wichtig, dass man auf einen Schlag gleich die Dynamik der Skulpturen wahrnimmt. Es sind ja alles Tänzerinnen, Frauen beim Baden. In Bewegung. Ihm war die Bewegung so wichtig, ein Zeichen der Modernität. Früher gab es immer ein Standbein, ein Spielbein, die Figuren waren aus einem Block. Er ist derjenige, der am meisten, glaube ich, mit dem Gleichgewicht und der Balance spielt. Dieses Ausreizen des Körpers in seinen Möglichkeiten, sich in dem Raum zu entfalten aber dann immer wieder die Erdung auch zu finden, das treibt er bei seinen Figuren bis ins Extrem."
Edgar Degas, 1834 in Paris geboren, studierte an der dortigen Kunstakademie, und malte lange Zeit große Historienbilder und Porträts seiner wohlhabenden Familie. Mit der sich herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft jedoch wandte er sich immer mehr dem einfachen Leben zu: Dem neuen Alltag in der Großstadt, den Individuen und ihrem Dasein. Degas’ einst penibler Strich wird nun flüchtig und skizzenhaft, und betont so die Flüchtigkeit des modernen Alltags, die er einzufangen sucht als ein Ausdruck seiner Zeit. Immer raffinierter und dynamischer werden auch seine Kompositionen: er arbeitet mit Anschnitten, leichten Aufsichten, komplizierten Rückenansichten. Und stets sind die Büglerinnen, Tänzerinnen und Badenden, die Degas sich zum Malen in sein Atelier bestellte, ganz bei sich.
"Obwohl es ja eine ganz künstliche Szene war haben wir doch das Gefühl, dass wir hier Menschen in ihrer Nacktheit vor uns haben, die sich überhaupt nicht darum kümmern, dass sie jemand betrachtet. Und das passiert ja ganz selten. Und ich glaube, deshalb hat er auch diese Arrangements gemacht. Das Baden steht gar nicht so im Vordergrund - sondern Menschen, die in ihre Tätigkeit versunken sind, dass er die darstellen wollte. Und dadurch bekommen sie auch eine enorme Würde, weil sie so ganz bei sich selbst sind und nicht für uns da sind."
Ungeschönt und fernab von Voyeurismus macht Degas diese Frauen, die der bürgerlichen Gesellschaft gemeinhin als Huren galten, bildwürdig; erhebt sie zu Kunst. Mit diesem Programm nahm er in den Siebziger- und Achtzigerjahren, als sich die Impressionisten in ihren Sommerlandschaften mit rein malerischen Fragen beschäftigten, eine Außenseiterrolle ein. Immerhin war der ziemlich unzugängliche Degas befreundet mit Manet, Pissaro und Sissley, und nahm auch regelmäßig an den Ausstellungen der Impressionisten teil. 1881 zeigte er dort seine Skulptur der "Kleinen Tänzerin von 14 Jahren”. Das knochige Mädchen misst fasst einen Meter, hat harte Gesichtszüge, trägt einen echten Ballettrock und im Pferdeschwanz eine echte Schleife.
"Das gab einen Riesenskandal, weil die so veristisch war, so wahrheitsgetreu. Dann hatte sie das Gesicht einer Verbrecherphysiognomie, war auch in einer Pose die zu selbstbewusst für ein Mädchen mit 14 Jahren galt, also das war sehr genau inszeniert. Daneben hat er dann ja Zeichnungen mit tatsächlichen Physiognomien von Verbrechern gehängt, um allen sozusagen - den Herren, die hinter der Bühne mit solchen Mädchen Umgang pflegten und amouröse Abenteuer - die gleichzeitig aber dann das Publikum der Ausstellung waren, um die zu provozieren, zu ärgern, um die Verlogenheit der Gesellschaft auch darzustellen. Es ging immer eigentlich zu Gunsten des Models und Zuungunsten der Gesellschaft, was er gemacht hat."
Nach dem Skandal um die "Kleine Tänzerin” stellte Degas nie wieder eine Skulptur aus, das Publikum schien es ihm nicht wert zu sein. Doch knetete er sich weiterhin Studienmodelle aus Wachs, um damit - nicht zuletzt aufgrund seiner nachlassenden Sehfähigkeit - Bewegungen nachvollziehen zu können. Ihre groben Oberflächenstrukturen erzählen dabei auch von dem haptischen Vergnügen, dass der Künstler beim Formen der Figuren empfunden haben muss.
"Wenn ich sehe, wie er diese Figuren knetet, wie er das ganz belässt, dass sie eigentlich grob wirken, dann ist das schon ein sehr sinnlicher Umgang mit Material. Dann hat das schon damit zu tun, dass er sozusagen einen körperlichen Kontakt sucht durch das Material, mit dem er arbeitet. Und er schafft sich, glaube ich, eigentlich jede Frau neu, bei jeder Skulptur."
Und so wirkt die Ausstellung, die Degas’ neue Themen, Form- und Raumvorstellungen eindrucksvoll vorführt, auch ein bisschen wie das Atelier Pygmalions: Als hätte der meist grimmige, zeitlebens unverheiratet gebliebene Künstler die Frauen seiner Bilder in den Skulpturen zum Leben erwecken wollen.