Seiner Zeit voraus

Von Carsten Probst |
Leben und Werk von Joseph Maria Olbrich dürften den einen oder anderen gestandenen Kunsthistoriker noch in Erstaunen versetzen. Denn der gebürtige Wiener, der den bei weitem größten Teil seines Lebens und seiner Karriere in Deutschland erlebte, war viel mehr als ein Jugendstil-Architekt mit Neigung zu überladener Fassadenornamentik, wie eine Ausstellung in Darmstadt zeigt.
"Das sind ja alles Dinge, die man einfach mit völligem Erstaunen wahrnimmt, was dieser Mann eben in zehn Jahren geschaffen hat."

In der Tat, Leben und Werk von Joseph Maria Olbrich dürften vermutlich auch den einen oder anderen gestandenen Kunsthistoriker noch in Erstaunen versetzen – so wie auch Ralf Beil, den Direktor der Mathildenhöhe Darmstadt. Dabei ist der gebürtige Wiener Olbrich, der den bei weitem größten Teil seines Lebens und seiner Karriere in Deutschland erlebte, gar nicht einmal ein Unbekannter. Die Frage ist eher, ob sein Name lange Zeit mit den falschen Begriffen assoziiert wurde. Jahrzehntelang galt er als Jugendstil-Architekt mit Neigung zu überladener Fassadenornamentik. Die Künstlerkolonie der Darmstädter Mathildenhöhe, der Olbrich selbst angehörte und für die er zahlreiche Gebäude entwarf, bezeugt dagegen, dass er sich in den letzten zehn Jahren seines Lebens auf dem Weg zu einer reduzierten, expressiven Formensprache der Moderne befand, die er in ihren Grundgedanken bereits vorwegnahm.

"Wenn Sie hier die Häuser Feinholz oder auch den Hochzeitsturm sehen, dann kann man sich auch da vorstellen, wenn der Mann 20 Jahre länger gelebt hätte, dann wäre er sozusagen Teil der Geschichte geworden. So ist er aber überrollt worden von dieser Welle natürlich erst des klassizistischen und dann wirklich des modernen Bauens. Dann hat man eigentlich nur noch gesehen, dass das eben Ornament ist."

Das Haus Feinholz auf der Mathildenhöhe baute Olbrich um die Jahrhundertwende, es ist einer der frühesten Flachdachbauten, lange vor den Ideen des Neuen Bauens entstanden, inspiriert von traditionellen nordafrikanischen Wohnhäusern, die Olbrich auf einer Stipendienreise nach Tunesien kennengelernt und gezeichnet hatte. Der Hochzeitsturm wiederum steht am Ende des Werkes von Olbrich und ist heute das Wahrzeichen der Mathildenhöhe. Der hoch aufragende Bau verzichtet auf jedes Ornament und setzt dagegen die Klinkerfassade als skulpturales Element ein, wie man es später von expressionistischen Fassadengestaltungen kennen wird.

Die Mainzer Kunstgeschichtsprofessorin Regina Stephan hat überall, wo sie Werk und Wirkung von Olbrich für diese Ausstellung recherchiert hat, Neuerungen gefunden, die ihrer Zeit voraus waren und die dann später anderen Namen zugeschrieben wurden. Fälschlicherweise, wie sich zeigt.

"Es ist wirklich erstaunlich, denn er hat sowohl architektonisch spannende Ideen entwickelt, aber auch eben Industriedesign gemacht, also die ganzen Gedanken vorausgegriffen, die dann im Werkbund quasi gebündelt werden. 1907 ist er ja auch Gründungsmitglied. Und er selber macht ja auch Entwürfe vom Briefpapier über die Etiketten, die Textilien, also zum Beispiel für die Firma Stade in Darmstadt – das Komplette! Den kompletten Auftritt dieser Firma, von den Werbeanzeigen über die Visitenkarten zum Ladendesign zu den Objekten selber – das ist alles aus einer Hand. Und das ist natürlich schon sehr früh für so ein Corporate Design."

Bislang galt eher Peter Behrens mit seiner Industriearchitektur für die AEG in Berlin als Vater des Corporate Design. Ein Blick in die Archive mit den Schriftwechseln von Olbrich rückt die Sache in ein anderes Licht. Behrens war kurzzeitig wie Olbrich Teil der Darmstädter Künstlerkolonie, zog sich aber von dort zurück, weil er sich gegen Olbrichs Vormachtstellung vermutlich nicht durchsetzen konnte. Die von Olbrich maßgeblich entwickelte Idee eines Gesamtkunstwerks als Zusammenfassung von Architektur, Kunst und Design nahm Behrens jedoch anscheinend als Anregung mit. Ähnlich erging es Olbrich mit seinem Bau des Wiener Secessionsgebäudes, das lange Zeit irrtümlich seinem Mentor aus der Wiener Zeit, Otto Wagner, zugeschrieben worden war. Und dann war da noch ein Mann namens Walter Gropius:

"Also, Gropius ist ein gutes Stichwort. Die Ausstellung endet mit dem Bauhaus-Manifest. Das Bauhaus-Manifest ist ja gropius-formuliert, und da schreibt er ja: "Architekten und Künstler, wir alle müssen zum Handwerk zurück. Bilden wir eine neue Zunft!" Und das ist genau das, was Olbrich 1898 fordert in diesem berühmten Text, und Gropius schreibt das 1919 ins Bauhaus-Manifest, und da lässt sich wirklich eine direkte Brücke bauen. Das heißt, das ist im Prinzip das Modell: Darmstadt wird dann eben über den Krieg transportiert bis nach Weimar 1919. Und damit kriegt Olbrich in der Tat eine andere Bedeutung, als man es ihm bislang zugestanden hat."

So mancher, der bis heute als Mitbegründer der modernen Architektur gilt, war mit Gedanken und Ideen zur Moderne deutlich später unterwegs als Joseph Maria Olbrich. Das zeigt diese Ausstellung mit detektivischer Akribie und zugleich im Stil eines großzügig angelegten Spaziergangs zwischen über vierhundert Exponate. Architekturmodelle und -zeichnungen, Möbel und Designstudien bilden das breite Spektrum von Olbrichs Werk ab, das ganz am Schluss, in den letzten beiden Jahren zwischen 1906 und 1908, die entscheidende Wende weg vom ornamentellen Stil zur einer immer stärker reduzierten, klaren Formensprache vollzog und damit seine weitere Entwicklung andeutet. Olbrich stand auf dem Höhepunkt seines Ruhms, als er vierzigjährig an Leukämie starb. Sein früher Tod hat verhindert, dass er seinen Namen als Teil der Geschichte der Moderne weiter behaupten konnte, meint Ralf Beil.

"Das geht ja bis hin zu dem Le Corbusier, der ja tatsächlich in einer Art Abstoßungsreaktion, aber doch auch sehr angezogen war von dem Werk. Und wenn man da wirklich Vergleiche zieht von seinen Häusern, diesen Fertighäusern, die er in den 20er-Jahren macht, zu den Entwicklungen von 1899 von Olbrich: Er sagt 1899 schon: "Das Haus wird zur Maschine." Das ist ein Spruch, der von Le Corbusier wirklich in die Welt hinausgetragen wurde als Credo der Moderne. Ist aber entstanden spätestens gedruckt 1900 eben bei Joseph Maria Olbrich."

Service

Joseph Maria Olbrich 1867-1908: Architekt und Gestalter der frühen Moderne

7. Februar – 24. Mai 2010
Mathildenhöhe Darmstadt