Seines Zeichens Schornsteinfeger

Von Stefan Ludmilla Wieszner |
Am Menschen- und Berufsbild äußerst interessiert, in zahlreichen künstlerischen und politischen Engagements zu Hause, war ihm nichts Menschliches fremd, so auch nicht "Ein Mann, Karl Flieder, seines Zeichens Schornsteinfeger". Jener "ging einmal in eine Bibliothek und kam aus dem Staunen über die vielen Bücher nicht heraus", soweit der Nervenarzt, Kulturoffizier und Schriftsteller Alfred Döblin.
Einen streitbaren, sehr sozialen und unruhigen Geist bescheinigten ihm die Berliner Akademiekollegen Ricarda Huch und Hans Henny Jahnn. Alfred Döblin, ein Getriebener, ein Vertriebener - eine "brennende Fackel", wie Hans Sahl die Exilliteraten nannte. Döblin, der selbst zum Symbol eines Ringens um Sprache, Wissen und Anerkennung wurde, ist für uns heute ein Prinzip Erinnern mit mehr als tausend Fragen.

Aus dem Sendungsmanuskript
Existenzsicherung bedeutet natürlich in allererster Linie: möglichst genaue und umfassende Wahrnehmung und das Erkennen der eigenen Lebenssituation. Ob als Nerven-, Militär- oder Irrenanstaltsarzt, Zeitgenosse der aufkeimenden Psychoanalyse, als Schriftsteller mit kulturpolitischem Bewusstsein und Sendungsbewusstsein, kurz: als politisch und sozial empfindender und denkender Mensch - Alfred Döblin legte in Biographie und Bibliographie ein lebendiges Zeugnis seiner selbst ab. Ein vielschichtiges Exempel seiner nicht minder vielschichtigen Zeit. Sein Engagement in diversen literarischen Zirkeln, Zeitungen, Zeitschriften und Verbänden - im kulturellen Leben und sozialem Milieu Berlins war beachtlich und gefürchtet. Dies veranschaulichte auch sein literarisch hochmoderner Montageroman Berlin Alexanderplatz' von 1929. Hat er hier bereits als literararisches Stilmittel eine Form des Exils vorweggenommen, das die Identität aufzuheben drohte? In seinem Roman, titelgebend sein alter ego, entstand mit Franz Biberkopf, eine Mischung aus Hiob und Odysseus, ein neuer Typus von Kreatur des neusachlichen Jahrzehnts.

Döblin diagnostizierte und bekämpfte das typische, fassadenhafte und überkommende Denken und Handeln, das er bei vielen seiner Zeitgenossen erkannte oder meinte zu erkennen. Dieser merkwürdige Gehorsam seiner Zeitgenossen, ob in religiöser, ökonomisch bedingter oder auch geschlechtspezifischer Hinsicht, eine Schicksalsgläubigkeit, die er vehement ablehnte. Er plädierte, darin ganz kantianisch, für eine aufklärerisch-rationale Tradition. Also war seine Devise: das Unmündige in Mündigkeit und das Unterbewusstsein ins Bewusstsein zu überführen.

Arzt und Schriftsteller
Geboren am 10. August 1878 in Stettin, verließ der Vater die Familie wegen einer jüngeren Frau. Die Mutter zog 1888 mit ihren fünf Kindern nach Berlin, und Alfred Döblin sog das Großstadtleben begierig auf, erregt vor allem von allen technischen Neuerungen. Er studierte Medizin und praktizierte von 1905 bis 1930 als Nervenarzt in Regensburg, Freiburg und Berlin; nebenbei arbeitete er an seinen literarischen Projekten, war Mitarbeiter der expressionistischen Zeitschrift "Der Sturm" und veröffentlichte im deutschsprachigen "Prager Tagblatt" Theaterrezensionen, Filmbesprechungen und Skizzen aus den Berliner Straßen, erste Schreibvorbereitungen für "Berlin Alexanderplatz".

Dann auf dem Höhepunkt seiner Anerkennung der Bruch: Im Februar 1933, nach dem Reichstagsbrand, verließ Alfred Döblin als Jude das nationalsozialistische Deutschland über die Schweiz Richtung Paris und wurde französischer Staatsbürger; später emigrierte er weiter nach Amerika.

1945 gehörte Döblin zu den ersten emigrierten Autoren, die nach Europa und dann auch bald nach Deutschland zurückkamen. Von Baden-Baden und Mainz aus versuchte der französische Staatsbürger im Rang eines Obersten der französischen Militärverwaltung ein neues literarisches Leben in Deutschland mit aufzubauen und wusste auch einige junge Autoren um sich zu scharen, darunter Günter Grass. Aber Döblin, der sich gegen Ende der Weimarer Republik politisch links auf Seiten der SPD artikuliert hatte, war über die beginnende Restauration in Westdeutschland so enttäuscht, dass er 1953 wieder nach Frankreich ging.

Gestorben ist Alfred Döblin, die Parkinsonsche Krankheit hatte ihn zum Pflegefall gemacht, am 26. Juni 1957 in Emmendingen, wo er sich zu einem Kuraufenthalt aufhielt. Begraben liegt er auf dem Friedhof von Housseras in den Vogesen.

Biografie von Alfred Döblin


Mit "Berlin Alexanderplatz" zum Weltruhm
Alfred Döblin war 51 Jahre alt, als er mit "Berlin Alexanderplatz" einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller wurde.

"Berlin Alexanderplatz" war der erste Großstadtroman der deutschen Literatur und sein Erscheinen ein Paukenschlag in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Der Autor war zu dem Zeitpunkt aber längst kein Unbekannter mehr, Fontane-Preisträger des Jahres 1916, der vieles und Verschiedenartiges veröffentlicht hatte, Novellen, einen Wallenstein-Roman, eine Phantasmagorie über China, Kriminalstudien, naturphilosophische Betrachtungen wie "Das Ich über der Natur".

Formal bot Döblins Roman 1929 in der deutschen Literatur eine Aufsehen erregende Erneuerung. Das hektische Großstadtleben wurde darin nicht nur in einem expressionistisch-erhitzten Stil beschrieben, sondern das Buch gab die ganze Fremdheit und das Stückwerk eines Lebens auch durch eine ungewöhnliche Optik wieder, indem durch Collagen und Überblendungen Wirklichkeitsfetzen etwa als Zeitungsschlagzeilen in den Text montiert waren und überhaupt alles in dem Roman Platz fand, was das Großstadtleben ausmacht.

Sein Weg zum Erfolg findet 1933 ein jähes Ende. "Ich pflege meinen Döblinismus"


Alfred Döblins Werk fasziniert in seiner Vielschichtigkeit bis heute. Günter Grass nannte Döblin seinen Lehrer. Arno Schmidt, der nicht viele gelten ließ, ließ doch Döblin gelten.
Büchermarkt: Wegbereiter der literarischen Moderne

Die Reportage: Berlin-Alexanderplatz

Internationale Alfred Döblin-Gesellschaft

Der Alfred-Döblin-Preis ist ein nach Alfred Döblin benannter Literaturpreis für unveröffentlichte Prosa, der 1979 von Günter Grass gestiftet wurde.

Literatur
Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz
dtv Taschenbuch, ISBN-13: 978-3423002950, 8,90 Euro

Auch als Audio-CD erhältlich
Patmos Verlag, ISBN-13: 978-3491910751, 22,95 Euro

Alfred Döblin: Die drei Sprünge des Wang-lun: Chinesischer Roman
dtv, ISBN-13: 978-3423135702, 15 Euro

Alfred Döblin: Die Ermordung einer Butterblume: Und andere Erzählungen
dtv, ISBN-13: 978-3423131995, 8 Euro

Alfred Döblin: Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende
dtv, ISBN-13: 978-3423127370, 13,55 Euro

Alfred Döblin: Reise in Polen
dtv, ISBN-13: 978-3423128193, 15 Euro

Oliver Bernhard: Alfred Döblin
dtv, ISBN-13: 978-3423310864, 10 Euro

Christina Althen, Alfred Döblin: Das gefährlichste Organ des Menschen ist der Kopf
dtv, ISBN-13: 978-3423135481, 6 Euro

Radlmaier, Steffen: Der Nürnberger Lernprozeß, 2 Audio-CDs.
Eichborn; Lido. 2005. ISBN 382185393X. 19

Steffen Radlmaier: Der Nürnberger Lernprozeß, Erfolgsausgabe.
Eichborn. 2001. 367 S. ISBN 3821847255. 25,90 €"

Rainer Werner Fassbinders monumentale Verfilmung von Berlin Alexanderplatz ist in einer restaurierten Fassung auf DVD herausgegeben worden. Die DVD-Box ist erschienen bei der Süddeutschen Zeitung Cinemathek.