Richard Rohrmoser: „Antifa“
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Seismograf des Antidemokratischen
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Richard Rohrmoser
Antifa. Porträt einer linksradikalen BewegungC.H. Beck, München 2022208 Seiten
16,00 Euro
Seit 90 Jahren gegen rechts: In seiner Geschichte der Antifa in Deutschland plädiert der Historiker Richard Rohrmoser für eine differenzierte Sicht auf eine polarisierende politische Bewegung.
Schwarze Kleidung, wehende Fahnen, vermummte Gesichter. So sieht die breite Öffentlichkeit „die Antifa“. Das Feindbild eines homogenen, marodierenden Blocks sitzt tief. Deren Mitglieder erklärte der ehemalige US-Präsident Donald Trump kurzerhand gar zu Terroristen und wollte sie verbieten lassen.
In seinem Buch will Richard Rohrmoser ein „differenziertes Bild“ dieser mythischen Masse zeichnen. Für den Historiker an der Universität Mannheim, Spezialist für soziale Bewegungen, ist „Antifa“ nämlich nur ein „Sammelbegriff für verschiedene linke Strömungen“ mit ähnlichen Symbolen aber unterschiedlichen Zielen.
Vom Antifaschismus zum Antikapitalismus
In Form eines gerafften historischen Überblicks macht Rohrmoser klar, dass es kein Zentralkomitee der Antifa gab und gibt. Anders als bei den straff organisierten Rechtsextremen, Alt- und Neofaschisten.
Rohrmosers Chronologie reicht von der Proklamation der „Antifaschistischen Front“ vor der Reichstagswahl 1932 über die 1947 gegründete Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) bis zu der Interventionistischen Linken von 2005 und ihren Strömungen wie den „Antiimperialisten“ oder „Antideutschen“.
Dem Wissenschaftler gelingt es gut, den Wechsel der Ansätze herauszuarbeiten. Entstand die Antifa zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Front gegen den entstehenden Faschismus von Mussolini und Hitler, weitet sich spätestens mit der Studentenrevolte in Westdeutschland der Fokus.
Gegen die Gleichsetzung von Links- und Rechtsradikalen
Die „Autonome Antifa“ wollte Ende der 1980er-Jahre antifaschistischen und antikapitalistischen Kampf verbinden. Ihre Zentren waren der 1971 gegründete, dogmatische Kommunistische Bund (KB) und die nach dem Tunix-Kongress 1978 in Westberlin entstandenen Sponti-Gruppen.
Mit Hausbesetzungen oder Anti-NPD- und Anti-AKW-Demonstrationen lösten sie ihre antifaschistische Arbeit aus der Sackgasse der „Nie-Wieder-Rituale". Mit Events wie Rock gegen Rechts leiteten sie einen Cultural Turn ein. Die schwarz-roten Flaggen auf dem historischen Emblem von 1932 drehten sie demonstrativ nach links.
Rohrmosers knapper, nüchterner und faktengesättigter Band kommt zur rechten Zeit. Angesichts der Beispiele unorthodoxer Recherchen und Aktionen, die rechtsradikale Umtriebe aufdeckten, überzeugt seine positive Wertung der Antifa als demokratisches „Frühwarnsystem“ und „Seismograf“ für antidemokratische Tendenzen. Schließlich zollte ihrer Expertise selbst der Verfassungsschutz gelegentlich Respekt.
Diese aufklärerische Funktion der Bewegung zusammen mit ihrem humanistisch-egalitären Grundimpuls macht auch Rohrmosers Kritik an der pauschalen Gleichsetzung von Links- und Rechtsradikalen plausibel.
Im Zwiespalt zwischen Legalität und Legitimität
Rohrmosers Sympathie für seinen Gegenstand hindert ihn freilich nicht daran, den Finger in die Wunde zu legen: den „Faktor Gewaltbereitschaft“. Nüchtern beschreibt er den „Zwiespalt zwischen Legalität und Legitimität“, an dem die multiple Antifa bis heute laboriert.
So notwendig Antifaschismus heute angesichts des globalen politischen Rechtsdrifts auch ist, so wichtig ist auch Rohrmosers Mahnung, dass die „breite Antifa-Bewegung einzelnen zur Gewalt bereiten Gruppen nicht ohne Weiteres das Deutungsmonopol“ überlassen sollte darüber, was sie als Bewegung ist und sein will.