"Seit Langem überholt"
Nach Einschätzung des Herausgebers der Zeitschrift "Zenith" hat sich die Rolle von islamischen Männern verändert. "Das, was die Alten einem mitgegeben haben, ist weniger attraktiv geworden", sagte Gerlach.
Stephan Karkowsky: Bei mir zu Gast ist der Islamwissenschaftler Daniel Gerlach. Guten Tag!
Daniel Gerlach: Guten Morgen!
Karkowsky: Herr Gerlach, ein blonder, romantischer Held, der seine berufstätige Frau unterstützt, das widerspricht natürlich allen Klischees, die wir von muslimischen Männern haben und nun greifen ja auch Sie in der von Ihnen mitbegründeten Zeitschrift "Zenith" das Männerbild im Islam auf und reden vom Patriarchat in der Krise. Wie würden Sie denn diese Krise beschreiben?
Gerlach: Na ja, früher war es so oder bisher ist es so, dass in der islamischen Welt jeder ältere Mann von einem anderen Mann als Vater angesprochen wird. Und das hat natürlich vor allem damit zu tun, dass diese traditionellen Familienbilder in der islamischen oder vielleicht eher in der muslimischen, arabischen Welt noch viel stärker präsent sind. Das ändert sich jetzt, denn nicht alles, was traditionell übernommen wird, hält den heutigen Ansprüchen stand. Heute gibt es junge Männer, die Start-up-Unternehmen gründen, die in internationalen Konzernen arbeiten wollen. Und dementsprechend habe sich die Ideale natürlich verändert. Und das, was die Alten einem mitgegeben haben, ist weniger attraktiv geworden.
Karkowsky: Lassen Sie mich mal eine ganz grundsätzliche Frage stellen. Warum unterscheiden sich denn eigentlich die Rollenmuster islamischer Männer von denen in eher christlich geprägten Gesellschaften? Oder ist diese Unterscheidung auch nur ein Klischee?
Gerlach: Ich bin mir da nicht ganz sicher. Wenn man nach Lateinamerika guckt, was wahrscheinlich der Kontinent mit der stärksten christlich-katholischen Kultur ist, dann werden Sie feststellen, dass die Klischees vom Macho, von der unterdrückten Frau ebenso Verbreitung finden wie in der islamischen Welt. Ich vermute, dass das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der islamischen Welt kein grundsätzlich anderes ist als bei uns. Ich glaube nur, dass es in der Öffentlichkeit sich anders darstellt. Aber im privaten Bereich denke ich mal nicht, dass es so große Unterschiede gibt. Das Christentum hat halt den Vorteil, dass es gerade kompatibel wurde mit dem Ideal der bürgerlichen Liebe irgendwann. Denn das Christentum musste keine Stammesgesellschaft regeln, wie es der Koran, die Grundlage des Islam, vor 1400 Jahren mal tun musste.
Karkowsky: In der Öffentlichkeit, das, was wir sehen, von muslimischen Männern und Frauen, wenn sie denn religiös sind, sind ja zum Beispiel Bilder wie, der muslimische Mann geht voran, die muslimische Frau schreitet ein paar Schritte hinterher, ist tief verschleiert, das Kopftuch, das immer wieder als Symbol der Unterdrückung genannt wird. Ist denn das Verhältnis zwischen Mann und Frau im Islam noch immer das aus der Entstehungszeit des Koran, also 1400 Jahre alt?
Gerlach: Ganz sicher nicht. Allein aus finanziellen Gründen kann sich kaum ein muslimischer Mann es sich leisten, vier oder mehr Frauen zu unterhalten. Dementsprechend ist er viel stärker von dem abhängig, was seine Frau ihm sagt. In Ländern wie Ägypten zum Beispiel tragen Frauen zu einem großen Teil, zumindest in der städtischen Bevölkerung, zum Lebensunterhalt der Familie bei. Ich bin mir nicht sicher, ob man sagen kann, dass hinter geschlossenen Wänden der Mann tatsächlich die Hosen anhat und der Mann die Entscheidungen für die Familie trifft.
Karkowsky: Sie hören im Deutschlandradio Kultur den Islamwissenschaftler Daniel Gerlach. In der neuesten Ausgabe von "Zenith – Zeitschrift für den Orient" sieht er das Patriarchat der Muslime in der Krise. Herr Gerlach, ich habe mal ein so ein bisschen mir die Zitate angeschaut. Sie zitieren ja im Heft Meinungen von Männern und Frauen aus aller Welt zur Rolle des Mannes im Islam. Da heißt es dann: Die Frau sollte ihn um Erlaubnis fragen, bevor sie das Haus verlässt. Oder, dass Männer besser geeignet sind für Führungspositionen. Oder, der Mann ist der Lehrer seiner Frau. Das klingt mir nicht nach besonders modernen Ansichten. Ist denn der Islam noch nicht im Jetzt angekommen?
Gerlach: Ich glaube, es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Schein und dem Sein. Natürlich, wir haben das nicht statistisch gemacht, wir haben Mitarbeiter in die islamische Welt geschickt, in den Sudan, nach Marokko, nach Indonesien, in den Libanon, nach Jordanien, um halt originelle, aber zum Teil auch repräsentative Ansichten einzuholen. Und das, was eigentlich mir viel stärker aufgefallen ist als bindendes Element, ist die Aussage, die Frau sollte dem Mann das Gefühl geben, dass er stark ist und Verantwortung hat. Das heißt, das Kratzen an der männlichen Eitelkeit ist das, was eigentlich Ärger hervorruft. Deswegen glaube ich, dass die Männer auch in der Lage sind, das einzusehen und sich damit zufrieden geben würden, wenn man ihnen einfach das Gefühl gibt, wichtig zu sein und der Herr der Familie zu sein. Alles andere regelt sich dann von selbst.
Karkowsky: Aber klären Sie mich auf. Wie ist es denn, wenn ich in Neukölln, in Berlin, unterwegs bin, in Kreuzberg oder in Köln-Mülheim. Ist es tatsächlich so, dass die muslimische Frau ihren Mann fragen muss, bevor sie aus dem Haus gehen darf?
Gerlach: Das kann sicher so sein. Wir haben da keine empirischen Erhebungen gemacht, bei wie viel Prozent der Familien das der Fall ist. Aber letztendlich sind diese Regeln oft nicht praktisch anwendbar, denn, wie gesagt, die Familie hängt von dem Engagement der Frau ab. Die Frau erledigt Einkäufe und geht zum Teil arbeiten, trägt zum Lebensunterhalt der Familie bei. Deswegen glaube ich, dass man das so pauschal nicht sagen kann.
Karkowsky: In Ihrer Zeitschrift berichtet ja auch sehr spannend ein palästinensischer Psychoanalytiker über die Arbeit mit arabischen Patienten und Patientinnen. Ein arabischer Mann in der Therapie. Ist das etwas Neues oder nicht generell ein Widerspruch an sich?
Gerlach: Na, wie der Psychoanalytiker Gehad Marzaweh sagt, arbeitet der schon länger mit arabischen Männern. Aber er sagt, er hat andere Probleme beziehungsweise sind die Probleme, die er grundsätzlich mit Männern hat, bei den arabischen Patienten noch etwas stärker. Das auf jeden Fall. Ich glaube, die Einsicht, dass man professionelle, das heißt, therapeutische Hilfe für ein psychisches Problem in Anspruch nimmt, ist auch bei europäischen Männern noch nicht so alt. Aber in der arabischen Welt ist sie natürlich grundsätzlich komplizierter, weil Freud die ganze Tradition der Psychoanalyse dort nicht die Reputation genießt, die sie bei uns hat.
Karkowsky: Was ist denn nun die Botschaft Ihres Schwerpunktes Männer im "Zenith-Heft – Zeitschrift für den Orient". Ist es tatsächlich, nichts ist, wie es einmal war? Das Bild, was wir von muslimischen Männern im Kopf haben, ist längst überholt?
Gerlach: Das Bild, was wir von muslimischen Männer allgemein haben, sofern man diese mehreren hundert Millionen Menschen so zusammenfassen kann, ist, denke ich, seit Langem überholt, was aber nicht bedeutet, das ist ja das Schöne an Klischees, dass wir es nicht immer wieder auch antreffen. Was uns interessiert hat, ist einfach zu sehen, was steht denn hinter diesem Männlichkeitsideal. Ich glaube, dass dieses, was wir uns so vorgestellt haben, in Europa seit dem 19. Jahrhundert, dieses Ideal vom schweigsamen Wüstensohn, der keine Gefühle zeigt, ein völlig überholtes ist. Es ist zwar ein romantisches, aber in keiner Weise ein zutreffendes. Männer in der muslimischen Welt und insbesondere in der arabischen Welt zeigen Gefühle, zeigen gegenüber einander Gefühle. Aber sie tun es, immer darauf bedacht, eine gewisse Form von Würde natürlich zu bewahren. Aber sie weinen, sie küssen sich, sie schreien auf der Straße herum, das natürlich passiert alles. Manchmal, habe ich das Gefühl, viel stärker als bei uns in Europa. Was uns interessiert hat, war zu hinterfragen, wie sehen sich die Männer in der arabischen Welt selbst, und wie werden sie natürlich von ihren Frauen wahrgenommen.
Karkowsky: Und wer das nachlesen möchte, für den sage ich gerne noch mal, das Heft heißt "Zenith – Zeitschrift für den Orient" und Sie hörten einen der Autoren, den Islam-Wissenschaftler Daniel Gerlach zur Krise des islamischen Patriarchats. Besten Dank!
Daniel Gerlach: Guten Morgen!
Karkowsky: Herr Gerlach, ein blonder, romantischer Held, der seine berufstätige Frau unterstützt, das widerspricht natürlich allen Klischees, die wir von muslimischen Männern haben und nun greifen ja auch Sie in der von Ihnen mitbegründeten Zeitschrift "Zenith" das Männerbild im Islam auf und reden vom Patriarchat in der Krise. Wie würden Sie denn diese Krise beschreiben?
Gerlach: Na ja, früher war es so oder bisher ist es so, dass in der islamischen Welt jeder ältere Mann von einem anderen Mann als Vater angesprochen wird. Und das hat natürlich vor allem damit zu tun, dass diese traditionellen Familienbilder in der islamischen oder vielleicht eher in der muslimischen, arabischen Welt noch viel stärker präsent sind. Das ändert sich jetzt, denn nicht alles, was traditionell übernommen wird, hält den heutigen Ansprüchen stand. Heute gibt es junge Männer, die Start-up-Unternehmen gründen, die in internationalen Konzernen arbeiten wollen. Und dementsprechend habe sich die Ideale natürlich verändert. Und das, was die Alten einem mitgegeben haben, ist weniger attraktiv geworden.
Karkowsky: Lassen Sie mich mal eine ganz grundsätzliche Frage stellen. Warum unterscheiden sich denn eigentlich die Rollenmuster islamischer Männer von denen in eher christlich geprägten Gesellschaften? Oder ist diese Unterscheidung auch nur ein Klischee?
Gerlach: Ich bin mir da nicht ganz sicher. Wenn man nach Lateinamerika guckt, was wahrscheinlich der Kontinent mit der stärksten christlich-katholischen Kultur ist, dann werden Sie feststellen, dass die Klischees vom Macho, von der unterdrückten Frau ebenso Verbreitung finden wie in der islamischen Welt. Ich vermute, dass das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der islamischen Welt kein grundsätzlich anderes ist als bei uns. Ich glaube nur, dass es in der Öffentlichkeit sich anders darstellt. Aber im privaten Bereich denke ich mal nicht, dass es so große Unterschiede gibt. Das Christentum hat halt den Vorteil, dass es gerade kompatibel wurde mit dem Ideal der bürgerlichen Liebe irgendwann. Denn das Christentum musste keine Stammesgesellschaft regeln, wie es der Koran, die Grundlage des Islam, vor 1400 Jahren mal tun musste.
Karkowsky: In der Öffentlichkeit, das, was wir sehen, von muslimischen Männern und Frauen, wenn sie denn religiös sind, sind ja zum Beispiel Bilder wie, der muslimische Mann geht voran, die muslimische Frau schreitet ein paar Schritte hinterher, ist tief verschleiert, das Kopftuch, das immer wieder als Symbol der Unterdrückung genannt wird. Ist denn das Verhältnis zwischen Mann und Frau im Islam noch immer das aus der Entstehungszeit des Koran, also 1400 Jahre alt?
Gerlach: Ganz sicher nicht. Allein aus finanziellen Gründen kann sich kaum ein muslimischer Mann es sich leisten, vier oder mehr Frauen zu unterhalten. Dementsprechend ist er viel stärker von dem abhängig, was seine Frau ihm sagt. In Ländern wie Ägypten zum Beispiel tragen Frauen zu einem großen Teil, zumindest in der städtischen Bevölkerung, zum Lebensunterhalt der Familie bei. Ich bin mir nicht sicher, ob man sagen kann, dass hinter geschlossenen Wänden der Mann tatsächlich die Hosen anhat und der Mann die Entscheidungen für die Familie trifft.
Karkowsky: Sie hören im Deutschlandradio Kultur den Islamwissenschaftler Daniel Gerlach. In der neuesten Ausgabe von "Zenith – Zeitschrift für den Orient" sieht er das Patriarchat der Muslime in der Krise. Herr Gerlach, ich habe mal ein so ein bisschen mir die Zitate angeschaut. Sie zitieren ja im Heft Meinungen von Männern und Frauen aus aller Welt zur Rolle des Mannes im Islam. Da heißt es dann: Die Frau sollte ihn um Erlaubnis fragen, bevor sie das Haus verlässt. Oder, dass Männer besser geeignet sind für Führungspositionen. Oder, der Mann ist der Lehrer seiner Frau. Das klingt mir nicht nach besonders modernen Ansichten. Ist denn der Islam noch nicht im Jetzt angekommen?
Gerlach: Ich glaube, es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Schein und dem Sein. Natürlich, wir haben das nicht statistisch gemacht, wir haben Mitarbeiter in die islamische Welt geschickt, in den Sudan, nach Marokko, nach Indonesien, in den Libanon, nach Jordanien, um halt originelle, aber zum Teil auch repräsentative Ansichten einzuholen. Und das, was eigentlich mir viel stärker aufgefallen ist als bindendes Element, ist die Aussage, die Frau sollte dem Mann das Gefühl geben, dass er stark ist und Verantwortung hat. Das heißt, das Kratzen an der männlichen Eitelkeit ist das, was eigentlich Ärger hervorruft. Deswegen glaube ich, dass die Männer auch in der Lage sind, das einzusehen und sich damit zufrieden geben würden, wenn man ihnen einfach das Gefühl gibt, wichtig zu sein und der Herr der Familie zu sein. Alles andere regelt sich dann von selbst.
Karkowsky: Aber klären Sie mich auf. Wie ist es denn, wenn ich in Neukölln, in Berlin, unterwegs bin, in Kreuzberg oder in Köln-Mülheim. Ist es tatsächlich so, dass die muslimische Frau ihren Mann fragen muss, bevor sie aus dem Haus gehen darf?
Gerlach: Das kann sicher so sein. Wir haben da keine empirischen Erhebungen gemacht, bei wie viel Prozent der Familien das der Fall ist. Aber letztendlich sind diese Regeln oft nicht praktisch anwendbar, denn, wie gesagt, die Familie hängt von dem Engagement der Frau ab. Die Frau erledigt Einkäufe und geht zum Teil arbeiten, trägt zum Lebensunterhalt der Familie bei. Deswegen glaube ich, dass man das so pauschal nicht sagen kann.
Karkowsky: In Ihrer Zeitschrift berichtet ja auch sehr spannend ein palästinensischer Psychoanalytiker über die Arbeit mit arabischen Patienten und Patientinnen. Ein arabischer Mann in der Therapie. Ist das etwas Neues oder nicht generell ein Widerspruch an sich?
Gerlach: Na, wie der Psychoanalytiker Gehad Marzaweh sagt, arbeitet der schon länger mit arabischen Männern. Aber er sagt, er hat andere Probleme beziehungsweise sind die Probleme, die er grundsätzlich mit Männern hat, bei den arabischen Patienten noch etwas stärker. Das auf jeden Fall. Ich glaube, die Einsicht, dass man professionelle, das heißt, therapeutische Hilfe für ein psychisches Problem in Anspruch nimmt, ist auch bei europäischen Männern noch nicht so alt. Aber in der arabischen Welt ist sie natürlich grundsätzlich komplizierter, weil Freud die ganze Tradition der Psychoanalyse dort nicht die Reputation genießt, die sie bei uns hat.
Karkowsky: Was ist denn nun die Botschaft Ihres Schwerpunktes Männer im "Zenith-Heft – Zeitschrift für den Orient". Ist es tatsächlich, nichts ist, wie es einmal war? Das Bild, was wir von muslimischen Männern im Kopf haben, ist längst überholt?
Gerlach: Das Bild, was wir von muslimischen Männer allgemein haben, sofern man diese mehreren hundert Millionen Menschen so zusammenfassen kann, ist, denke ich, seit Langem überholt, was aber nicht bedeutet, das ist ja das Schöne an Klischees, dass wir es nicht immer wieder auch antreffen. Was uns interessiert hat, ist einfach zu sehen, was steht denn hinter diesem Männlichkeitsideal. Ich glaube, dass dieses, was wir uns so vorgestellt haben, in Europa seit dem 19. Jahrhundert, dieses Ideal vom schweigsamen Wüstensohn, der keine Gefühle zeigt, ein völlig überholtes ist. Es ist zwar ein romantisches, aber in keiner Weise ein zutreffendes. Männer in der muslimischen Welt und insbesondere in der arabischen Welt zeigen Gefühle, zeigen gegenüber einander Gefühle. Aber sie tun es, immer darauf bedacht, eine gewisse Form von Würde natürlich zu bewahren. Aber sie weinen, sie küssen sich, sie schreien auf der Straße herum, das natürlich passiert alles. Manchmal, habe ich das Gefühl, viel stärker als bei uns in Europa. Was uns interessiert hat, war zu hinterfragen, wie sehen sich die Männer in der arabischen Welt selbst, und wie werden sie natürlich von ihren Frauen wahrgenommen.
Karkowsky: Und wer das nachlesen möchte, für den sage ich gerne noch mal, das Heft heißt "Zenith – Zeitschrift für den Orient" und Sie hörten einen der Autoren, den Islam-Wissenschaftler Daniel Gerlach zur Krise des islamischen Patriarchats. Besten Dank!