Erdoğans einziger Gegner
Anfang Juni wird in der Türkei ein neues Parlament gewählt. Danach will Staatspräsident Erdoğan das präsidiale System einführen. Verhindern kann das nur die prokurdische Partei HDP. Sie warb auch in Berlin um Stimmen. Dabei ging es auch darum, dass Kritiker in ihr den politischen Arm der PKK sehen.
Ein kleiner Nebenraum eines Cafés im Zentrum von Kreuzberg. Drei Sofas, drei Tische und einige Stühle füllen den Raum komplett aus. Auf einem Tisch stapeln sich Flyer und Flugblätter. Zwei Männer füllen sie in Taschen. Hier, in diesem improvisierten Wahlbüro, treffen sich die Unterstützer der prokurdischen HDP, Demokratische Partei der Völker. 180 Menschen aus mehr als 30 Vereinen haben sich vor zwei Monaten zu einer Initiative zusammengeschlossen. Sie sind nicht alle Kurden. Der türkischstämmige Volkswirt Hilmi Kaya Turan ist einer von ihnen.
"Ich bin kein Kurde. Bei uns sind viele ethnische Hintergründe vertreten. Und wir haben auch keine Probleme untereinander, sondern wir meinen: Welcher Ethnie oder Volk man angehört, auf gleicher Augenhöhe, dass man für gleiche Interessen antritt. Darum geht es bei uns."
Im Wahlbüro bereiten sich Frauen und Männer auf die Rede des HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş vor. Sie packen Fahnen, Plakate, Flyer und Infomaterial zusammen. Einige machen sich damit auf den Weg in den Veranstaltungssaal. Auch Hilmi Kaya Turan.
"Na dann. Es geht los."
"Einfach die Flugblätter noch mitnehmen, die Flaggen. Ich denke, wir sind alle vorbereitet. Wir kommen in zehn Minuten. Wir erwarten ja noch Gäste aus Hamburg. Dann sind wir auch da."
Mehtap Erol ist die Co-Vorsitzende der Berliner HDP-Initiative. Erol bleibt mit zwei anderen Frauen im Wahlbüro. Die 43-jährige Pflegedienstleisterin freut sich auf die Rede ihres Partei-Vorsitzenden und hat klare Erwartungen an seinen Auftritt.
"Meine Erwartungen sind von ihm, dass er auch die alevitische Frage zur Ansprache bringt. Das ist für uns sehr sehr wichtig. HDP ist vor allem für die Frauenbewegung eine Partei, wo ich mich wohlfühle, wo ich mich als Frau identifizieren kann. Diese Erwartungen habe ich, dass er das erwähnt und zu Wort bringt."
Kampf um jede Stimme
In einem großen Hotel in Neukölln sind bereits viele Menschen eingetroffen, um den kurdischen Oppositionspolitiker aus der Türkei zu sehen. Am Eingang finden Personenkontrollen statt. Der Saal ist für 1600 Personen bestuhlt. Kurz vor Beginn der Rede füllen sich auch die Zwischenräume. 2000 Frauen, Männer und Kinder sind im Saal. Vor der Bühne stehen junge Frauen in einer Reihe. Sie tragen knöchellange Kleider in leuchtenden Farben. Um den Hals gewickelt, oder in die Haare geflochten haben sie Tücher in den traditionellen kurdischen Farben: rot-gelb-grün. Aber im Saal hängen keine kurdischen oder türkischen Fahnen. Nur vereinzelt werden hier und da Fähnchen der Partei hoch gehalten.
Als Selahattin Demirtaş die Bühne betritt, erheben sich alle von ihren Plätzen. Der 41-Jährige begrüßt seine Anhänger kurz und sagt ohne Umschweife, warum er nach Berlin gekommen ist.
"Liebe Freunde, ich bin hier, um unseren europäischen Wahlkampf für die Parlamentswahlen in der Türkei zu eröffnen..."
Selahattin Demirtaş hält seine Rede frei. Er spricht ruhig und sachlich. Sein Publikum spricht er als potenzielle Wähler an. Er bittet die Menschen um ihre Stimmen. Über ihr Leben in Deutschland verliert er kein Wort. Weder Integration, noch Assimilation kommen vor. Demirtaş kämpft um jede Stimme; denn in der Türkei besteht eine Zehn-Prozent-Hürde. Und die HDP tritt zum ersten Mal als Partei an. Bisher sind Demirtaş und seine Parteifreunde als unabhängige Direktkandidaten ins Parlament gewählt worden. Sollte die Partei mehr als zehn Prozent bekommen, würde die regierende islamische AKP ihre absolute Mehrheit verlieren. Das sei das Ziel, und dafür sollen alle geschlossen arbeiten, sagt Demirtaş.
"Die ganze Welt blickt auf die HDP. Denn sie vereint alle Völker und deren Religionen in der Türkei: Türken, Kurden, Tscherkessen, Bosnier, Araber, Armenier; Aleviten, Sunniten, Christen."
Politischer Arm der PKK?
Und die Partei sei weltweit die einzige, die in ihrer Satzung eine 50-Prozent-Quote für Frauen festgesetzt habe und sie auch einhalte. Diesen Worten applaudiert der ganze Saal. Unter den 2000 Personen sitzen PKK-Anhänger neben türkischen Linken; Kurden und Türken, Aleviten und Sunniten. Was sie alle eint, ist der Wunsch nach mehr Demokratie und dem Ende des Krieges zwischen dem türkischen Staat und der PKK. Kritiker der HDP betrachten die Partei als politischen Arm der verbotenen PKK. Demirtaş antwortet ihnen: Die HDP sei eine neue Partei aller Völker. Und sie solle ohne Vorurteile an ihren Strukturen und Taten gemessen werden. Am Ende seiner 40-minütigen türkischsprachigen Rede bedankt sich der Kurde Demirtaş bei seinem Publikum auf Kurdisch.
"Die Rede war sehr gut; dass sie alle Identitäten, alle Religionen, alle Menschen vertreten, alle zusammenbringen möchten."
"Ich bin gekommen, obwohl ich nicht Kurdin bin. Aber ich verstehe diese Partei auch nicht als kurdische Partei, sondern eine Partei, die sich für Demokratie einsetzt, die Vielfalt repräsentiert."
"Weil wir als eine linke Organisation eh den Frieden unterstützen, sahen wir es als angebracht an, direkt hier anwesend zu sein, um zu zeigen, dass wir auch hier sind."
Auch die Berliner HDP-Vertreter Hilmi Kaya Turan und Mehtap Erol verlassen den Saal zufrieden.
"Ohne eine Frau gibt's keine Demokratie. Das habe ich erwartet, und das habe ich bekommen. Da bin ich auch sehr glücklich darüber."