Selbst ist der Dichtersmann

Von Jochen Stöckmann |
Mit der Ausstellung "Arno Schmidt? - Allerdings!" widmet sich das Marbacher Schiller-Nationalmuseum den unorthodoxen Schreibweisen und einem eher durchschnittlichen Leben eines Autors, der zugleich der Tradition des 18. Jahrhunderts wie den Avantgardisten seiner Zeit verpflichtetet war. Die Ausstellung präsentiert Manuskripte und Fotografien, dazu persönliche Gegenstände und die bekannten Zettelkästen.
Nun ist er endlich angekommen, zwar nicht im Dichterelysium, doch immerhin im Deutschen Literaturmuseum. Lange genug hat es gedauert – und die umfassende Schau über Weben und Wirken des 1979 in Celle gestorbenen Ausnahmeautoren und Schriftstellereremiten trägt denn auch die trotzige Überschrift "Arno Schmidt – Allerdings!". Schließlich galt der Bargfelder, obwohl Selfmade-Autor, als schwieriger, gar elitärer Schriftsteller. Was Schmidt selbst vehement bejahte:

"In Wirklichkeit handelt es sich bei der Philosophie ebenso wie bei der Hochliteratur um sehr komplizierte Spezialgebiete, die nicht nur große Begabung erfordern, sondern vor allem lebenslängliche Schulung, Fleiß und Selbstdisziplinierung; und deren Schwierigkeit nur dadurch dem Volke nicht sichtbar wird, weil es sich im alltäglichsten Umgang mit sich selbst genau der gleichen Zeichen bedient, nämlich der Buchstaben."

Ein Dechiffriersyndikat der Schmidt-Fans sorgte seit Mitte der Siebziger für die Entschlüsselung von orthographisch höchst eigenartigen Literaturexperimenten wie "Die Schule der Atheisten" oder "Zettels Traum". Aber für die hat Jan Philipp Reemtsma, Vorsitzender der Arno-Schmidt-Stiftung, die Manuskripte und Memorabilien nicht per LKW aus der Bargfelder Dichterklause, diesem prall gefüllten Bücherhag, nach Marbach expedieren lassen. Im Literarmuseum soll ein neues Publikum gewonnen werden.

Jan Philipp Reemtsma: "Es gab eine 'Gemeinde'. Mit vielen Leuten, die verschiedene Marotten hatten, sodass es für viele – auch für mich, ich habe das ja selber erlebt – schwierig wurde, überhaupt den Schritt zu diesem Werk hin zu tun. Weil man das Werk mit dem Unsinn, der teilweise drumherum veranstaltet wurde, verwechselte."

Der Autor selbst verbat sich persönliche Annäherungen, kultivierte auch ein höchst ambivalentes, bewusst widersprüchliches Bild in der Öffentlichkeit. Gleich in der Eingangshalle läuft ein Film: Der Wortwerker an seinen legendären Zettelkästen, mal als Pedant mit feiner Pinzette, dann als Berserker mit grobem Zimmermannsbleistift. Der ist dann auch in natura unter Vitrinenglas zu sehen, als corpus delicti aus dem Jahre 1959, erklärt Kurator Bernd Rauschenbach:

"Er hat sich also für den 'Spiegel' fotografieren lassen, über Zettelkästen und Zettel gebeugt. Eine Lupe in der Hand und im Mund quer einen langen Zimmermannsbleistift, die Zähne gefletscht. Und man hat den Eindruck, er hat dabei an ein Zitat aus einem seiner früheren Bücher gedacht, wo es heißt: 'Den Zimmermannsbleistift quer im Mund wie eine glühend gemachte Machete.'"

Es kann also kein harmonisches Familienalbum sein, was da in den biographischen Abteilungen zu Kriegsgefangenschaft und Flucht in den Westen, den Mietstreitigkeiten im pfälzischen Kastel, Erwerb des Häuschens im niedersächsischen Heidedorf Bargfeld, zu Literaturpreisen oder Korrespondenz mit Verlegern präsentiert wird. Friedrich Forssmann, der die neue Bargfelder Edition typographisch betreut, hat sich bei der Ausstellung ebenfalls von Geist und Gestaltungswillen des Autors leiten lassen:

"Die Ausstellung ist in gewisser Weise eine Zumutung. Sie hat sehr viele Exponate, sie ist durchaus labyrinthisch aufgebaut. Das ist bewusst, denn wir kennen von Arno Schmidt den Satz 'Mein Leben ist kein Kontinuum.' Wir haben uns entschieden, eine gerüsthafte Anordnung zu wählen, ein Koordinatensystem, das die Lücken sichtbar macht."

Also keine lineare Chronologie, schon gar keine Didaktik, sondern eine Ausstellung als Ausdruck jenes löchrigen Lebens, das Schmidt in seinen Nachkriegsromanen mit derart kalter Pointilliertechnik umkreiste, dass immer wieder humoristisch-sarkastische Effekte aufblitzten. Auch dafür nahm der Autor sich selbst zurück, betont Bernd Rauschenbach:

"Deswegen haben wir im biographischen Teil auf grauen Wänden sehr nüchtern nur die Dokumente. Wo wir dann die Phantasie haben spielen lassen, das ist das Werk. Und das ist ja nun alles andere als grau oder eindimensional."

Da gibt es etwa das "Pornographische Lachkabinett", ein mit blutrotem Samt ausgeschlagenes Diorama, in dem aber keine Bilder, sondern eine Peepshow jener anstößigen Worte zu sehen ist, die dem Autor in den bigotten Fünfzigern Prozesse eintrugen. Schwarz auf weiß laufen "Die mächtige Schenkelzange", "Entzückende Jucke" oder eine "Fögelschau" mit F über die Monitore, dazu werden Texte von Schauspielern vorgelesen.

Schmidts Schreibweisen wie das "längere Gedankenspiel" oder der dreispaltige Roman des Nebeneinander lassen sich anhand der Typoskripte verfolgen, seine eigenhändige Kartographie zu historischen Themen wie dem Königreich Hannover oder seiner Fouqué-Biographie wird in Originalzeichnungen anschaulich. Und schließlich hat Susanne Fischer in zwei Räumen Landschaftspanoramen eingerichtet mit Farbfotografien, die der passionierte Spaziergänger Schmidt auf seinen Streifzügen durch die Lüneburger Heide aufgenommen hat.

Susanne Fischer: "Man kann die Arbeitsweise Arno Schmidts so beschreiben, dass sie wirklich sehr genau, sehr detailfreudig ist, auch den kleinsten Dingen verhaftet, wie auf den Fotos zu sehen. Aber zugleich immer die ganz großen Formstrukturen, die Bauart bei seinen Büchern im Auge. Und das sieht man wiederum auch in der Beschäftigung mit der Landschaft an den Landkarten, die er gezeichnet hat."

Was die Form, die Art des Schreibens angeht, ragt dieser Autor "zeitlos" ins 21. Jahrhundert hinein – mit einer scheinbar antiquierten Technik des 19. Jahrhunderts, ganz ohne digitale Hirnprothesen oder elektronische Schreibknechte, resümiert Bernd Rauschenbach:

"Er hatte durchaus einen Hang zum Handwerk, fand auch diese Tätigkeiten des Bastelns und des Zettelkasten Bauens und das Lesepult entwerfen als Erholung zwischen dem schöpferischen Akt des Schreibens. Also Schmidt am Computer ist schwer vorstellbar, das Haptische, dieses Ordnen der Zettel, Zettel in die Hand nehmen und an eine andere Stelle im Kasten stecken, das ist doch etwas anderes als Dateien auf der Festplatte hin und her zu schieben – und sich dann zu wundern, wo sie geblieben sind."


Service:

"Arno Schmidt? – Allerdings!"
30. März bis 27. August 2006 im Schiller-Nationalmuseum Marbach