Selbständig, nüchtern und religiös zerrissen
"Mädchen in Uniform" – dieser Film machte Leontine Sagan 1931 als Regisseurin weltweit bekannt. Danach verließ die Jüdin Deutschland und schrieb kurz vor ihrem Tod 1974 ihre Erinnerungen auf.
Im 12-Uhr-Blatt erschien im Januar 1932 eine Notiz. Anlass war der Film "Mädchen in Uniform". Der bekannte katholische Volkserzieher Muckermann habe öffentlich betont, dieses Werk sei seiner Ansicht nach als Wendepunkt in der deutschen Tonfilmproduktion anzusehen. Im Dezember 1931 war der Film als "stärkster Filmeindruck des Jahres" gewählt worden, und der Kritiker Paul Marcus schrieb: "Das Publikum will tatsächlich nur anständige und ehrliche Filme. Sonst nichts!" Der Film war eingeschlagen wie eine Bombe. Die Regisseurin Leontine Sagan hatte mit ihrem Debüt ein Meisterwerk vorgelegt. In ihren Memoiren ist das nur eine kurze Episode. Wolfgang Jacobsen, der bei der Deutschen Kinemathek für Publikationen und Forschung verantwortlich ist, hat die Veröffentlichung der Autobiografie angeregt:
"Erstaunlicherweise – wie ich finde – ist 'Mädchen in Uniform' nicht das Zentrum. Es läuft ein Faden darauf zu, aber es gibt sofort wieder einen Ausweg. Es ist ihr einziger bedeutender Regiefilm, sie hat ein Jahr später – 1932, 1931 ist 'Mädchen in Uniform' in Deutschland entstanden – noch einen Film in England realisieren können, der kein Erfolg geworden ist, und alle anderen Versuche, in der Filmindustrie weiter tätig zu bleiben, sind eigentlich gescheitert, um es knapp zu sagen. Es ist dieser eine Film, 'Mädchen in Uniform', der sie berühmt gemacht hat."
Dabei war Leontine Sagan längst berühmt. Als Schauspielerin. 1889 in Budapest geboren, war Leontine Schlesinger, wie sie eigentlich hieß, mit der Familie zuerst nach Wien, dann nach Südafrika umgezogen. Als Dreizehnjährige lebte sie zwei Jahre mit ihrer Mutter in Wien und bekam erste Kontakte zum Theater. Nach einigen Jahren als Stenotypistin am österreichisch-ungarischen Konsulat machte sich die inzwischen 21-Jährige auf, die Welt zu erobern. Sie ging nach Berlin und bewarb sich an der Schauspielschule des großen Max Reinhardt. Nora Pester, Verlegerin der Lebenserinnerungen der Leontine Sagan:
"Wir treffen in ihren Memoiren eine Schauspielerin, eine Regisseurin, eine Jüdin, die – für ihre Zeit – selbständig, unabhängig war, und eben schon ganz früh sehr viel von der Welt gesehen hat und eben nicht nur als Touristin, sondern als Kind schon in verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist. Was ihr Leben immer geprägt hat und was sie auch in einer persönlichen Zerrissenheit widerspiegelt zwischen christlicher und jüdischer Religion, zwischen Europa, USA, Afrika."
Noch einmal Wolfgang Jacobsen: "Man erfährt sehr viel über die Zeit, man erfährt sehr viel darüber, wie es einer Frau in der Weimarer Republik, in der Emigration ergangen ist, welchem Druck sie ausgesetzt war, welchen Zwängen. Und insofern ist es ein großes Zeugnis und Dokument einer Selbstfindung und Selbstverwirklichung, und es ist ein literarisches Dokument."
Leontine Sagan vermeidet es, mit all ihren Bekannten und Freunden zu renommieren. Sie erzählt fast unterkühlt, aber offen von emotionalen Ausbrüchen und Liebesaffären, wird jedoch nie indiskret. Wenn sie ihre Tätigkeit in den Londoner Westend-Theatern beschreibt oder ihren erfolglosen Ausflug nach Hollywood, zeichnet sie hoch interessante Sittengemälde der Schauspiel-Industrie. Immer aber ist Leontine Sagan auch die, die ihr eigenes Tun in diesem – ihr Wort – "Narrenhaus" sehr nüchtern betrachtet.
Dazu Nora Pester: "Sie ist ein weiblicher Odysseus, auf einer Irrfahrt durchs Leben. Man mag das bei diesem großen Erfolg, den sie hatte, vielleicht im ersten Moment gar nicht nachvollziehen können, aber ich glaube, dass das auch mit vielen Selbstzweifeln verbunden ist."
1939 wurde Leontine Sagan als Leiterin eines Laienensembles nach Südafrika gerufen. Sie nutzte ihre Talente zum Aufbau einer südafrikanischen Theater- und Filmkultur und bildete Schauspieler aus. Ihre Lebenserinnerungen bringen uns eine Frau nahe, die mehr schuf als nur den einen Film, "Mädchen in Uniform".
Noch einmal Nora Pester: "Eigentlich war sie ihrer Zeit wirklich weit voraus. Ich kenne selbst heute wenige Frauen, die ein so unabhängiges und trotzdem in funktionierenden Beziehungen stehendes Leben führen. Ich glaube, wir haben da manchmal auch noch ein falsches Bild von der Frau der zwanziger und dreißiger Jahre, auch wenn damals viel im Umbruch war, aber einige Frauen damals können uns immer noch als Vorbild dienen."
Besprochen von Jens Brüning
Michael Eckardt (Hg): Leontine Sagan. Licht und Schatten – Schauspielerin und Regisseurin auf vier Kontinenten
Reihe Jüdische Memoiren, Band 16
Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2010,
354 Seiten, 3 Abbildungen, 24,80 Euro
"Erstaunlicherweise – wie ich finde – ist 'Mädchen in Uniform' nicht das Zentrum. Es läuft ein Faden darauf zu, aber es gibt sofort wieder einen Ausweg. Es ist ihr einziger bedeutender Regiefilm, sie hat ein Jahr später – 1932, 1931 ist 'Mädchen in Uniform' in Deutschland entstanden – noch einen Film in England realisieren können, der kein Erfolg geworden ist, und alle anderen Versuche, in der Filmindustrie weiter tätig zu bleiben, sind eigentlich gescheitert, um es knapp zu sagen. Es ist dieser eine Film, 'Mädchen in Uniform', der sie berühmt gemacht hat."
Dabei war Leontine Sagan längst berühmt. Als Schauspielerin. 1889 in Budapest geboren, war Leontine Schlesinger, wie sie eigentlich hieß, mit der Familie zuerst nach Wien, dann nach Südafrika umgezogen. Als Dreizehnjährige lebte sie zwei Jahre mit ihrer Mutter in Wien und bekam erste Kontakte zum Theater. Nach einigen Jahren als Stenotypistin am österreichisch-ungarischen Konsulat machte sich die inzwischen 21-Jährige auf, die Welt zu erobern. Sie ging nach Berlin und bewarb sich an der Schauspielschule des großen Max Reinhardt. Nora Pester, Verlegerin der Lebenserinnerungen der Leontine Sagan:
"Wir treffen in ihren Memoiren eine Schauspielerin, eine Regisseurin, eine Jüdin, die – für ihre Zeit – selbständig, unabhängig war, und eben schon ganz früh sehr viel von der Welt gesehen hat und eben nicht nur als Touristin, sondern als Kind schon in verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist. Was ihr Leben immer geprägt hat und was sie auch in einer persönlichen Zerrissenheit widerspiegelt zwischen christlicher und jüdischer Religion, zwischen Europa, USA, Afrika."
Noch einmal Wolfgang Jacobsen: "Man erfährt sehr viel über die Zeit, man erfährt sehr viel darüber, wie es einer Frau in der Weimarer Republik, in der Emigration ergangen ist, welchem Druck sie ausgesetzt war, welchen Zwängen. Und insofern ist es ein großes Zeugnis und Dokument einer Selbstfindung und Selbstverwirklichung, und es ist ein literarisches Dokument."
Leontine Sagan vermeidet es, mit all ihren Bekannten und Freunden zu renommieren. Sie erzählt fast unterkühlt, aber offen von emotionalen Ausbrüchen und Liebesaffären, wird jedoch nie indiskret. Wenn sie ihre Tätigkeit in den Londoner Westend-Theatern beschreibt oder ihren erfolglosen Ausflug nach Hollywood, zeichnet sie hoch interessante Sittengemälde der Schauspiel-Industrie. Immer aber ist Leontine Sagan auch die, die ihr eigenes Tun in diesem – ihr Wort – "Narrenhaus" sehr nüchtern betrachtet.
Dazu Nora Pester: "Sie ist ein weiblicher Odysseus, auf einer Irrfahrt durchs Leben. Man mag das bei diesem großen Erfolg, den sie hatte, vielleicht im ersten Moment gar nicht nachvollziehen können, aber ich glaube, dass das auch mit vielen Selbstzweifeln verbunden ist."
1939 wurde Leontine Sagan als Leiterin eines Laienensembles nach Südafrika gerufen. Sie nutzte ihre Talente zum Aufbau einer südafrikanischen Theater- und Filmkultur und bildete Schauspieler aus. Ihre Lebenserinnerungen bringen uns eine Frau nahe, die mehr schuf als nur den einen Film, "Mädchen in Uniform".
Noch einmal Nora Pester: "Eigentlich war sie ihrer Zeit wirklich weit voraus. Ich kenne selbst heute wenige Frauen, die ein so unabhängiges und trotzdem in funktionierenden Beziehungen stehendes Leben führen. Ich glaube, wir haben da manchmal auch noch ein falsches Bild von der Frau der zwanziger und dreißiger Jahre, auch wenn damals viel im Umbruch war, aber einige Frauen damals können uns immer noch als Vorbild dienen."
Besprochen von Jens Brüning
Michael Eckardt (Hg): Leontine Sagan. Licht und Schatten – Schauspielerin und Regisseurin auf vier Kontinenten
Reihe Jüdische Memoiren, Band 16
Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2010,
354 Seiten, 3 Abbildungen, 24,80 Euro