Selbstbestimmte Frau des 18. Jahrhunderts

Von Beatrix Novy |
Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling, geboren am 2. September 1763, brach mit gleich mehreren Konventionen ihrer Epoche. Sie bekam ein uneheliches Kind, lebte in einer Wohngemeinschaft, ließ sich scheiden und sie heiratete einen zwölf Jahre jüngeren Mann.
Den ersten verdankte sie ihrem Vater Johann David Michaelis, einem berühmten Göttinger Universitätsgelehrten. In seinem Haus standen der Tochter alle Bildungsmöglichkeiten offen. Und sie nutzte sie: las viel, lernte mehrere Sprachen, kam mit Studenten und Wissenschaftlern zusammen. Eigene Ansprüche leitete sie daraus, vorerst, nicht ab. Mit 21 stimmte sie der Vernunftehe mit dem treu sorgenden Arzt Johann Böhmer zu, musste allerdings mit ihm nach Clausthal im Harz ziehen. Ein Absturz aus dem intellektuellen Milieu ihrer Jugend in kleinstädtische, abgeschiedene Enge. Briefliche Hilferufe an ihre Schwester zeugen davon:

"Ich beschwöre dich, schick mit keine Uhrbänder, sondern diesmal etwas zu lesen in gotischen Buchstaben."

Briefe waren Carolines Weg zu Menschen, zur Welt und zu sich selbst. Nur ein kleiner Teil ihrer immensen Korrespondenz ist erhalten; sie bildet ein literarisches Oeuvre für sich, aus Anekdoten, Formulierungskunst, Reflexion und ständiger Auseinandersetzung mit den Ideen der Zeit. Diese Ideen traten machtvoll in ihr Leben, als sie nach dem frühen Tod ihres Mannes mit den beiden Kindern aus Clausthal in die Welt zurückkehrte, entschlossen zu einem Leben in Unabhängigkeit:

"Ich kann ohne Liebe leben, aber wer mir die Freundschaft nimmt, der nimmt mir alles, was mir das Leben lieb macht."

1792 zog sie nach Mainz zu ihren Freunden Therese Heyne und deren Mann Georg Forster, Forschungsreisender, Schriftsteller - und Jakobiner. Die Stadt, von den Soldaten der Französischen Revolution erobert, war Republik geworden. Eine kurze Episode, beendet von preußischem Militär. Caroline, als Sympathisantin der Revolution interniert, entdeckte, dass sie schwanger war – von einem längst entschwundenen französischen Offizier. Eine wahrhaft verzweifelte Situation. Aber sie hatte ja Freunde. Es waren August Wilhelm und Friedrich Schlegel, die berühmten Brüder der deutschen Romantik, die ihr halfen, das Kind diskret zur Welt zu bringen und einen Rest ihrer Reputation aufrechtzuerhalten. Dass Caroline 1796 August Wilhelms Frau wurde, deutet ihre Biografin Sigrid Damm:

"Sie war bürgerlich tot. Und um wieder in die Gesellschaft zu kommen, hat sie ihn geheiratet."

"Kann man denn gar keinen Freund haben, ohne sich auf Leben und Tod mit ihm zu vereinigen",

seufzte Caroline, eine bessere Zukunft entspannt-gleichwertiger Beziehungen zwischen Männer und Frauen vor dem inneren Auge. Wieder war sie eine Vernunftehe eingegangen, aber die sollte die deutsche Geistesgeschichte prägen. Von Schiller nach Jena gelockt, begann im Haus der Schlegels das Experiment Frühromantik, mit Caroline als Mittelpunkt. Sigrid Damm:

"Man nannte die Jenaer Romantiker die Jakobiner der Poesie; also sie wollten die Impulse der Französischen Revolution in das geistige Leben Deutschlands überführen."

Wie so oft nach gesellschaftlichen Umbrüchen, schien für kurze Zeit alles möglich, alles erneuerbar, Kunst, Leben, Liebe. Dreierkonstellationen kamen in Mode. Frauen traten aus dem Schatten sogenannter weiblicher Bestimmung heraus. An der Arbeit ihres Mannes, besonders der Shakespeare-Übersetzung, war Caroline Schlegel maßgeblich beteiligt. Natürlich hatte das Jenaer Biotop auch seine Kehrseite mit Ränken, Konflikten, Beziehungsproblemen. Zudem verliebte sich Caroline ernsthaft in den glänzenden, jungen Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling. Und alles wurde anders, als sie, die schon drei Kinder im Babyalter verloren hatte, im Jahr 1800 ihre 15-jährige Tochter Auguste begraben musste. Um dieses Mädchen, das an der Ruhr gestorben war, trauerte Caroline nicht allein. Es war ein Schlag, der das Kulturleben ihrer Zeit erschütterte.

"Das muss eine zauberhafte kleine Person gewesen sein. Sie hat nach dem Tod gesagt, dass sie nur noch halb lebt und wie ein Schatten auf der Erde wandelt."

Schelling musste noch eine Weile warten, ehe seine Geliebte sich zur Scheidung von Schlegel entschloss. Ihre neue Ehe währte nur sechs Jahre lang: Caroline starb 1809, 46 Jahre alt.