Mit 15 km/h zum nächsten Supermarkt
09:14 Minuten
Im Brandenburger Örtchen Wusterhausen wird ein autonom fahrender Elektrobus getestet. Die Bürger sind zumeist fasziniert - und hoffen, dass der Bus auf Dauer bleibt. Denn der Bus bedeutet gerade für die Älteren mehr persönliche Mobilität.
Die neue Haltestelle des selbstfahrenden Elektrobusses am Marktplatz von Wusterhausen, einem kleinen Städtchen im Ruppiner Land: Hübsch ist er ja, der Modellprojekt-Bus: Klein, weiß und knuffig mit seinen abgerundeten Kanten und den großen Doppelscheinwerfern. Es sieht aus, als würde einem das futuristische Gefährt der autonomen Verkehrszukunft freundlich entgegen lächeln. Aber Nik, zehn Jahre alt, ist trotzdem erst einmal wenig beeindruckt.
"Ich finde, das ist eigentlich unpraktisch. 15 km/h finde ich für den eigentlich ein bisschen langsam. Ich finde, der könnte noch ein bisschen schneller fahren."
Aus Sicherheitsgründen ist der Kleinbus zunächst nur für eine Geschwindigkeit von 15 Stundenkilometern zugelassen. Wenn er sich unfallfrei bewährt, soll er später 25 km/h fahren dürfen.
Viele Neugierige an der Haltestelle
An der Haltestelle stehen die Neugierigen Schlange: Der vier Meter lange Bus hat nur sechs Sitze, aus Hartholz. Drinnen gibt es große Fenster, ein Monitor zeigt die Haltestellen an. Allzu viele sind das noch nicht: In einer ersten Phase fährt der Bus auf einer einprogrammierten Strecke dreieinhalb Kilometer von der Altstadt zum Bahnhof und zu zwei Supermärkten - als Service für Leute, die schlecht zu Fuß sind.
"Das klingt vielleicht erst mal trivial", meint Wirtschaftsingenieur Arwed Schmidt vom französischen Hersteller EasyMile. "Aber für Menschen, die eine Zugangsschwierigkeit haben, ist die Möglichkeit, ohne einen Fahrer oder ohne ein festes Bussystem, sondern mit idealerweise einer On-Demand-Lösung zum Netto zu kommen oder zum Aldi zu kommen, eine enorme Erleichterung."
Es geht los: Dank Elektroantrieb fast lautlos schnurrt das Gefährt über die engen Kopfsteinpflaster-Sträßchen der Altstadt. Mit Hilfe von Kameras ertasten sich die Sensoren den Weg zur nächsten Haltestelle.
Fahrgäste als Pioniere
Die Fahrgäste dürfen sich als Pioniere fühlen: Beim ersten in Deutschland genehmigten Test für das autonome Fahren auf öffentlichen Straßen sind im bayerischen Bad Birnbach seit Oktober 2017 zwei solcher Minibusse unterwegs. Seit dem Frühjahr 2018 pendeln in Berlin vier Busse auf dem Gelände der Charité und auf dem Campus Virchow-Klinikum.
In Nizza sind solche Busse nach Angaben von EasyMile schon ganz ohne Fahrer unterwegs, doch hier in Wusterhausen ist zur Sicherheit noch ein speziell geschulter sogenannter "Operator" mit dabei: Kai Stilt von der kommunalen Ostprignitz-Ruppiner Verkehrsgesellschaft.
Im akkurat gebügelten blauen Hemd, eine Art Joystick um den Hals gehängt, steht er zwischen den beiden einander gegenüber angebrachten Sitzreihen, denn einen Fahrersitz gibt es so wenig wie ein Lenkrad. Bislang ist Stilt zufrieden mit den Fahrkünsten seines Kollegen, dem Algorithmus.
"Problem sind immer die Verkehrsteilnehmer, die Auto- und Fahrradfahrer. Der muss jetzt hier Vorfahrt gewähren, ich muss jetzt gucken, und jetzt muss ich auch wieder starten. Jetzt kommt da jemand, das war der Soft Stopp, jetzt fährt er wieder an. Sie müsste eigentlich warten."
Ein paar Meter weiter hält der Kleinbus automatisch hinter einem parkenden Auto an, das seine einprogrammierte Route blockiert. Operator Kai Stilt muss von Hand um das Hindernis herum steuern. Eine mitfahrende Pensionärin freut sich, dass in einer zweiten Projektphase auch eine Wohnsiedlung am Stadtrand von Wusterhausen angesteuert werden soll.
"Na wunderbar! Ich finde das gut für ältere Leute und wenn er nachher nach dem See rausfährt, finde ich das auch echt gut. Dann kann ich mir immer noch eine Wohnung nach dem See raus nehmen. Ich hatte da welche, aber wenn man nicht wegkommt, dann ist das schlecht. Aber na ja, erst mal überlegen, ob wir noch mal umziehen in meinem Alter."
Drei mal am Tag kommt der "normale" Bus
Nach 15 Minuten erreichen wir wieder die Haltestelle am Marktplatz. Dort warten schon die nächsten neugierigen Bürger. Rentner Hartmut Hanke zum Beispiel, er ist vor 25 Jahren aus Berlin ins zehn Kilometer von Wusterhausen entfernte Prignitz-Dorf Holzhausen gezogen.
"Dafür bin ich extra hergekommen, um mit dem Ding zu fahren. Ich marschiere ja auf die 80 zu. Ich freue mich auf solche Gefährte, darauf, wenn ich anrufe, so ein Gefährt rufen kann, unabhängig – wir leben mitten auf dem Feld. Wenn ich den anrufe und der kommt in einer halben Stunde oder Viertelstunde oder so was, dann bin ich mobil. Wir machen uns Gedanken: Wie kommen wir eigentlich mit 85 dann hier mal aus dem Dorf? Die nächste Haltestelle ist einen Kilometer per Pedes."
Und in vielen Brandenburger Dörfern kommt nur noch drei Mal am Tag ein Bus und am Wochenende mangels Schulkindern gar keiner. Auch Jugendliche fragen sich oft, wie sie in die nächste Stadt kommen sollen. Dass in den Bussen der Zukunft eventuell kein Fahrer mehr am Steuer sitzt, das schreckt Hanke nicht.
"Das interessiert mich doch nicht, das Ding fährt doch super. In Berlin fährt ja seit Jahrzehnten eine U-Bahn fahrerlos. Warum soll das mit dem Ding nicht funktionieren? In Amerika fahren die Autos ja schon lange vollautomatisch, zwar auch mit Todesfällen, ja, klar. Ja, es sind schon Leute umgekommen dabei, aber das sind die Anfänge. So viel Zukunft habe ich nicht mehr, dass ich das ausgereifte System kennenlernen werde, aber das ist ein Super-Anfang."
Vertrauen in die Technik
Klaus Asmuss, früher Kraftfahrer, steht in der Nähe und nickt: Auch er vertraut auf die Technik.
"Ich finde, das ist eine Erneuerung und irgendwie muss es weitergehen, sonst würden wir immer noch mit Kutschen fahren, wenn wir so stehen geblieben wären wegen Angst. Also ich habe kein Problem damit."
Das hört Landrat Ralf Reinhardt gerne. Er ist stolz, dass Wusterhausen als Ort des Experimentes ausgewählt wurde. Der SPD-Politiker hofft, dass die Forschungsergebnisse Lösungen für drängende Probleme liefern. Wie man angesichts des heute schon grassierenden Fachkräftemangels in dieser dünn besiedelten Gegend künftig Mobilität für alle garantieren kann, zum Beispiel.
"Wir sind ein wirklich ländlicher Kreis, die Größe ist ungefähr die des Saarlandes, aber mit einem Zehntel der Bevölkerung, also nicht eine Million, sondern knapp 100.000 Einwohner, die sich auf zehn großflächige Kommunen verteilen. Es ist also eine Herausforderung, hier mit vielen kleinen Ortschaften und Dörfern öffentlichen Verkehr zu organisieren."
In Zukunft wird autonomes Fahren zum Alltag gehören, die Entwicklung sei nicht aufzuhalten, glaubt Thomas Richters, Professor am Institut für Land- und Seeverkehr der TU Berlin. Und das sei auch gut so, denn mehr als 90 Prozent aller Verkehrsunfälle seien Folge menschlicher Fehler. Die technische Universität Berlin koordiniert das Projekt zusammen mit der TU Dresden und begleitet es wissenschaftlich.
"Wie muss die Straße beschaffen sein, welche Randbedingungen brauchen wir rechts und links der Straße, damit so ein autonomer Bus sich hier orientieren kann und sicher fahren kann. Das ist eine wesentliche Fragestellung, die wir haben. Und zum Schluss natürlich immer die Frage der Übertragbarkeit, macht es Sinn, jetzt die ganzen Orte mit so einem autonomen Bus auszustatten oder ist der Aufwand dafür zu groß? Das sind so die Fragestellungen, die wir da verfolgen."
Unfall durch einen menschlichen Fehler
Vor der Tür ihres Wohnhauses direkt am Marktplatz sitzen Marco und Sandra Brunnemann in der Sonne. Sie sind Ende 20, also eigentlich Digital Natives, mögen aber in die allgemeine Begeisterung nicht so recht einstimmen. Sie hadern mit der Fremdbestimmung durch ein Computerprogramm.
"Vorausschauendes Fahren: Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein Ding so was kann. Man hat ja schon genug gehört von dem Tesla zum Beispiel, dass da schon einige Unfälle auch mit tödlichen Folgen ... ich würde mich da nicht unbedingt reinsetzen wollen."
"Vorausschauendes Fahren: Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein Ding so was kann. Man hat ja schon genug gehört von dem Tesla zum Beispiel, dass da schon einige Unfälle auch mit tödlichen Folgen ... ich würde mich da nicht unbedingt reinsetzen wollen."
"Ich weiß nicht, ob ich mich trauen würde, mich da rein zu setzen. Irgendwie finde ich es schon komisch, wenn da kein Fahrer mit drin sitzt."
Sandra Brunnemann aus Wusterhausen in der dünn besiedelten Prignitz hat ja noch Zeit zum Üben: Bis kein Operator mehr mitfährt, wird es noch eine Weile dauern.
Auch die anderen Verkehrsteilnehmer müssen sich an autonomes Fahren noch gewöhnen: Bei seinem ersten regulären Einsatz ein paar Tage nach dem Projektstart hatte der Kleinbus einen Unfall: Aber Menschen kamen nicht zu Schaden, nur der Lack. Nach Angaben der Verkehrsgesellschaft hatte ein Autofahrer die Breite des Gefährts falsch eingeschätzt: Ein menschlicher Fehler.