Selbstgerechtes Europa
Die Europäer sollten einmal darüber nachdenken, warum sich das Prinzip der Menschenrechte im Falle des Burka-Verbotes selbst widerspricht, findet unser Essayist Michael Böhm. Sie hielten die Menschenrechte für "selbstevidente Wahrheiten". Doch da könne man auch ganz anderer Meinung sein.
Europa fällt hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurück. Da wird in Frankreich und Belgien Muslimas verboten, eine Burka zu tragen – und die ach so aufgeklärten Europäer begnügen sich damit, zu fordern: zu fordern, dass diese Verbote zurückzunehmen sind, weil sie religiöse Toleranz und Freiheit verneinen und damit die Menschenrechte. Oder zu fordern, dass sie im Gegenteil aufrecht zu erhalten sind, weil sie Würde, Freiheit und Gleichheit achten und so die Menschenrechte. Doch von Widersprüchen ist nichts zu hören: kein Wort von Menschenrechten, die miteinander kollidieren.
Würde, Freiheit und Gleichheit der Menschen, religiöse Toleranz – das sind Ideen der Aufklärung, von denen Philosophen wie John Locke, Jean-Jacques Rousseau oder Immanuel Kant schon im 17. und 18. Jahrhundert sprachen: als moralischen Prinzipien, die die Vernunft gebietet. Und sie sind eingegangen in die universalen Menschenrechte: als ethische Fundamente, auf denen im nordwestlichen Teil der Welt politische Herrschaft beruht.
Doch sind die universalen Menschenrechte ihrerseits Erben des Christentums, das Universalität beansprucht, nur einen Gott und eine Wahrheit kennt – so, wie im Namen Jesu um jede einzelne Seele gerungen wird, wollen daher Menschenrechte jedes Individuum schützen; und genauso wie christliche Missionare andere Wege zum Heil verdammen, nennen im Namen der Menschenrechte Nichtregierungsorganisationen religiöse Beschneidungen "barbarisch".
Darüber hinaus entstanden die Menschenrechte aus dem Geist einer Zeit, in der das Christentum schon konfessionell zerfallen war. Weniger der Glaube, sondern mehr die Vernunft sollte die Menschen zu einem gutem Leben führen. So sind Menschenrechte Produkte der europäischen Kultur, die sich bereits säkularisierte; und so gebietet heute ihr universaler Anspruch dem Islam, es ihr gleich zu tun.
Unbestreitbar wird ein jeder normaler Mensch lieber in Freiheit leben wollen anstatt in Tyrannei und genauso wird er es vorziehen, dass man ihn als Person ansieht und nicht als Objekt. Den Europäern gelten Menschenrechte dementsprechend als "selbstevidente Wahrheiten". Doch nach wie vor gibt es Ethiker, die daran zweifeln, dass Menschenrechte auch sich selbst heraus begründet werden können: Weil es nicht klar sei, worin die Würde des Menschen bestünde, die einem jeden von ihnen das Recht auf Leben verleihe; weil es Verstand und Wille nicht sein könnten, da dann all jene Menschen dieses Recht nicht hätten, die unfähig dazu wären.
Und weil sich ihnen so die Vernunft versagt, empfehlen diese Zweifler, an die Gültigkeit der Menschenrechte zu glauben. Doch so wären Menschenrechte nur eine zivile Religion und die geistigen Fundamente der politischen Herrschaft des Westens noch in der Sphäre des Glaubens verhaftet – wie einst in der voraufklärerischen Epoche. So wären die Europäer jener Aufklärung treulos, die sie dem Islam gerade empfehlen.
Nein, die Europäer sollten der Aufklärung treu bleiben und – wie einst die Philosophen im 17. und 18. Jahrhundert – die Widersprüche des eigenen Denkens hinterfragen, die die gesellschaftliche Praxis offenbart; sie sollten im Wortsinne "aufklären", warum sich das Prinzip der Menschenrechte im Falle des Burka-Verbotes selbst widerspricht.
Wir sollten also selbstkritisch sein und fragen, worauf sich unser Verständnis von Freiheit, Würde und Toleranz gründet und was uns legitimiert, es anderen Kulturen zu oktroyieren, die sich nicht auf das christliche Erbe berufen; ob wir sie nicht zerstören und unsere eigenen Prinzipien missachten, wenn wir mit Menschenrechten zu missionieren versuchen. "Aufklärung" bedeutet nicht, Normen zu schaffen oder zu tradieren, sondern sie zu hinterfragen und zu kritisieren. Das ist das Wesen der Aufklärung: sie bleibt nicht stehen bei den Ideen von Locke, Rousseau oder Kant. Sie geht weiter, macht vor sich selbst nicht halt.
Michael Böhm, geboren 1969 in Dresden, studierte Politikwissenschaft in Berlin und Lille und lebt als freier Publizist in Berlin. Er schreibt für verschiedene Zeitschriften, so unter anderem für "Du – Das europäische Kulturmagazin". Letzte Buchveröffentlichung: "Alain de Benoist – Denker der Nouvelle Droite".
Würde, Freiheit und Gleichheit der Menschen, religiöse Toleranz – das sind Ideen der Aufklärung, von denen Philosophen wie John Locke, Jean-Jacques Rousseau oder Immanuel Kant schon im 17. und 18. Jahrhundert sprachen: als moralischen Prinzipien, die die Vernunft gebietet. Und sie sind eingegangen in die universalen Menschenrechte: als ethische Fundamente, auf denen im nordwestlichen Teil der Welt politische Herrschaft beruht.
Doch sind die universalen Menschenrechte ihrerseits Erben des Christentums, das Universalität beansprucht, nur einen Gott und eine Wahrheit kennt – so, wie im Namen Jesu um jede einzelne Seele gerungen wird, wollen daher Menschenrechte jedes Individuum schützen; und genauso wie christliche Missionare andere Wege zum Heil verdammen, nennen im Namen der Menschenrechte Nichtregierungsorganisationen religiöse Beschneidungen "barbarisch".
Darüber hinaus entstanden die Menschenrechte aus dem Geist einer Zeit, in der das Christentum schon konfessionell zerfallen war. Weniger der Glaube, sondern mehr die Vernunft sollte die Menschen zu einem gutem Leben führen. So sind Menschenrechte Produkte der europäischen Kultur, die sich bereits säkularisierte; und so gebietet heute ihr universaler Anspruch dem Islam, es ihr gleich zu tun.
Unbestreitbar wird ein jeder normaler Mensch lieber in Freiheit leben wollen anstatt in Tyrannei und genauso wird er es vorziehen, dass man ihn als Person ansieht und nicht als Objekt. Den Europäern gelten Menschenrechte dementsprechend als "selbstevidente Wahrheiten". Doch nach wie vor gibt es Ethiker, die daran zweifeln, dass Menschenrechte auch sich selbst heraus begründet werden können: Weil es nicht klar sei, worin die Würde des Menschen bestünde, die einem jeden von ihnen das Recht auf Leben verleihe; weil es Verstand und Wille nicht sein könnten, da dann all jene Menschen dieses Recht nicht hätten, die unfähig dazu wären.
Und weil sich ihnen so die Vernunft versagt, empfehlen diese Zweifler, an die Gültigkeit der Menschenrechte zu glauben. Doch so wären Menschenrechte nur eine zivile Religion und die geistigen Fundamente der politischen Herrschaft des Westens noch in der Sphäre des Glaubens verhaftet – wie einst in der voraufklärerischen Epoche. So wären die Europäer jener Aufklärung treulos, die sie dem Islam gerade empfehlen.
Nein, die Europäer sollten der Aufklärung treu bleiben und – wie einst die Philosophen im 17. und 18. Jahrhundert – die Widersprüche des eigenen Denkens hinterfragen, die die gesellschaftliche Praxis offenbart; sie sollten im Wortsinne "aufklären", warum sich das Prinzip der Menschenrechte im Falle des Burka-Verbotes selbst widerspricht.
Wir sollten also selbstkritisch sein und fragen, worauf sich unser Verständnis von Freiheit, Würde und Toleranz gründet und was uns legitimiert, es anderen Kulturen zu oktroyieren, die sich nicht auf das christliche Erbe berufen; ob wir sie nicht zerstören und unsere eigenen Prinzipien missachten, wenn wir mit Menschenrechten zu missionieren versuchen. "Aufklärung" bedeutet nicht, Normen zu schaffen oder zu tradieren, sondern sie zu hinterfragen und zu kritisieren. Das ist das Wesen der Aufklärung: sie bleibt nicht stehen bei den Ideen von Locke, Rousseau oder Kant. Sie geht weiter, macht vor sich selbst nicht halt.
Michael Böhm, geboren 1969 in Dresden, studierte Politikwissenschaft in Berlin und Lille und lebt als freier Publizist in Berlin. Er schreibt für verschiedene Zeitschriften, so unter anderem für "Du – Das europäische Kulturmagazin". Letzte Buchveröffentlichung: "Alain de Benoist – Denker der Nouvelle Droite".