Selbsthilfeboom

Ich-Optimierung auf Kosten der Gesellschaft

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Das Gesicht eines Mannes ist mit Zetteln beklebt, auf denen Hinweise wie "Workout" oder "Take a Break" notiert sind.
Selbsthilfeangebote boomen. Doch nicht immer führten diese zu einem erfüllteren Leben, meint der Philosoph Krisha Kops. © Unsplash / Luis Villasmil
Gedanken von Krisha Kops |
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Das Geschäft mit der Verbesserung des eigenen Körpers und Geistes blüht. Dabei kann die Gemeinschaft allerdings schnell aus dem Blick geraten, warnt der Philosoph Krisha Kops. Drohen wir alle, selbstoptimierte Narzissten zu werden?
Eine buddhistische Parabel erzählt von einem König, der das erste Mal Leder in den Händen hält. Beeindruckt von der Sanftheit des Stoffes befiehlt er, sein ganzes Reich solle damit überzogen werden. So könne jeder seiner Untertanen darauf gehen.
Der Hofnarr aber beanstandet, dass dies bei der Größe des Königreiches unmöglich sei – und man deshalb besser für alle Untertanen Schuhe anfertigen solle. Diese Geschichte über die Erfindung des Lederschuhs veranschaulicht die Idee, dass es einfacher sein kann, sich selbst zu verändern als die gesamte Gesellschaft.

Selbsthilfeangebote boomen auch im Netz

Lederschuhe – im übertragenen Sinne – produziert man heute wie am Fließband, obschon meistens von geringer Qualität. Und zwar in Form von Selbsthilfeangeboten, seien es Ratgeber, Workshops, Kurse oder Videos. Dabei lernt man etwa, wie man bessere Beziehungen führt, positiver denkt oder mit wenig Aufwand zur Millionärin wird. Natürlich ist es nicht verwerflich, wenn Menschen sich mit ihren Problemen und Wünschen auseinandersetzen. Viele der Feel-good-Selbsthilfeangebote sind allerdings nicht nur von fragwürdiger Wirkung, sondern erreichen gerade das Gegenteil von einem erfüllteren Leben.

Ich-Optimierung kratzt nur an den Symptomen

Unsere individualistische Konkurrenzgesellschaft ist auf stetiges Wachstum, Leistungssteigerung und Geschwindigkeitszunahme bedacht. Der dadurch entstehende Leistungsdruck und die Atomisierung der Gesellschaft treiben immer mehr Menschen in den Burn-out oder in die Depression und damit ins Unglück.
Statt an den Strukturen der Gesellschaft anzusetzen und sie zu verändern, belässt man es durch die Selbsthilfe lediglich dabei, an den Symptomen herumzukratzen. Etwas Stressbewältigung hier, ein wenig Selbstoptimierung da, und schon springt man zurück ins Hamsterrad.
Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn die Selbsthilfeangebote einen tatsächlich derart veränderten, dass man am Ende zu einer besseren, ja, einer wirklichen Gemeinschaft fände. Durch die stetige Selbstoptimierung wird man allerdings noch ichbezogener, als man es ohnehin schon war. Dies erinnert an Narziss. Denn wie er betrachtet man sich im Spiegel des Wassers, um zu lernen, sich selbst zu lieben. Im Gegensatz zu Narziss, der das Gleichgewicht verliert und ertrinkt, damit seine egozentrische Selbstverliebtheit überwindet, blickt das Ich dem eigenen Spiegelbild im heutigen Selbsthilfe-Milieu ewig schmachtend in die Augen.

Für die Gemeinschaft eher kontraproduktiv

Wie stark diese Angebote zur Selbstoptimierung von kapitalistischen Strukturen unterlaufen sind, zeigt sich nicht nur an der Firmenmeditationsgruppe zur Mittagspause und den gebotoxten Yoga-Instagrammern, sondern auch am Umgang des "New-Age-Kapitalismus" mit Profit. Es besteht ein unerschöpflicher Markt, der die Hilfesuchenden immerfort mit einem Heilsversprechen des ewigen Glücks dazu ermutigt, noch mehr Selbsthilfe-Produkte zu konsumieren.
Noch eine Weiterbildung oder ein Buch und vielleicht erreicht man dann endlich die lang ersehnte Glückseligkeit. Wenn Selbsthilfe-Gurus wie Deepak Chopra dabei Abermillionen verdienen, heißt es, es sei nicht falsch, Geld mit der Hoffnung anderer Menschen einzunehmen und Dinge zu besitzen, solange man sich nicht an sie binde. Wer es glaubt, wird selig! Oder eben nicht.
Ich will nicht in Abrede stellen, dass – um auf die anfängliche Parabel zurückzukommen – auch Lederschuhe unsere Gesellschaft positiv beeinflussen können. Aber nur solange wir tatsächlich damit rausgehen und das Reich verändern, anstatt verliebt in den Spiegel zu gucken und zu staunen, wie gut uns die Schuhe stehen. Wichtiger aber ist, aus steinigem Boden Wiesen zu machen, damit wir uns gar nicht erst nach Lederschuhen sehnen.

Krisha Kops ist Philosoph und Publizist. Er studierte Philosophie und internationalen Journalismus in London, bevor er in interkultureller Philosophie promovierte. Neben seiner theoretischen Arbeit verantwortet er im Rahmen seiner praktischen philosophischen Tätigkeit die Geschäftsführung von wirhelfen.eu.

© Grit Siwonia
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