Selbstinszenierung als Lebensaufgabe
Der Arzt und Schriftsteller Axel Munthe wurde durch sein "Buch von San Michele" weltberühmt. Darin mischt er Autobiografisches und Fiktion und zeigt seine Vorstellung von einem erhabenen Leben. Die Suche nach eben dieser Erhabenheit, die Lebensinszenierung Munthes als Begleiter besonderer Menschen und Situationen beschreibt Thomas Steinfeld in seiner lesenswerten Munthe-Biografie "Der Arzt von San Michele".
Der Begriff sagt es ja selbst: Lebenskunst ist eine zwittrige Angelegenheit, ein weder noch. Um Kunstwerk zu sein, fehlt dem Lebenslauf die schöpferische Freiheit der Herstellung. Schon die Umstände seines Beginns, soziale Verhältnisse, vererbte Anlagen, bringen das Leben auf eine festgelegte Spur. Das Leben wiederum kann öde sein oder bewegt, geglückt oder verpasst sein, aber kein künstlerisches Produkt. Auch in der stilisiertesten Form lässt es sich der biologischen Gestaltung nicht aus der Hand nehmen.
Lebenskünstler versuchen es trotzdem. Sie legen sich ihr Leben so zurecht, dass es von außen betrachtet einem Roman oder einem Theaterstück ähnelt. Sie entwerfen, anders gesagt, ihre Biographie im Hinblick auf einen Kunstkritiker, der eines Tages kommt, interpretiert und bewertet, was sie als Leben vorgelegt haben. Im Fall des schwedischen Arztes Axel Munthe, geboren 1857, gestorben 1949, ist die Rechnung aufgegangen.
Thomas Steinfeld, Philologe, Essayist und renommierter deutscher Kritiker tritt dem Leben dieses Axel Munthes, der den skandinavischen Norden verließ, als Prominentenarzt und Gesellschaftslöwe eine Weile durch die Nervenzentren Europas kreiste, um schließlich den Traum vom Dasein unter der Sonne Capris zu verwirklichen, entgegen, als handele es sich um die Vorlage für eine hermeneutische Untersuchung. Das klingt trocken - und ist es in keiner Zeile.
"Der Arzt von San Michele" ist Steinfelds vergnüglichstes Buch. Es verschränkt, als wäre dies nicht eine der schwierigsten Übungen, mit leichter Hand Biografie und Kulturgeschichte. Vor allem aber: Es verwendet nicht die Biografie als Alibi für den historischen Kontext, den Steinfeld um Axel Munthe gruppiert, und umgekehrt nicht die historische Kulisse als bloße Füllmenge. Axel Munthe und seine Zeit fordern ihre Darstellung gegenseitig heraus. Das ist der produktive Grundgedanke dieses Buches.
Denn Axel Munthe war vielleicht kein überaus brillanter Geist, wohl auch kein begnadeter Schriftsteller, obwohl sein autobiographisches "Buch von San Micchele" zu einem der größten Bestseller des 20. Jahrhunderts wurde. Er war auch kein Entdecker von Ideen, Orten, Lebensformen, obwohl er selbst sich unbedingt so sah. Aber er war insofern ein Phänomen, ein Prototyp moderner Selbsterfindung, als er sein Leben der Ambition verpflichtete, etwas Besonderes, Erhöhtes zu sein, in der Umgebung besonderer Menschen, von Henry James bis Hermann Göring, stattzufinden und immer dort, wo sich gerade Ereignisse von besonderer Bedeutung abspielten.
Axel Munthe war - tatsächlich oder behauptet .- dabei, als Jean Charcot in Paris seine Hysterikerinnen auftreten ließ. Er war als Arzt dabei, als 1884 in Neapel die Cholera wütete. Axel Munthe erbaute auf Capri, hoch oben auf dem Inselfelsen, ein berühmtes Haus, jene Villa von San Michele, die einstmals als das schönste Haus der Welt galt. Er inszenierte sich als ihr erhabener Bewohner, wie er sich als Bewohner eines erhabenen Lebens inszenierte. Wo die Realität es an Erhabenheit fehlen ließ, dichtete er um oder eben dazu.
Thomas Steinfeld lässt die durchaus komische Schlagseite dieser Figur hervortreten. Aber an keiner Stelle schlachtet er sie aus. Das macht sein Buch über stilistische Eleganz, über den Reichtum historischen und literarischen Materials, über all die Geschichten und Episoden aus Munthes Epoche hinaus auch: sympathisch und human. Munthe wollte der Welt zeigen, wo's lang geht und übersah fatalerweise, dass er ihr immer nur folgte, dass er Zeitgeist nicht erfand, sondern kopierte. Das trifft auf jeden, der sich durch Thomas Steinfeld mit Herrn Munthe angefreundet hat, ja wohl auch ein bisschen zu.
Rezensiert von Ursula März
Thomas Steinfeld: Der Arzt von San Michele. Axel Munthe und die Kunst, dem Leben einen Sinn zu geben
Hanser Verlag München, 2007.
254 Seiten. 21,50 Euro.
Lebenskünstler versuchen es trotzdem. Sie legen sich ihr Leben so zurecht, dass es von außen betrachtet einem Roman oder einem Theaterstück ähnelt. Sie entwerfen, anders gesagt, ihre Biographie im Hinblick auf einen Kunstkritiker, der eines Tages kommt, interpretiert und bewertet, was sie als Leben vorgelegt haben. Im Fall des schwedischen Arztes Axel Munthe, geboren 1857, gestorben 1949, ist die Rechnung aufgegangen.
Thomas Steinfeld, Philologe, Essayist und renommierter deutscher Kritiker tritt dem Leben dieses Axel Munthes, der den skandinavischen Norden verließ, als Prominentenarzt und Gesellschaftslöwe eine Weile durch die Nervenzentren Europas kreiste, um schließlich den Traum vom Dasein unter der Sonne Capris zu verwirklichen, entgegen, als handele es sich um die Vorlage für eine hermeneutische Untersuchung. Das klingt trocken - und ist es in keiner Zeile.
"Der Arzt von San Michele" ist Steinfelds vergnüglichstes Buch. Es verschränkt, als wäre dies nicht eine der schwierigsten Übungen, mit leichter Hand Biografie und Kulturgeschichte. Vor allem aber: Es verwendet nicht die Biografie als Alibi für den historischen Kontext, den Steinfeld um Axel Munthe gruppiert, und umgekehrt nicht die historische Kulisse als bloße Füllmenge. Axel Munthe und seine Zeit fordern ihre Darstellung gegenseitig heraus. Das ist der produktive Grundgedanke dieses Buches.
Denn Axel Munthe war vielleicht kein überaus brillanter Geist, wohl auch kein begnadeter Schriftsteller, obwohl sein autobiographisches "Buch von San Micchele" zu einem der größten Bestseller des 20. Jahrhunderts wurde. Er war auch kein Entdecker von Ideen, Orten, Lebensformen, obwohl er selbst sich unbedingt so sah. Aber er war insofern ein Phänomen, ein Prototyp moderner Selbsterfindung, als er sein Leben der Ambition verpflichtete, etwas Besonderes, Erhöhtes zu sein, in der Umgebung besonderer Menschen, von Henry James bis Hermann Göring, stattzufinden und immer dort, wo sich gerade Ereignisse von besonderer Bedeutung abspielten.
Axel Munthe war - tatsächlich oder behauptet .- dabei, als Jean Charcot in Paris seine Hysterikerinnen auftreten ließ. Er war als Arzt dabei, als 1884 in Neapel die Cholera wütete. Axel Munthe erbaute auf Capri, hoch oben auf dem Inselfelsen, ein berühmtes Haus, jene Villa von San Michele, die einstmals als das schönste Haus der Welt galt. Er inszenierte sich als ihr erhabener Bewohner, wie er sich als Bewohner eines erhabenen Lebens inszenierte. Wo die Realität es an Erhabenheit fehlen ließ, dichtete er um oder eben dazu.
Thomas Steinfeld lässt die durchaus komische Schlagseite dieser Figur hervortreten. Aber an keiner Stelle schlachtet er sie aus. Das macht sein Buch über stilistische Eleganz, über den Reichtum historischen und literarischen Materials, über all die Geschichten und Episoden aus Munthes Epoche hinaus auch: sympathisch und human. Munthe wollte der Welt zeigen, wo's lang geht und übersah fatalerweise, dass er ihr immer nur folgte, dass er Zeitgeist nicht erfand, sondern kopierte. Das trifft auf jeden, der sich durch Thomas Steinfeld mit Herrn Munthe angefreundet hat, ja wohl auch ein bisschen zu.
Rezensiert von Ursula März
Thomas Steinfeld: Der Arzt von San Michele. Axel Munthe und die Kunst, dem Leben einen Sinn zu geben
Hanser Verlag München, 2007.
254 Seiten. 21,50 Euro.