Selbstinszenierung in der Demokratie

Die Monarchie ist tot, es lebe der König

04:51 Minuten
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, fahren gemeinsam mit einem Schiff auf die Insel Herrenchiemsee. Dort findet die bayerische Kabinettssitzung in der Spiegelgalerie des Neuen Schlosses statt, an der Merkel teilnimmt. Bayern, Prien Am Chiemsee, 14.07.2020
Merkels und Söders Selbstdarstellung fällt pompös aus. Demokratische Politiker geben sich herrschaftlich, weil sie wüssten, dass es ihnen nützt, meint Nils Markwardt. © picture alliance / dpa/ Peter Kneffel
Von Nils Markwardt |
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Herrenchiemsee, Pferdeweide, Bootskulisse: Spitzenpolitiker inszenieren sich in diesen Sommerwochen: mal herrschaftlich, mal hautnah, aber immer ziemlich großartig. Wieso setzen sie in einer Demokratie auf royale Gesten?
Wo man in den vergangenen Tagen auch hinblickte: Große Bilder, große Gesten. Doch wurden dabei symbolpolitisch sehr unterschiedliche Bühnen bespielt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: An der Seite von Angela Merkel setzte Markus Söder auf die Inszenierung höfischer Herrlichkeit. Wie er mit der Kanzlerin im Spiegelsaal des Schlosses Herrenchiemsee posierte, vorherige Schiffs- und Kutschfahrt inklusive, das sollte offenbar quasi-royale Gefühle erzeugen.
Im Kontrast dazu hatte sich Robert Habeck verträumt in einer Herde von Pferden ablichten lassen. Ganz bodenständig, versteht sich, in Trainingsjacke und Wanderschuhen.

Der Leib des Königs: Körper der Macht

So unterschiedlich diese Bilder zunächst auch wirken mögen, haben sie dennoch etwas gemein. Söder und Habeck bilden mit ihren Fotoshootings nämlich die beiden Pole demokratischer Körperrepräsentation ab. Denn rein theoretisch stimmt es zwar: In modernen Demokratien steht nicht mehr der Leib des Königs im Mittelpunkt, sondern der abstrakte Kollektivkörper des Parlaments.
Praktisch wird aber natürlich auch in Demokratien der politische Einzelkörper in Szene gesetzt. Und dabei ist er bis zu einem gewissen Grad immer noch in jener monarchistischen Zwei-Körper-Lehre verhaftet, die der Historiker Ernst Kantorowicz einst ausführlich beschrieben hat. Demnach verfügten absolutistische Herrscher stets über einen natürlichen, also faktischen und sterblichen Körper, repräsentierten gleichzeitig aber auch immer einen übernatürlichen, also fiktiven und unsterblichen Körper der Macht.
Genau das wirkt bis heute nach. Besieht man Söders und Merkels quasi-royales Schaulaufen auf Herrenchiemsee, wurde hier symbolpolitisch der metaphysische Rest der absolutistischen Monarchie mobilisiert. Nach dem Motto: Seht her, all bigger than life, überlebensgroß. Der Politikwissenschaftler Philip Manow nannte das in seinem Buch "Im Schatten des Königs" einmal "republikanisches body snatching": Die Demokratie schlüpft in den Körper des absolutistischen Feindes.

Demokratisches Paradox: herrschaftlich und otto-normal

Robert Habecks Ausflug auf die Pferdekoppel scheint indes auf die gegenteilige Botschaft zu setzen. Nach dem Motto: Seht her, alles ganz natürlich.
Und genau darin besteht auch die paradoxe Anforderung demokratischer Selbstdarstellung: Dass man gegenüber den Bürgern und Bürgerinnen abwechselnd rest-metaphysische Sehnsüchte erzeugen und gleichzeitig authentische Ähnlichkeit beschwören muss. Das mag übrigens auch der Grund sein, warum die sogenannten "Sommerinterviews" der Öffentlich-Rechtlichen bei Politikern und Politikerinnen so beliebt sind. Wird ihnen hier einerseits doch journalistisch buchstäblich der Hof gemacht, können sie im vermeintlich zwanglosen Ambiente andererseits auch mal zeigen, wie sehr Mensch sie sind.

Weil anachronistische Gesten trotzdem wirken

Dass derlei demokratische Selbstdarstellung heute jedoch keineswegs nur Bewunderung hervorruft, scheint dabei bereits eingepreist zu sein. Zumindest ist davon auszugehen, dass Söder, Habeck und Co. darum wissen, dass solche Inszenierungen ja eigentlich übler Kitsch sind, der in sozialen Medien dann oft auch mit Häme kommentiert wird. Doch lautet die Kalkulation offenbar: Selbst bei der ironischen Verballhornung bleibt noch irgendwas hängen.
Es verhält sich hier also vielleicht wie in einer kolportierten Anekdote über den Physik-Nobelpreisträger Niels Bohr, der über der Tür seines Hauses ein glücksbringendes Hufeisen angebracht haben soll. Darauf angesprochen, dass er doch nicht ernsthaft an solche Symbole glauben könne, habe er geantwortet: Nein, das tue er keineswegs. Aber er habe gehört, sie helfen trotzdem.

Nils Markwardt ist leitender Redakteur des "Philosophie Magazins". Als Autor schrieb er unter anderen für "Zeit Online", "FAZ" und das Schweizer Online-Magazin "Republik".

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