"Digital ist für uns der Motor des Wandels"
Wie kaum ein anderes Medienunternehmen bemüht sich der Springer-Konzern darum, ins Digitalgeschäft einzusteigen. Nun hat er eine App gekauft, mit der der Nutzer sein Vorankommen messen kann. Für den Technologiechef des Unternehmens ist klar: Das Thema Selbstvermessung hat Zukunft.
Ulrich Schmitz ist seit über zehn Jahren bei Springer, und er ist dort für die Zukunft des Konzerns zuständig. Diese Zukunft beginnt für ihn mit der Vergangenheit:
"Ich würde mir ehrlich Sorgen machen, wenn jemand nicht an Bild und Welt denken würde im Zusammenhang mit Axel Springer... Das Thema Startups ist ja auch kein Selbstzweck, sondern dahinter stehen ja auch neue Marken, neue Geschäftsfelder, zum Teil alte Geschäfte mit neuen Methoden, die erst noch groß werden müssen."
Schmitz ist für die Experimente zuständig. Für den Springer-Technologiechef ist der grundsätzliche Weg klar:
"Selbst die analogen Prozesse wie eine Zeitung werden zum Teil digital hergestellt, aber wir würden es schon noch als ein analoges Produkt bezeichnen. Aber die digitalen Produkte haben einen immer größeren Stellenwert, heute schon und in der Zukunft noch mehr. Also insofern für uns: digital ist der Motor des Wandels."
Sich spielerisch mit dem inneren Schweinehund auseinandersetzen
Wohl kein anderer deutscher Verlag hat sich so radikal darum bemüht, jenseits seiner Zeitungen in das Digitalgeschäft einzusteigen. Und dazu gehören auch unerwartete Zukäufe. Es ist nur eine kleine App für das Smartphone, aber sie verfolgt ihre Nutzer auf Schritt und Tritt. Vier junge Österreicher gründeten 2009 aus ihrer Hochschule heraus ein Softwareunternehmen, das sehr erfolgreich ist: Mehr als 50 Millionen Downloads, mehr als 20 Millionen registrierte Nutzer auf der Plattform, 18 Sprachen und ein Onlineshop, in dem sich ein ganzer Stapel Zubehör käuflich erwerben lässt - das alles ist nach Angaben des Anbieters Runtastic, eine der derzeit populärsten Quantified Self-Anwendungen. Auch, weil sie so niederschwellig ist: Sie erlaubt es ihren Nutzern, sich spielerisch mit dem inneren Schweinehund auseinanderzusetzen.
Jan-Keno Janßen ist Spezialist für die digitale Vermessung des eigenen Daseins. Er ist Redakteur bei der Computerzeitschrift c’t. Für ihn steht fest:
"Das wird ja von vielen Menschen so als neoliberales Maschinenmenschenselbstoptimierungswahnzeugs genommen, aber ich seh in meinem Umfeld, dass die Leute einfach nur Spaß damit haben."
Motivation ist der Kern: Software wie Runtastic hilft ihren Nutzern dabei, ihr Vorankommen beim Laufen oder Fahrradfahren zu messen, festzustellen, wie sie beim Sport schneller oder langsamer werden. Die Software gibt den Nutzern Tipps, was sie besser machen könnten, worauf sie zu achten haben – zum Beispiel, wenn sie es übertreiben. Auch komplette Trainingspläne hilft die Software zu erstellen. Teils bieten solche Selbstvermessungs-Anwendungen überraschende Erkenntnisse, sagt Jan-Keno Janssen:
"Wenn ich jetzt statt den Fahrstuhl zu benutzen, den ganzen Tag die Treppen laufe, dann hab ich jetzt so und so viel mehr Schritte mehr, und dann vergleicht man sich mit den Kollegen und so. Das hat jetzt nicht so viel damit zu tun, dass man nun der perfekte, hochoptimierte Mensch sein soll."
Service-Angebote sind für viele Verlage ein wichtiges Feld
Die Treppen bis in den 19. Stock des Hochhauses in Berlin-Mitte steigt bei Axel Springer kaum einer. 50,1 Prozent erwarb die Firma an dem österreichischen Startup. Was möchte ein Verlag damit? Ulrich Schmitz erläutert:
"Ich finde es passt ganz hervorragend zusammen, also einmal Thema Sportkompetenz, und auch Gesundheit, das sind große journalistische Themen für die wir auch stehen. Jetzt geht’s ja weniger um Sportberichterstattung, sondern um eigenen Sport, und für mich ist Runtastic die moderne Übersetzung von einem Ratgeber."
Zu den Serviceseiten einer Zeitung gibt es einen wesentlichen Unterschied:
"Man bekommt jetzt eben nicht nur gesagt, was man machen sollte, man kann es jetzt auch überprüfen, man ist jetzt in einem Dialog miteinander."
Service-Angebote sind ein Feld, in dem sich viele Verlage nicht nur in ihren Publikationen sondern auch digital versuchen. Partnerbörsen und Kleinanzeigen, das gehört seit jeher zum Zeitungsgeschäft und trug auch zu seinem Finanzierungsmodell bei. Der Axel-Springer-Konzern hat früh angefangen, die Digitalisierung dieser Bereiche voranzutreiben. Aber die Zukäufe direkt in vorhandene Marken wie Bild oder Welt zu integrieren, davon will Ulrich Schmitz bei unserem Gespräch im 16. Stock des Springer-Hochhauses nichts wissen. Ihm geht es um etwas ganz anderes:
Selbstvermessung ist strategisch bedeutsam
"Wenn man jetzt ein Stück unter die Oberfläche schaut, es geht nicht immer darum, die produktseitig zu vernetzen, dann verstärkt sich das Netzwerk durch Kompetenzen. Im Bereich Runtastic eine ganz klare Mobilkompetenz, die auch für uns interessant ist, und sei es nur, dass es ein Austausch ist zu dem Thema."
Runtastic ist das bislang einzige Quantified-Self-Investment bei Axel Springer. Kurz nach dem Einstieg beim österreichischen Startup hat Ulrich Schmitz mit den Gründern einen Rundgang durch Springers Konzerngebäude unternommen.
"Wir hatten mit Runtastic hier die Einführungsrunde durchs Haus, auf die sind Ideen nur eingeprasselt, was man mit Runtastic alles machen kann."
Die Selbstvermessung des Ichs, auch für die Medienkonzerne ist sie strategisch von Bedeutung. Springer-Manager Ulrich Schmitz:
"Man sieht halt Leute jetzt mit Armbändern herumlaufen, das kann sein, dass das modisch bedingt ist. Aber das Thema zu messen, was man tut, das halte ich für unumkehrbar."