Selbstreflexionen und Zeitgeist-Kommentare
Robert Spaemann hat in der Philosophie des 20. Jahrhunderts so viel Gewicht wie seine Jahrgangskollegen Günter Grass und Martin Walser in der Literatur. Diese "Autobiografie in Gesprächen" gewährt nun amüsant-spannende Einblicke in sein Leben und Denken.
Der lapidare Titel verrät, dass sich der Verlag ganz auf den Namen Spaemann verlassen hat. Der hat in der Philosophie des 20. Jahrhunderts so viel Gewicht wie seine Jahrgangskollegen Günter Grass und Martin Walser in der Literatur. Wird eine solche Geistesgröße von einem "Focus"-Redakteur in zwölf Sitzungen interviewt, steht zu befürchten, dass Fragen herauskommen, wie sie Peter Seewald 2010 dem Papst gestellt hat: "Sie haben wie immer völlig recht. Sagen Sie uns bitte noch, worin." So aber fragt Stephan Sattler nicht, sondern klug und kritisch entlockt er dem 85-Jährigen autobiografische Schlüsselerlebnisse, überraschende Selbstreflexionen und Zeitgeist-Kommentare, die dieses Buch zu einer amüsant-spannenden Einführung in das philosophische Gesamtwerk Spaemanns machen. Das schnellfertige Etikett "frömmelnder Antimodernist" bekommt dabei erhebliche Kratzer.
Seine Eltern aus der linksintellektuellen Berliner Künstler-Bohème der 1920er-Jahre, bekannt mit Käthe Kollwitz, konvertieren zum katholischen Glauben. Roberts Mutter stirbt, als er neun ist. Sein Vater wird katholischer Priester, er selbst will Gärtner werden, als er vom missglückten Attentat auf Hitler hört, denn "an der vegetativen Natur endet der politische Totalitarismus". Seine Hitler-Karikatur an der Schultafel wischt der Direktor kurzerhand weg, bevor die Gestapo gerufen wird, und rettet dem Pubertierenden so das Leben.
Spaemann zählt bald zu den "Linkskatholiken", aber als er unter 800 Delegierten eines SED-Volkskongresses 1947 in Ostberlin die einzige Gegenstimme erhebt und von Wilhelm Pieck niedergebügelt wird, weiß er, "dass ich auf der falschen Hochzeit bin". Als Professor in Stuttgart und Nachfolger auf dem Lehrstuhl Hans-Georg Gadamers in Heidelberg kritisiert er die Atombewaffnung der Westmächte, steht in universitären Strukturreformen auf der Seite der 68er, ist mit Heinrich Böll eng befreundet und gerät mit ihm in eine RAF-Razzia.
"Vom Naturell her bin ich immer ein Skeptiker. Man muss aber auch Zweifel in den Zweifel setzen, schreibt Hegel, insofern: Widerspruchsgeist. Worum es mir in der Philosophie geht, ist `Selbst-Sein` im Sinne von `auf- etwas-aus-sein." Diesen teleologischen Ansatz Spaemanns ( von "telos", Ziel, Absicht ) dekliniert Stephan Sattler präzise mit ihm durch. Warum er lieber auf Rechte statt auf Werte setzt, warum er in keine Ethikkommission ging, warum die Herrschaft über die Natur eine Beheimatung in der Natur zum Ziel haben muss und warum er Christ und Philosoph, aber eben kein "katholischer Philosoph" ist.
"Nietzsche meinte ja, wenn Gott nicht ist, muss man auch den Begriff der Wahrheit fallen lassen, weil es nur noch einzelne Perspektiven gibt. Ohne den Gedanken einer universalen Wahrheit aber geben wir die Aufklärung auf, denn die lebt vom Glauben an die Wahrheit. Einem Gläubigen vorzuhalten `Du hast ja diese (religiöse) Voraussetzung`, ist ein Trick. Als hätte der Ungläubige keine!"
Ein wunderbares Gesprächsprokoll.
Besprochen von Andreas Malessa
Robert Spaemann: Über Gott und die Welt. Eine Autobiografie in Gesprächen
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2012
350 Seiten, 24,95 Euro
Seine Eltern aus der linksintellektuellen Berliner Künstler-Bohème der 1920er-Jahre, bekannt mit Käthe Kollwitz, konvertieren zum katholischen Glauben. Roberts Mutter stirbt, als er neun ist. Sein Vater wird katholischer Priester, er selbst will Gärtner werden, als er vom missglückten Attentat auf Hitler hört, denn "an der vegetativen Natur endet der politische Totalitarismus". Seine Hitler-Karikatur an der Schultafel wischt der Direktor kurzerhand weg, bevor die Gestapo gerufen wird, und rettet dem Pubertierenden so das Leben.
Spaemann zählt bald zu den "Linkskatholiken", aber als er unter 800 Delegierten eines SED-Volkskongresses 1947 in Ostberlin die einzige Gegenstimme erhebt und von Wilhelm Pieck niedergebügelt wird, weiß er, "dass ich auf der falschen Hochzeit bin". Als Professor in Stuttgart und Nachfolger auf dem Lehrstuhl Hans-Georg Gadamers in Heidelberg kritisiert er die Atombewaffnung der Westmächte, steht in universitären Strukturreformen auf der Seite der 68er, ist mit Heinrich Böll eng befreundet und gerät mit ihm in eine RAF-Razzia.
"Vom Naturell her bin ich immer ein Skeptiker. Man muss aber auch Zweifel in den Zweifel setzen, schreibt Hegel, insofern: Widerspruchsgeist. Worum es mir in der Philosophie geht, ist `Selbst-Sein` im Sinne von `auf- etwas-aus-sein." Diesen teleologischen Ansatz Spaemanns ( von "telos", Ziel, Absicht ) dekliniert Stephan Sattler präzise mit ihm durch. Warum er lieber auf Rechte statt auf Werte setzt, warum er in keine Ethikkommission ging, warum die Herrschaft über die Natur eine Beheimatung in der Natur zum Ziel haben muss und warum er Christ und Philosoph, aber eben kein "katholischer Philosoph" ist.
"Nietzsche meinte ja, wenn Gott nicht ist, muss man auch den Begriff der Wahrheit fallen lassen, weil es nur noch einzelne Perspektiven gibt. Ohne den Gedanken einer universalen Wahrheit aber geben wir die Aufklärung auf, denn die lebt vom Glauben an die Wahrheit. Einem Gläubigen vorzuhalten `Du hast ja diese (religiöse) Voraussetzung`, ist ein Trick. Als hätte der Ungläubige keine!"
Ein wunderbares Gesprächsprokoll.
Besprochen von Andreas Malessa
Robert Spaemann: Über Gott und die Welt. Eine Autobiografie in Gesprächen
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2012
350 Seiten, 24,95 Euro