Selbstreinigungskräfte der Öffentlichkeit
Thilo Sarrazins These, Deutschland könne sich abschaffen, weil es die Gefahren des Islams unterschätze, ist auf millionenfache Resonanz gestoßen. Grund genug für Patrick Bahners, "FAZ"-Feuilletonchef, vor den Gefahren irrationaler Islamkritik zu warnen.
In der Buchhandlung lag die Ware noch nicht aus, da waren die Urteile darüber schon gefällt. Ein "Meisterwerk der Aufklärung", jubelte die "Süddeutsche Zeitung". Dagegen ätzte Thilo Sarrazin in der "Frankfurter Allgemeinen": "Wenn der türkische Präsident (!) Erdogan je einen Ghostwriter brauchte, Patrick Bahners wäre die ideale Besetzung." Abgesehen davon, dass Sarrazin, der Meister der Faktenhuberei, den türkischen Ministerpräsidenten in ein neues Amt befördert, lautet die Anklage also Nestbeschmutzung: Bahners, der Buchautor und "FAZ"-Feuilletonchef, als Gesinnungsgenosse des politischen Muslims Erdogan, der sich schon mal als Freund des iranischen Herrschers und Hetzers Ahmadinedschad bezeichnet.
Doch der Reihe nach. Es war im vergangenen August – das Buch "Deutschland schafft sich ab" des damaligen Bundesbank-Vorstands Sarrazin lag noch nicht in den Läden –, da waren die Urteile darüber schon gefällt. "Nicht hilfreich", kommentierte die Bundeskanzlerin. Das Wahlvolk aber kaufte und kaufte, inzwischen mehr als eine Million Exemplare dieser Nonfiction-Apokalypse, die mit Zahlen zu Demographie und Intelligenzquotienten beweisen will, dass die eingesessene deutsche Bevölkerung vor allem von muslimischen Einwanderern in ihrer Existenz bedroht sei. Jetzt, seit dem Wochenende, liegt in den Buchhandlungen neben Sarrazins Stapelware Patrick Bahners’ "Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam". Ein Anti-Sarrazin?
Nicht ganz. Denn in diesem Buch geht es nicht um Bevölkerungspolitik, nicht um Intelligenz und deren Vererbung, nicht einmal direkt um den Islam. Der eigentliche Gegenstand dieses Buches liegt auf einer Ebene daneben: Es kritisiert die Islamkritik. Seine Sorge gilt nicht dem deutschen Genpool, sie gilt dem Zustand der deutschen Öffentlichkeit. Denn die verroht zusehends, wenn es um den Islam geht.
"Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert": Erschreckend an diesem Satz Sarrazins ist nicht nur das Wort vom "Kopftuchmädchen" (dem kleinen), nicht nur, dass die Muslime hier keine Familien gründen, sondern Kinder produzieren (und zwar ständig), nicht nur, dass er Anerkennung, dieses menschliche Grundnahrungsmittel, bestimmten Mitbürgern verweigert. Das eigentlich Erschreckende ist, dass dieser Satz inmitten der Unmengen von Diskurs-Morast, die Patrick Bahners zu Tage fördert, kaum auffällt. Und damit sind nicht nur die Pointen der Feminismus-Veteranin Alice Schwarzer, der (konvertierten?) Musliminnen Ayaan Hirsi Ali und Necla Kelek oder der jüdisch-stämmigen Publizisten Ralph Giordano und Henryk M. Broder gemeint. Letzterer dichtete etwa: "Wer einen Migrationshintergrund hat, der braucht nur noch in ganz extremen Fällen einen Anwalt, zum Beispiel wenn er einen Filmemacher auf offener Straße abschlachtet."
Bahners hat sich durch Myriaden von unscheinbaren Herablassungen, Vorurteilen, Zahlen-Phantasien gearbeitet. 90 Prozent der Araber in Berlin lehnen den Staat ab, behauptet Statistik-Fan Sarrazin – und schert sich nicht um einen Beleg für diese Unterstellung. Der "Wetzlar Kurier" hält es für eine "gefühlte Landnahme", wenn Muslime in Deutschland leben. Necla Kelek meint, die typischen türkischen Gastarbeiter weigerten sich, Deutsch zu lernen und schotteten sich "stattdessen" massenhaft in ihren Moscheen ab – während das Allensbacher Demoskopie-Institut 70 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Hintergrund gute bis sehr gute Deutschkenntnisse bescheinigt. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen interpretiert, bei jungen Muslimen gehe "die zunehmende Bindung an ihre Religion mit einem Anstieg der Gewalt einher" – obwohl seine eigenen Forschungsergebnisse dieser Behauptung zum Teil direkt widersprechen. Familienministerin Schröder glaubt an den "Zusammenhang zwischen Religiosität, Machonormen und Gewaltneigung" – auf der Basis von Studien, die diese These gar nicht hergeben. Aber sie will "keine falschen Tabus".
Keine Tabus? Tatsächlich gibt es in dieser Debatte kaum noch welche. Der Muslim sei verschlagen, Demokratie sei mit ihm nicht vereinbar, Gewalt gehöre zu seiner Natur: Bahners prüft und widerlegt die Klischees der Islamkritik, mit Witz und Polemik und mit einer Akribie, die manchmal an einen Hochleistungsstaubsauger erinnert: kein Buch, kein Artikel, keine Webseite zum Thema, die er nicht verschlungen hätte. Hier spricht ein liberaler Intellektueller, der an die Selbstreinigungskräfte der bürgerlichen Öffentlichkeit noch im Zeitalter ihrer Zersplitterung glaubt. Wer diesen Glauben nicht aufgegeben hat, kann für dieses Buch nur dankbar sein.
Besprochen von René Aguigah
Patrick Bahners: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift
C. H. Beck Verlag, München 2011
320 Seiten, 19,95 Euro
Doch der Reihe nach. Es war im vergangenen August – das Buch "Deutschland schafft sich ab" des damaligen Bundesbank-Vorstands Sarrazin lag noch nicht in den Läden –, da waren die Urteile darüber schon gefällt. "Nicht hilfreich", kommentierte die Bundeskanzlerin. Das Wahlvolk aber kaufte und kaufte, inzwischen mehr als eine Million Exemplare dieser Nonfiction-Apokalypse, die mit Zahlen zu Demographie und Intelligenzquotienten beweisen will, dass die eingesessene deutsche Bevölkerung vor allem von muslimischen Einwanderern in ihrer Existenz bedroht sei. Jetzt, seit dem Wochenende, liegt in den Buchhandlungen neben Sarrazins Stapelware Patrick Bahners’ "Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam". Ein Anti-Sarrazin?
Nicht ganz. Denn in diesem Buch geht es nicht um Bevölkerungspolitik, nicht um Intelligenz und deren Vererbung, nicht einmal direkt um den Islam. Der eigentliche Gegenstand dieses Buches liegt auf einer Ebene daneben: Es kritisiert die Islamkritik. Seine Sorge gilt nicht dem deutschen Genpool, sie gilt dem Zustand der deutschen Öffentlichkeit. Denn die verroht zusehends, wenn es um den Islam geht.
"Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert": Erschreckend an diesem Satz Sarrazins ist nicht nur das Wort vom "Kopftuchmädchen" (dem kleinen), nicht nur, dass die Muslime hier keine Familien gründen, sondern Kinder produzieren (und zwar ständig), nicht nur, dass er Anerkennung, dieses menschliche Grundnahrungsmittel, bestimmten Mitbürgern verweigert. Das eigentlich Erschreckende ist, dass dieser Satz inmitten der Unmengen von Diskurs-Morast, die Patrick Bahners zu Tage fördert, kaum auffällt. Und damit sind nicht nur die Pointen der Feminismus-Veteranin Alice Schwarzer, der (konvertierten?) Musliminnen Ayaan Hirsi Ali und Necla Kelek oder der jüdisch-stämmigen Publizisten Ralph Giordano und Henryk M. Broder gemeint. Letzterer dichtete etwa: "Wer einen Migrationshintergrund hat, der braucht nur noch in ganz extremen Fällen einen Anwalt, zum Beispiel wenn er einen Filmemacher auf offener Straße abschlachtet."
Bahners hat sich durch Myriaden von unscheinbaren Herablassungen, Vorurteilen, Zahlen-Phantasien gearbeitet. 90 Prozent der Araber in Berlin lehnen den Staat ab, behauptet Statistik-Fan Sarrazin – und schert sich nicht um einen Beleg für diese Unterstellung. Der "Wetzlar Kurier" hält es für eine "gefühlte Landnahme", wenn Muslime in Deutschland leben. Necla Kelek meint, die typischen türkischen Gastarbeiter weigerten sich, Deutsch zu lernen und schotteten sich "stattdessen" massenhaft in ihren Moscheen ab – während das Allensbacher Demoskopie-Institut 70 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Hintergrund gute bis sehr gute Deutschkenntnisse bescheinigt. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen interpretiert, bei jungen Muslimen gehe "die zunehmende Bindung an ihre Religion mit einem Anstieg der Gewalt einher" – obwohl seine eigenen Forschungsergebnisse dieser Behauptung zum Teil direkt widersprechen. Familienministerin Schröder glaubt an den "Zusammenhang zwischen Religiosität, Machonormen und Gewaltneigung" – auf der Basis von Studien, die diese These gar nicht hergeben. Aber sie will "keine falschen Tabus".
Keine Tabus? Tatsächlich gibt es in dieser Debatte kaum noch welche. Der Muslim sei verschlagen, Demokratie sei mit ihm nicht vereinbar, Gewalt gehöre zu seiner Natur: Bahners prüft und widerlegt die Klischees der Islamkritik, mit Witz und Polemik und mit einer Akribie, die manchmal an einen Hochleistungsstaubsauger erinnert: kein Buch, kein Artikel, keine Webseite zum Thema, die er nicht verschlungen hätte. Hier spricht ein liberaler Intellektueller, der an die Selbstreinigungskräfte der bürgerlichen Öffentlichkeit noch im Zeitalter ihrer Zersplitterung glaubt. Wer diesen Glauben nicht aufgegeben hat, kann für dieses Buch nur dankbar sein.
Besprochen von René Aguigah
Patrick Bahners: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift
C. H. Beck Verlag, München 2011
320 Seiten, 19,95 Euro