300 Arbeitsstunden im Monat - muss sein!
Wenn das Leben zwischen Rostock und Saarbrücken heute vielfältiger ist als vor einem halben Jahrhundert, dann auch wegen der vielen kleinen Selbständigen ausländischer Herkunft. Die Migrantenökonomie ist inzwischen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.
Leicht: "Wenn man sich in den letzten Jahren die Entwicklung von Selbständigkeit anschaut, dann fällt auf, dass einzelne Gruppen herausstechen - das sind beispielsweise Frauen, deren Zahl stark zugenommen hat, und Migranten. Die Gründungsraten sind sehr viel höher als bei Deutschen."
Budiaki: "Ich habe immer Lust gehabt, ein Restaurant zu eröffnen, afrikanische Küche ist meine Leidenschaft. Ich bin in einem Restaurant aufgewachsen und liebe es zu kochen."
Redondo: "Jeder von uns leistet 300 Arbeitsstunden im Monat. Muss sein."
Radka L.: "Ich bin selbständig. Ich hab mit diesem Hotel einen Vertrag. 2 Euro 70 pro Zimmer ist die Bezahlung. Ich kann nur kotzen."
Weit über zwei Millionen Menschen finden in Deutschland in der Migrantenökonomie Arbeit − in Betrieben von Selbständigen mit ausländischem Hintergrund. Wenn der Alltag zwischen Rostock und Freiburg heute charmanter und vielseitiger ist als vor einem halben Jahrhundert, dann auch wegen dieser Migrantinnen und Migranten. Geschäfte und Lokale mit internationalem Angebot prägen weithin das Bild deutscher Städte − besonders eindrucksvoll etwa auf dem Kottbusser Damm in Berlin, im "Portugiesenviertel" in Hamburg, in der Keupstraße in Köln, im japanischen Geschäftsviertel in Düsseldorf oder in der Wanheimer Straße in Duisburg.
Barełkowski: "1982 habe ich mich umgeschaut, ob ich hier einen Job bekomme. Ich habe bei einem Studentenreisebüro gearbeitet. Später wurde ich von einem Polen angesprochen, ob ich in sein Reisebüro einsteigen könnte, weil er schon in fortgeschrittenem Alter war. Und nach zwei Jahren habe ich das Reisebüro übernommen."
Dr. Jacek Barełkowski über die Anfänge seiner Firma. Der temperamentvolle ältere Mann ist Präsident der Vereinigung polnischer Geschäftsleute in Berlin:
Nach der Aufnahme Polens in die EU ist die Zahl der polnischen Firmen in Berlin und in Deutschland überhaupt rasant gestiegen.
Längst sind selbständige Migranten und Migrantinnen in nahezu allen Branchen und Regionen aktiv. Entgegen der ersten Vermutung handelt es sich bei den über 700.000 Klein- und Kleinstunternehmen nicht überwiegend um Gemüsehändler, Dönerbudenbesitzer oder Pizzabäcker. Gewöhnlich hat ihre Arbeit keinen Bezug mehr zu ihrem Herkunftsland und die Unterschiede zur Welt der Selbständigen mit deutschemHintergrund verringern sich stetig.
Die meisten dieser Unternehmer müssen allerdings mit ziemlich geringen Einkommen und überlangen Arbeitszeiten zurechtkommen. Außer Mühen und Behinderungen, gibt es jedoch auch Erfolge, Geschäftsideen, Dynamik und Durchsetzungsfähigkeit.
Kayli: "Unser erster Anlauf war in Worms, im Jahr 2004. Angefangen hat es durch einen Bekannten - er hat uns gesagt, er möchte seinen Laden übergeben. Wir haben okay gesagt, wir haben dort angefangen. Die Miete war für uns zu hoch."
Derya Kayli kommt aus einer türkischen Familie und arbeitet seit einigen Jahren als selbständige Kosmetikerin. 2014 eröffneten die junge Frau und ihr Mann - zuvor Metallarbeiter – zudem ein Restaurant im saarländischen Völklingen. Beide hatten es schon einmal mit einem Döner-Imbiss versucht.
"Am Anfang dachten wir noch, wir schaffen das, als wir gesehen haben, wie viel in der Stadt los ist, wie viele Touristen dort hinkommen. Ich hab dann noch einen Existenzgründungszuschuss bekommen vom Jobcenter. Wir haben eigentlich sehr gut verdient, auch unsere Schulden bezahlen können. Die Miete war eben sehr hoch. So ist es passiert, dass wir aus diesem Geschäft rausgehen mussten."
Historischer Originalton: Josef Stingl über den millionsten Gastarbeiter:
"Seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts holten Unternehmer Millionen von sogenannten Gastarbeitern aus den Mittelmeerländern in die Bundesrepublik. Als Stahlwerker, Textilarbeiterinnen oder Betonbauer leisteten sie einen entscheidenden Beitrag zum "Wirtschaftswunder". Einzelne Italiener, Griechen oder Türken gründeten auch Geschäfte, die Oliven, Helva oder Retsina verkauften - in erster Linie an die eigene Bevölkerungsgruppe. Andere eröffneten kleine Übersetzungsagenturen oder Reisebüros."
Das war gegen den Trend, denn Selbständigkeit schien in Deutschland damals ein Auslaufmodell zu sein. Unzählige Handwerker, Einzelhändlerinnen und Bauern mussten angesichts der Konkurrenz größerer, produktiverer Betriebe aufgeben. Mitte der Achtziger setzte eine gegenläufige Entwicklung ein. Die Zunahme der Zahl der Klein- und Kleinstunternehmer - unter Deutschen wie unter Migranten - gehört seither zu den Megatrends in der Arbeitsgesellschaft. Größere Firmen ließen immer mehr Aufgaben von billigen Selbständigen erledigen - in Lagerhallen, Kantinen oder Callcentern, bei Reinigung, Transport oder Bewachung. Außerdem:
Leicht: "Die Deutschen als auch die Ausländer, wenn sie von Arbeitslosigkeit betroffen waren, sind sehr stark in die Selbständigkeit geflüchtet."
Der Soziologe René Leicht von der Universität Mannheim ist einer der bekanntesten Experten für das Thema "Selbständige mit ausländischem Hintergrund". Zusammen mit Marc Langhauser veröffentlichte er 2014 die erste umfassende Untersuchung über diese Gruppe. Er hebt hervor ...
"... dass beispielsweise in den achtziger Jahren vielen Selbständigen von den Ausländerbehörden gar keine Möglichkeit gegeben wurde, sich in bestimmten Branchen selbständig zu machen. Deren Tätigkeit wurde von vornherein auf die Gastronomie beschränkt. Man hat auf politischer Ebene dafür gesorgt, dass Migranten bestimmten Branchen zugewiesen werden."
Unfreiwillige Existenzgründung
Barełkowski: "Man spricht jetzt von über 5000 polnischen Firmen in Berlin. Dazu kommen noch Handwerker, um die 2000."
Jacek Barełkowski. In den letzten Jahren machten sich viele Menschen aus den neuen - armen - EU-Ländern Rumänien und Bulgarien auf den Weg, oft mit dem Ziel Selbständigkeit.
Kayli: "Ja, es ist ein Fluchtpunkt. Weil sie denken - ich hab mich in hundert Firmen beworben, ich finde keinen Anschluss. So dass die Leute sich in die Selbständigkeit stürzen."
Derya Kayli aus Völklingen.
Typisch für eher unfreiwillige Existenzgründung ist die Geschichte von Dionisio Redondo Ruano aus Duisburg. Er kam mit der ersten Generation der sogenannten Gastarbeiter aus Spanien ins Ruhrgebiet:
"Ich bin gelernter Dreher. Während der beruflichen Ausbildung kamen Ingenieure von Krupp Rheinhausen zu uns, haben sich unsere Ausbildung angeschaut und festgestellt, dass wir nach dem Schema der deutschen Auszubildenden ausgebildet wurden. Dann haben sie uns angeworben. Dann haben wir - einige Jugendliche - uns entschlossen, hierhin zu kommen. Wir hätten sowieso nicht die Möglichkeit gehabt, langfristig eine Arbeitsstelle zu finden. Danach war ich ein Jahr bei Krupp, bis ich bei der Deutsche Babcock - Wilcox in Oberhausen angefangen habe."
Durch die Arbeit in der Metallindustrie ist Dionisio Redondo, ein ruhiger, selbstbewusster Mann, bronchialgeschädigt - daher seine heisere Stimme.
"Da habe ich bei Babcock in der Maschinenfabrik bis 2001 gearbeitet. Dann wurde ich nach der Insolvenz von Babcock wie alle anderen auch auf die Straße gesetzt. Ja, ich war dann mittellos, ohne Abfindung, ohne alles. Eine Stelle zu finden - als damals 53-Jähriger - war ja nicht einfach. Und wo ich mich überall beworben habe, hat es nicht geklappt. Ich habe vom Arbeitsamt eine Möglichkeit bekommen, Lehrgänge mitzumachen. Da habe ich nach einem halben Jahr, wo ich mir einiges an Wissen angeeignet habe, die Möglichkeit gehabt, eine Gaststätte in Duisburg-Hochfeld zu übernehmen."
Es war das erste spanische Lokal in der ganzen Stadt.Bis heute entscheiden sich auch Migrantinnen und Migranten oft nur widerstrebend für Selbständigkeit. Aber sie sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen - weil sie unzulänglich Deutsch sprechen, geringer qualifiziert sind oder weil sie auf Vorurteile treffen.
Budiaki: "Mein Abitur wurde nicht anerkannt. Ich musste den Realschulabschluss hier wiederholen. Danach eine dreijährige Ausbildung zur Europakorrespondentin. Ich hab viele Bewerbungen geschrieben. Es wurde mir immer gesagt - mein Deutsch ist nicht so gut. Ich wusste nicht mehr, was ich machen konnte."
Chinyere Budiaki ist in Nigeria aufgewachsen. Die freundliche, lebhafte Frau kam 2002 als Flüchtling nach Leipzig.
In der DDR waren nur wenige hunderttausend Menschen ausländischer Herkunft beschäftigt, vor allem aus Vietnam und Polen.
Mehr oder weniger erzwungene Flexibilität ist in der Arbeitswelt längst selbstverständlich geworden. Auch deshalb arbeiten in Deutschland etwa ein Drittel mehr Menschen - Migranten wie Einheimische - als Selbständige als noch zu Beginn der neunziger Jahre. René Leicht:
"Wenn man die Selbständigenquote derer mit Migrationshintergrund betrachtet, kommen wir auf eine Quote, die liegt im Jahr 2013 bei 10 Prozent - während die ohne Migrationshintergrund eine Selbständigenquote von 11 Prozent haben."
Radka L.: "Ich bin verheiratet, habe drei Kinder. In Bulgarien gibt es keine Arbeit, deswegen bin ich hier. Damit ich meine Kinder ernähren kann."
Radka L. ist eine junge Frau, für die man sich eine wesentlich qualifiziertere Beschäftigung vorstellen könnte. Sie arbeitet seit fünf Jahren in Düsseldorf als selbständige Reinigungskraft. Ihr und vielen anderen Menschen aus Bulgarien und Rumänien blieb damals kaum eine andere Wahl als Selbständigkeit. Erst seit 2014 dürfen Zuwanderer aus Bukarest, Craiova oder Varna sich in Deutschland eine Stelle als Arbeiter oder Angestellte zu suchen.
Aber Selbständigkeit ist keinesfalls nur ein Fluchtpunkt.
Massetti: "Ich bin sehr zufrieden. Ich bin zufrieden, weil ich die Freiheit habe zu entscheiden, was ich mit meiner Zeit mache, was ich für Projekte machen."
Lisa Massetti aus Mannheim. Die Theaterregisseurin mit italienischem Hintergrund - klug, eigenwillig, neugierig - arbeitete von Anfang an als Selbständige.
Auch unter Migrantinnen und Migranten gibt es viele Menschen, die sich nicht unter dem Druck der Verhältnisse für Selbständigkeit entscheiden, sondern weil sie gegenüber der Welt der Angestellten mehr Selbstbestimmung, Zeitsouveränität oder kreative Freiräume erwarten. Bestimmt sind manchmal auch Illusionen von schnellem Reichtum durch die Arbeit "auf eigene Rechnung" im Spiel.
Wegen der Liebe nach Deutschland
Budiaki: "Ich habe immer Lust gehabt, ein Restaurant zu eröffnen, afrikanische Küche ist meine Leidenschaft. Ich bin in einem Restaurant aufgewachsen und liebe es zu kochen."
Es waren also nicht nur die vielen Absagen bei der Jobsuche, die Chinyere Budiaki dazu brachten, 2013 ihr Afrikanisches Haus in Leipzig zu eröffnen.
Massetti: "Ich bin nicht aus meinem Land geflüchtet. Mir ging es gut. Die große Motivation war die Liebe. Ich hatte eine Beziehung mit einem Deutschen. Das hat mich hierher gebracht."
Barełkowski: "Mir ist das nicht bekannt. Darüber kann ich nichts Schlimmes berichten."
Jacek Barełkowski, der Präsident der Vereinigung polnischer Geschäftsleute in Berlin.
Dennoch - das Thema "Diskriminierung" spielt eine fatale Rolle in der Geschichte der selbständigen Migrantinnen und Migranten.
Kayli: "Meine Erwartung war, dass ich dort übernommen werde, wenn ich meine Ausbildung beendet habe. Aber weil ich Migrantin war, haben die mir nicht so viel zugetraut. Daraufhin war ich sehr traurig."
Derya Kayli ist gelernte Steuerfachangestellte. Zahlreiche Menschen mit ausländischem Hintergrund machten sich selbständig, weil sie auf dem Arbeitsmarkt Vorurteile und selbst offene Diskriminierung erlebt haben. Ausländische Schulzeugnisse, Facharbeiterbriefe oder Diplome werden oft ohne überzeugende Begründung verworfen. Der Soziologe René Leicht:
Der Zugang zum Handwerk ist immer noch eingeschränkt - aber auch der Zugang zu den freien Berufen. Weshalb sie sich dann selbständig machen in Branchen, die nicht die Qualifikation erfordern, die sie tatsächlich haben.
Massetti: "In allen Institutionen, wo wir schauen - wie viele Migranten sind da ? Im Theater - wie viele Regisseure mit Migrationshintergrund gibt es? Wie viele Intendanten? Wie viele?"
Lisa Massetti. Immer wieder berichten Existenzgründer mit ausländischen Namen auch von abschätziger Behandlung durch Vermieter oder Auftraggeber. Radka L. ist als selbständige - genauer scheinselbständige - Reinigungskraft in einem großen Hotel beschäftigt, zu miserablen Bedingungen:
"Es ist mir sehr traurig. Ich bin kein Mensch hier. Ich schaue in die Augen der anderen - und die sagen, ich bin kein Mensch."
Budiaki: "Es ist eine Kombination von einem afrikanischen Laden - Geschenkartikel, Kleidung, Schmuck - und einem Bistro, wo man afrikanisches Essen genießen kann."
Chinyere Budiaki machte sich 2013 gemeinsam mit ihrem Mann selbständig, der ebenfalls aus Afrika kommt. Die Gegend hier um die Breite Straße im Osten Leipzigs wirkt an manchen Stellen heruntergekommen, an anderen bunt und lebendig:
"Manche Migranten arbeiten einfach im selben Beruf weiter wie in ihrem Herkunftsland. Manche übernehmen Obst- und Gemüseläden, Bäckereien, Änderungsschneidereien oder Schuhmacherwerkstätten, die Deutsche angesichts der Expansion von Filialketten und wegen schlechter Einkommen und Arbeitsbedingungen aufgegeben haben."
Gyros, Döner Kebab oder Tagliatelle alle vongole, Blusen aus Griechenland, Teppiche aus der Türkei oder Vasen aus Italien - die Angebote, mit denen die Migrantenökonomie begann, faszinierten bald auch Deutsche. Dann fanden sie neue Frisiersalons, Umzugsfirmen, Zeitungsläden, Autowerkstätten ...
Längst suchen Selbständige mit ausländischem Hintergrund ihre Chance in allen Branchen und auch in Regionen, wo nur wenige Migranten leben. Jacek Barełkowski:
Barełkowski: "Ich besitze seit Jahren das Reisebüro, das früher auf Reisen nach Polen spezialisiert war. Aber mit der Zeit mussten wir uns verändern. Wir sind sozusagen ein normales Reisebüro, gehören zur Thomas-Cook-Reisebüro-Gruppe. Außer Reisen nach Polen kann man bei uns auch jede Reise weltweit buchen."
Leicht: "Wenn man alle migrantischen Unternehmen betrachtet - dann haben nur 13 Prozent mehrheitlich Kunden aus der gleichen Gruppe."
Suche nach Marktlücken
Um hier "Parallelgesellschaften" zu entdecken, braucht man eine Menge Fantasie. Aber warum gab und gibt es so auffallend viele türkische Imbisse, polnische Baufirmen, italienische Eiscafés, Ärzte oder Künstlerinnen mit rumänischem oder russischem Hintergrund? Mit kulturellen Traditionen hängt das kaum zusammen - eher mit unterschiedlichen Qualifikationen und der Suche nach Marktlücken.
Leicht: "Wenn man sich das Beispiel der italienischen Gastronomie vor Augen führt, wird deutlich, dass es nicht nur an den Migranten selbst liegt, sondern auch an der Nachfrage. Es sind ja vor allem die Deutschen, die italienische Restaurants besuchen."
René Leicht von der Universität Mannheim: "Wenn man Türkeistämmige, Italiener, Griechen betrachtet, dann wissen wir, dass viele im Bereich Gastronomie und Handel tätig sind. Aber man muss dazu sagen, dass sich dieser Anteil im Verlauf der letzten 15, 20 Jahre etwa halbiert hat."
Massetti: "Ich habe in Italien die Theaterschule besucht. Deswegen habe ich viele Jahre selber Theater gespielt. Und parallel habe ich eine theaterpädagogische Ausbildung gemacht. Wir hatten Projekte für Schulen. Ich habe im Knast ein Projekt gemacht, in der Psychiatrie ..."
Die Autorin und Regisseurin Lisa Massetti gehört zu der rasch wachsenden Gruppe hochqualifizierter Migrantinnen und Migranten. Das Bildungsniveau der dritten und vierten Generation von Deutschen mit ausländischem Hintergrund liegt deutlich über dem ihrer Eltern oder Großeltern. Gerade aus Südosteuropa und dem Nahen Osten kommen immer mehr Hochschulabsolventen.
Derya Kayli, die ein Restaurant eröffnet hat, betont:
"... dass es Migranten gibt, die Rechtsanwälte sind, Dolmetscher, Architekten, Ingenieure. Es sind viele Branchen. Aber im Vordergrund wird immer gesehen - Ausländer ? Der macht Gastronomie auf. Als erstes ist immer dieser Blick."
Lisa Massetti lebt seit 1995 in Mannheim. Sie arbeitet mit einer freien Theatergruppe im armen Stadtteil Jungbusch. Sie erhielt Kulturpreise:
"Wir haben das Publikum vom Nationaltheater - und das Publikum von hier. Wir haben schon sechsmal für das Internationale Festival in Mannheim im Nationaltheater gespielt."
In der Welt "wissensintensiver" Dienstleistungen, vom Computertechniker bis zur Psychotherapeutin, arbeitet heute ein Viertel der migrantischen Selbständigen - mehr als oft angenommen.
Redondo: "Meine Frau und ich - zusammen - haben im Monat netto so an die 1300 Euro."
Der Gastwirt Dionisio Redondo aus Duisburg. Die meisten selbständigen Migrantinnen und Migranten leben ziemlich bescheiden.
Sie arbeiten überwiegend allein oder mit ein, zwei Beschäftigten. Größere finden sich hingegen nur sehr selten - bekannt sind der Tourismuskonzern Öger Tours, das Bauunternehmen HBM und der Textilkonzern SahinlerGroup.
Leicht: "Da muss man aber dazu sagen, dass das auch nicht verwundert - weil die Chancen von Migranten, ein Unternehmen zu erben, wesentlich geringer sind. Wir haben ja viele deutsche Selbständige, die von Eltern oder Großeltern ein Unternehmen geerbt haben.
Hunderttausende deutsche Selbständige sind reich oder sehr reich. Unter Migranten und Migrantinnen trifft man vergleichsweise wenige Besserverdienende - Großhändler, Rechtsanwältinnen, Hoteliers, Importeure, Zahnärztinnen ...
Man kann sagen, dass das durchschnittliche Nettoeinkommen bei den deutschen Selbständigen ohne Migrationshintergrund bei etwa 2600 Euro im Monat liegt. Bei den Migranten liegt es nur bei 2000 Euro."
Viele prekäre Jobs
Das Abenteuer Selbständigkeit kann manchmal brutal sein. Der Boom der Existenzgründung ist längst mit einem weiteren Megatrend verschmolzen - der Ausbreitung gering bezahlter und sozial schlecht abgesicherter "prekärer" Jobs.
Auch viele Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund leben am Rand des Existenzminimums oder darunter. Familienangehörige arbeiten teilweise ohne Bezahlung mit. Allerdings:
Leicht: "Es ist ein Stereotyp, dass man annimmt, dass Migrantenunternehmen mehr Familienbeschäftigte haben. Es ist eher eine Frage der Betriebsgröße. Wir haben festgestellt, dass in Kleinbetrieben der Anteil von Familienangehörigen großist. Aber das ist bei deutschen Betrieben vergleichbar."
Wie über hunderttausend andere Selbständige zwischen Rügen und Bodensee stockt Chinyere Budiaki aus Leipzig ihr Arbeitseinkommen mit "Hartz IV" auf:
"Wir sind auch dankbar, dass wir noch Leistungen vom Arbeitsamt bekommen. Was ich hier verdiene, bezahle ich für die Miete, Elektrizität und alles. Am Ende habe ich persönlich nichts. Nichts! Nur Arbeitslosengeld II. (lacht) Es ist überhaupt nicht einfach."
Radka L.: "In diesen vier Stunden muss ich zwölf bis vierzehn Zimmer reinigen. Das ist unmöglich. Das geht nicht in dieser kurzen Zeit."
Die Folge: ein Einkommen, das zum Leben nicht reicht. Radka L. aus Düsseldorf ist eine Scheinselbständige, die eigentlich Anspruch auf einen günstigeren festen Arbeitsvertrag hätte. Aber das lässt sich nur selten durchsetzen.
Budiaki: "Um 10 Uhr 30 bin ich hier. Danach erwarte ich die Gäste. Bis 22 Uhr."
Redondo: "Montags haben wir Ruhetag. Ansonsten ist Sechstagewoche für uns."
Viele Geschäftsleute erzielen zwar ein akzeptables Einkommen, aber nur dank erdrückend langer Arbeitszeiten. Selbständige deutscher wie ausländischer Herkunft verbringen im Durchschnitt etwa 44 Stunden pro Woche in ihrem Büro, Laden oder Lokal - die mit türkischen, griechischen, italienischen oder spanischen Namen sogar 48, ein Viertel von ihnen über 60 Stunden.
Leicht: "Wir haben es auf die Arbeitsstunden umgerechnet - beispielsweise ist es so, dass die Deutschen ohne Migrationshintergrund im Durchschnitt 15 Euro netto in der Stunde verdienen, die Migranten nur 12 Euro."
Das sind keine aufregenden Summen. Auch fällt die finanzielle Absicherung für Krankheit und Alter bei selbständigen Migranten und Migrantinnen oft dürftig aus, manchmal fehlt sie sogar völlig - manche arbeiten noch mit 68 oder 72. Auch Urlaub bleibt für viele nur ein Traum. Radka L.:
"Wir haben eine lebensgroße Angst. So viele Ängste habe ich in meinem Leben nie gehabt."
Immer wieder scheitern auch Migranten als Selbständige - trotz aller Anstrengungen und geradezu Opfer. Der Wettbewerb ist hart, bei Restaurants, Imbissen oder Obstläden kommt es schnell zu einem Überangebot. Für Dionisio Redondo war die Existenzgründung eine enorme Herausforderung:
"Die Gaststätte war heruntergewirtschaftet. Ich musste zusammen mit meiner Frau das aufbauen."
Das Restaurant Mesón Don Quijote - einfach, aber liebevoll eingerichtet - bot eine reichhaltige spanische Küche.
"Wir haben viel lernen müssen. Wir waren ja keine Gastronomen. Meine Frau war früher nur Hausfrau. Sie hat sich diese Qualifikation selbst angeeignet."
Dionisio Redondo und seine Frau arbeiteten mit viel Engagement und doch wenig finanziellem Erfolg. Nach vier Jahren mussten sie das Lokal aufgeben.
Derya Kayli: "Wir waren schon längere Zeit am Suchen, dass wir uns ein Eigentum kaufen und uns selbständig machen. Dann haben wir das günstig in Lauterbach gefunden. Es ist ein altes Haus, steht schon seit 1995 leer. Hat auch viele Schäden. Die Renovierung ist vom Kaufpreis das Dreifache."
Derya Kayli. Ihr Kosmetikstudio führt die energiegeladene Frau halbtags weiter. Das Bistro 62 in dem Vorort von Völklingen wird mit Geld aus der Verwandtschaft und einem Bankkredit finanziert. Auch Ehemann und Vater arbeiten hier.
"Ein richtiges Restaurant möchte ich daraus machen. Kein rein türkisches Restaurant - es ist türkisch, italienisch, interkulturell (lacht)."
Positiv für die alltägliche Integration
Trotz aller Probleme: die Bilanz der Migrantenökonomie fällt positiv aus. Derya Kayli, Jacek Barełkowski, Lisa Massetti und die vielen anderen bieten oft neuartige und preisgünstige Produkte und Dienstleistungen, Arbeits- und Ausbildungsplätze für zwei bis zweieinhalb Millionen Menschen. Zwei Drittel von ihnen sind "mithelfende" Familienangehörige und vor allem Angestellte - unter ihnen viele mit deutschem Hintergrund. René Leicht vor der Universität Mannheim:
"Wir können sagen, dass migrantische Selbständigkeit auch dazu beiträgt, dass die Steueraufkommen sich erhöhen."
Budiaki: "Es soll ein Zuhause für die Afrikaner sein und ein Stück Afrika für die Deutschen. Die Afrikaner brauchen Lebensmittel. Viele Deutsche kennen das afrikanische Essen noch nicht. Aber sie kommen schon - neugierig (lacht)."
Chinyere Budiaki aus Leipzig. Positiv wirkt sich die Arbeit von Selbständigen mit ausländischem Hintergrund auch auf die alltägliche Integration aus. Manche werden für Jugendliche zu Vorbildern für beruflichen Erfolg. Und René Leicht hebt hervor:
"... dass diese Gastronomen oder Einzelhändler dazu beitragen, dass die Nahversorgung garantiert wird. Wo sich inzwischen deutsche Betriebe zurückgezogen haben aus Gründen der Rentabilität, da sorgen oft Migrantenunternehmen dafür, dass die Stadtteile noch mit Gütern des täglichen Bedarfs versorgt werden. Insofern ist es eher eine integrative, positive Funktion. Insofern tragen Migranten auch dazu bei, dass unsere Städte überhaupt funktionieren."
Die Bedeutung der selbständigen Migrantinnen und Migranten für den Wirtschaftsstandort Deutschland wird inzwischen weithin anerkannt. Der Staat hat einige bürokratische Hürden abgebaut. "Fremde" Ausbildungen werden eher akzeptiert. Die Bildungspolitik bemüht sich stärker um Kinder ausländischer Herkunft, auch deshalb steigt die Zahl der besser Qualifizierten.
Heute gelingt diesen Geschäftsleuten der Aufstieg in die höheren Einkommensgruppen leichter. Andererseits entgehen viele der Armut nur durch überlange Arbeitszeiten. Aber auch unter den wirtschaftlich weniger Erfolgreichen fallen immer wieder Dynamik und Kreativität auf.
Barełkowski: "Die ältere Gruppe ist manchmal so integriert, dass man nicht mehr darauf kommt - bis auf den Namen, dass er Kowalski heißt."
Jacek Barełkowski: "Die Unterschiede zwischen Selbständigen mit deutschem und ausländischem Hintergrund verringern sich allmählich. Aber ziemlich sicher werden neue Arbeitsuchende mit dem Ziel "Selbständigkeit" kommen."
Massetti: "Ich bin sehr zufrieden. Ich bin zufrieden, weil ich die Freiheit habe zu entscheiden, was ich mit meiner Zeit mache, was ich für Projekte mache."
Kayli: "Ja, es ist ein Fluchtpunkt. So dass die Leute sich in die Selbständigkeit stürzen."
Budiaki: "Ich glaube, dass in zwei Jahren das Geschäft gut laufen wird. Ich habe Hoffnung, dass es gut wird."