Selbstversuch im Milieu der Gier

Heike Faller im Gespräch mit Katrin Heise · 15.06.2009
Das Ansehen von Bankern und Finanzjongleuren ist im Laufe eines Jahres in tiefste Tiefen gefallen. Genau in diesem Jahr begab sich die Journalistin Heike Faller in die Höhle der Löwen und verbrachte ein Jahr unter Spekulanten. Ihre überraschende Erkenntnis: Das Klischee vom verantwortungslosen und geldgierigen Banker trifft nicht zu.
Katrin Heise: Die Journalistin Heike Faller sagt von sich, dass sie früher nie den Wirtschaftsteil der Zeitung las. Die Gedanken, womit sie ihr eigenes Alter absichern sollte, die verschob sie lieber auf später und Post, in der ihr irgendwas vorgerechnet wurde, legte sie sofort zur Seite. Ihr Erspartes dämmerte auf dem Sparbuch oder Girokonto vor sich hin. Doch dann änderte sie ihr Leben komplett, begann zu investieren und wollte ihr Geld verdoppeln und las eigentlich nur noch Sachen, die irgendwie mit Finanzen zu tun hatten. "Wie ich einmal versuchte, reich zu werden. Mein Jahr unter Spekulanten" heißt das Buch, das sie über diesen Selbstversuch geschrieben hat. Frau Faller ist mein Gast und ich grüße Sie recht herzlich, guten Morgen!

Heike Faller: Hallo!

Heise: Sie haben sich im Frühjahr 2008 10.000 Euro genommen und 12 Monate Zeit, diese 10.000 Euro zu verdoppeln. Ist das gelungen, vorab mal die Frage?

Faller: Nicht wirklich.

Heise: Nicht wirklich?

Faller: Nein.

Heise: Sondern?

Faller: Ich habe es nicht verloren, was ja schon eine ziemliche Leistung war.

Heise: Eine ziemliche Leistung in dem Jahr, was dann vor Ihnen lag. Haben Sie das eigentlich, als Sie diesen Versuch gestartet haben, haben Sie das gewusst, so am Himmel dräuen sehen, was da für ein Jahr auf uns alle am Finanzmarkt zukommt?

Faller: Ja, ich kann tatsächlich behaupten, dass ich eine der Wenigen war, die es geahnt hat, und zwar deshalb, weil ich beraten wurde von zwei Bankern aus Oberbayern, die aus der, ja, Goldecke kommen, die also schon lange in Gold investiert hatten und die einfach schon seit Jahren mir erzählten, dass schlimme Dinge passieren würden in der Finanzwelt und Banken zusammenbrechen würden. Insofern war ich irgendwie auf Krise vorbereitet.

Heise: Vor Jahren erzählten die Ihnen das schon, denn Ihr Interesse wurde dann doch schon 2004, oder so Anfang der 2000er geweckt, sich mal um Ihr eigenes Geld zu kümmern?

Faller: Genau. Ich hatte damals eine Geschichte gemacht, eben über zwei Sparkassenbanker in der Oberpfalz, die damals, kurz nach dem Zusammenbruch der New Economy, das erfolgreichste Musterdepot in Deutschland hatten, und die fand ich irgendwie so klasse, denn die waren sehr außenseiterisch, vertraten sehr skurrile Meinungen und ich fand die irgendwie toll. Und so hatte ich eben schon 2004 dann schließlich denen mein ganzes Geld gegeben und die hatten es für mich eben angelegt in Edelmetalle damals, und das war sozusagen mein erster Einstieg in diese Welt.

Heise: Und nun, wenn man das tut, verfolgt man offenbar dann auch tatsächlich die Kurse in den Zeitungen?

Faller: Mit der Zeit habe ich das dann getan, ja. Am Anfang … Ich hatte mein Geld angelegt, es dann ein Jahr lang im Grunde wieder vergessen, weil ich mich eben nicht gerne darum kümmerte. Und irgendwann guckte ich damals auf den Goldpreis – ich hatte eben fast alles in Edelmetalle angelegt – und der war extremst gestiegen. Dann fängt man natürlich an, sich dafür zu interessieren, warum man plötzlich reicher ist.

Heise: Und war das dann der Ausgangspunkt, dass Sie gesagt haben: Ich nehme mir jetzt ein Jahr Zeit und wirklich 10.000 Euro in die Hand, um das zu verdoppeln?

Faller: Im Grunde schon, ja. Ich suchte halt ein Buchthema, ich hatte eigentlich zuerst was anderes schreiben wollen und dann dachte ich nach und bemerkte dann schnell, dass ich mich eigentlich brennend für Geld bereits interessierte und dass ich da gerne mehr drüber wissen wollte.

Heise: Sie wollten nicht nur was über die Geldvermehrung rausfinden, sondern auch den Markt verstehen. Was haben Sie da für Erkenntnisse gewonnen?

Faller: Puh, da habe ich viele Erkenntnisse gewonnen. Den Markt verstehen, also – zum einen versteht man natürlich was über die Psychologie der Anleger. Da gibt es natürlich so ein paar altbekannte Börsenweisheiten wie zum Beispiel: "Kaufe niedrig, verkaufe hoch", oder "Steige nie in einen Markt ein, der schon total überhitzt ist", Dinge, von denen jeder schon mal gehört hat. Und man muss es dann aber wirklich selbst erleben, um zu begreifen, dass es unendlich schwierig ist, das umzusetzen. Das ist so eine Erfahrung gewesen, man muss es einfach probieren und machen, um eben zu verstehen, wie man selbst mit so psychologischen Dingen wie eben Gier und eben Angst dann auch umgeht.

Heise: Sind Sie mit eigener Gier konfrontiert worden?

Faller: Ja, auf jeden Fall. Als ich begann, war das ja so, dass ich eben … Ich hatte bereits privat in Gold angelegt, dieses Gold hatte sich eben verdoppelt innerhalb von vier Jahren. Ich war supergierig und ich war auch vor allem super davon überzeugt, dass ich wirklich sehr talentiert sei in diesem Bereich und dass es mir eben gelingen würde, mein Geld zu verdoppeln. Insofern – ja, ich habe das sehr gierig auch begonnen, dieses Jahr.

Heise: Aber Sie sind dann zum Beispiel bei einem dieser Versuche, die Sie gestartet haben, nach Baden-Baden ins Spielkasino gegangen, um Ihre eigenen Nerven eigentlich auch so ein bisschen zu erproben. Die haben dann doch sehr geflattert und hätten Sie fast verlassen.

Faller: Genau. Ganz am Anfang des Buches, um eben zu testen, was ich eigentlich für ein Anlagetyp bin, fahre ich also mit einem Mathematiker nach Baden-Baden, mit 7500 Euro in der Tasche. Und die Idee war eben, 500 Euro zu gewinnen, indem ich 500 Euro auf eine Farbe setze, wenn ich gewinne, eben mit 500 Euro nach Hause gehe, falls ich nicht gewinne, es dann verdopple, also 1000 Euro setze, um schließlich irgendwie nach spätestens vier Mal verdoppeln mit 500 Euro wieder rauszukommen. Und das schien mir so auf dem Papier natürlich eine sehr simple Sache zu sein, aber als ich dann da vor dem Spielkasino stand mit dem Mathematiker und mir klar war, dass ich jetzt im schlimmsten Fall gleich 3500 Euro würde setzen müssen, um eben 500 Euro zu gewinnen, da schlotterten mir dann doch ganz schön die Knie und ich merkte, dass meine Nerven nicht so gut sind, wie ich glaubte.

Heise: Ja, und das hätte ja auch alles verloren sein können, das ist ja dann letztendlich auch … Wenn Sie dann eine Theorie haben und vielleicht auch eine stimmige, muss die ja nicht unbedingt in dem Moment zutreffen, es kann ja auch immer die andere Farbe gewinnen. Sie haben das Geld tatsächlich beim ersten Mal rausbekommen und sind dann aber auch gegangen. Da war keine Gier da, das noch mal einzusetzen?

Faller: Nein, das war ganz beruhigend. Ich hatte dann die 500 gewonnen, ich hatte aber auch diesen sehr, sehr, sehr nüchternen Mathematiker, einen ziemlich berühmten Wahrscheinlichkeitstheoretiker an meiner Seite und dem war das eh total unheimlich, was ich da machte und der zog mich dann vom Spieltisch weg. Aber ich hätte es, glaube ich, auch ohne ihn geschafft.

Heise: Sie sind dann Ihren Papieren, die Sie kaufen wollten, quasi nachgereist bis in den Irak. Wen haben Sie da angetroffen?

Faller: In den Irak bin ich gefahren, weil Anfang 2008 alle von Emerging Markets sprachen, ich dann auch in einen solchen quasi neu entstehenden Markt investieren wollte und dann bin ich nach … China war bereits abgestürzt, Brasilien war abgestürzt, das funktionierte alles nicht mehr. Ich suchte also sozusagen nach dem nächsten China und habe dann ein bisschen rumrecherchiert und stieß dann zu meiner eigenen Überraschung auf den Irak und auf einen Hedgefonds-Manager, der eben den ersten Irakfonds gegründet hatte, irgendwo in der Karibik notiert, aus Luxemburg arbeitend.

Heise: Klingt ja sehr windig.

Faller: Genau, alle windigen Elemente, das hat mir natürlich gefallen, und der hat netterweise sich dann eben erboten, mich mitzunehmen nach Kurdistan, wo er zusammen mit einem superreichen Finnen hingefahren ist, um eben ihm den kurdischen Teil des Iraks zu zeigen. Mit dem bin ich mitgefahren und habe mir eben ein bisschen, ja, einfach das Land angeschaut.

Heise: Sie haben letztendlich da auch tatsächlich investiert. Ich kann mich an eine Passage erinnern, wo Sie schreiben, so eine Begegnung, ich glaube, ein Kontrolleur, der Ihnen irgendwo begegnet, der sagt: Ich war in deinem Land, ich war in Hannover zur EXPO und habe da gearbeitet. Und dann der Gedanke, der Ihnen durch den Kopf geht: Du hast meinem Land deine Arbeitskraft gegeben und ich versuche, Rendite aus deinem Land zu ziehen. Da war so was wie schlechtes Gewissen. Haben Sie das eigentlich auch bei anderen Leuten angetroffen, schlechtes Gewissen, die Situation eines Landes oder von Menschen auszunutzen, um selber Geld zu machen?

Faller: Schlechtes Gewissen vielleicht nicht, aber ich habe schon bei einigen Leuten das Gefühl gehabt, dass denen das überhaupt nicht egal ist, womit sie ihr Geld verdienen oder auch, was mit diesem Geld passiert. Zum Beispiel Björn Englund, der Fondsmanager, dieses Babylon-Fonds, dieses Irakfonds, der hat jetzt auch angefangen, eine Stiftung zu gründen, mit der er eben irakische Wirtschaftsstudenten fördern möchte. Es ist nicht so, dass er all das … Er verdient, glaube ich, ganz gut mit diesem Irakfonds, der läuft super, und es ist schon so, dass er offenbar die Gewinne, die er damit macht, auch reinvestieren will in den Irak.

Heise: Klingt aber trotzdem ein bisschen nach "Ich beruhige mein Gewissen, weil ich aus dem, was andere Leute vielleicht an Schaden erleiden, Gewinn ziehe".

Faller: Ich habe diese Geschichte nicht so genau recherchiert, dass ich jetzt sagen könnte, dass andere Leute da einen Schaden draus erleiden. Das ist auch überhaupt nicht mein Eindruck gewesen. Ich dachte am Anfang auch intuitiv natürlich: Wenn man eben in so ein kriegsgebeuteltes Land investiert, dann ist man eben auch Kriegsgewinnler. Gewissermaßen ist man das auch, weil man natürlich davon profitiert, dass die Preise extrem niedrig sind. Aber ich würde behaupten, man ist genauso wenig Kriegsgewinnler, wie man halt in Deutschland Kriegsgewinnler war, wenn man in Nachkriegsdeutschland investiert hat. Wenn man an Kapitalismus glaubt, wenn man dieses System für richtig hält, dann ist es durchaus sinnvoll, ein Land wie den Irak quasi an dieses internationale Wirtschaftssystem anzuschließen, und dazu braucht der Irak halt Kredite und Geld.

Heise: Was für Typen haben Sie überhaupt in dieser ganzen Finanzwelt getroffen, denn eingangs sagte ich ja, das Ansehen von Finanzjongleuren, von Bankern ist, ich glaube, auf dem tiefsten Tiefpunkt momentan. Was für einen Eindruck haben Sie gewonnen? Einfach, weil die mit unserem Geld eine Blase aufgeblasen haben, die zusammengebrochen ist und die Leute den Schaden jetzt erst – ihre Arbeitsplätze beispielsweise – erleiden, verlieren?

Faller: Ich muss sagen, ich war ziemlich verblüfft, weil ich hatte natürlich auch dieses Klischeebild im Kopf und dann traf ich eben Leute aus dieser Welt, das waren teilweise irgendwie so Händler, die sozusagen relativ weit unten in der Hierarchie stehen, aber auch eine Vizepräsidentin von Lehman Brothers oder eben ganz, ganz viele Fondsmanager, und ich muss sagen: Kein einziger, den ich da getroffen habe, hatte irgendetwas mit dem Klischee zu tun. Ich würde mal sagen, es gibt so zwei Typen: Es gibt den Typus eben Fondsmanager, die quasi auf eigene Rechnung arbeiten, die sich häufig dann auch weigern, so ein Rädchen im Getriebe zu sein und die sozusagen zumindest für das Geld, das sie da verwalten, Verantwortung übernehmen – auch wenn jetzt, glaube ich, ein Viertel der Fonds pleitegegangen ist. Das ist so der eine Typus. Und die anderen arbeiten halt in einer Bank, sind zum Beispiel Mathematiker, sind zum Beispiel auch mit irgendwelchen Risikomodellen beschäftigt, die jetzt zusammengestürzt sind, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass die den Überblick haben. Ich meine, keiner hatte diesen Überblick.

Heise: Das macht doch aber erst recht Angst?

Faller: Angst schon, ja, es wirft durchaus Fragen auf, inwieweit man irgendwie so einem abstrakten System einfach vertrauen kann. Aber wir haben dem alle vertraut. Wir haben dem vertraut als Kunden sozusagen und die Banker haben dem halt vertraut, dass sozusagen der Markt es …

Heise: Und Sie vertrauen auch nach Ihrem Selbstversuch?

Faller: Nein.

Heise: Jetzt gucken Sie mit offenen Augen in den Wirtschaftsteil?

Faller: Ja. Ich verstehe es zumindest irgendwie besser, wovon da die Rede ist, aber ich würde nicht behaupten, … Dem System sozusagen des freien, ungehinderten, unregulierten Marktes, dem vertraut, glaube ich, derzeit wirklich keiner mehr, ich also auch nicht.

Heise: Heike Faller berichtete von ihrem Selbstversuch im großen Finanzgetriebe. Frau Faller, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!

Faller: Danke auch!