Selbstversuch

Was sagen meine DNA-Spuren über mich?

Ein Zigarettenstummel liegt neben einem rostigen Kronkorken zwischen Pflastersteinen auf dem Boden.
Zigaretten, Besteck, Bierflaschen - wir hinterlassen überall unsere Spuren. © dpa/picture alliance/Martin Gerten
Von Matthias Finger |
Hautschuppen, Haare oder der Speichel an der Zigarettenkippe: Irgendetwas bleibt immer zurück. Matthias Finger hat einen Tag seine Spuren protokolliert. Das Ergebnis ist erschreckend.
Schon vorm Aufstehen habe ich mein Bett in ein DNS-Schlachtfeld verwandelt. 80 bis 100 Hautschuppen verliere ich – pro Minute. Wie jeder andere Mensch. Macht in sieben Stunden 40.000 genetisch verwertbare Partikel, die es sich in meinem Bett gemütlich machen. Zahnbürste, Kamm, Klamotten. Den ganzen Tag über geht das so weiter. Ich ziehe sozusagen eine DNA-Spur hinter mir her, meint Lutz Roewer, Professor für Forensische Genetik an der Berliner Charité:

"Bin ich denn so eine DNA-Schleuder?" – "Ja durchaus. Jeder ist ne DNA-Schleuder. Schon durchs Atmen verteilen wir Zellen. Und insofern verteilt jeder DNS. Gerade wenn sie irgendwo anfassen, das nennen wir Touchstain, übertragen sie Hautzellen. Das ist eine Quelle für die Polizei, um jemanden zu identifizieren."
Auf dem Weg zur Arbeit gewinnt das DNA-Karussell an Fahrt. Ich halte Münzen in der Hand und drücke Knöpfe an Ticket-Automaten, S-Bahn-Türen, Fahrstühlen. Ich benutze Maus und Computertastatur. Ich halte Stifte, Schlüssel und Ausweise in den Händen. An einem Tag berühre Ich mindestens 100 Gegenstände. Und ich hinterlasse verräterische Körperflüssigkeiten.
"Es muss kein sichtbarer Fleck von Blut sein. Es kann im mikroskopischen Bereich sein. Das heißt: Es wird aufgenommen mit einer Folie, die dann abgewischt wird, oder direkt mit einem Tupfer aufgenommen. Einfach ne Oberfläche abgewischt. Weil Zellen natürlich mikroskopisch klein sind. es reichen ein paar wenige aus, um eine DNA-Analyse zumachen."
Es muss nicht immer Urin und Sperma sein
Es muss auch nicht immer Urin oder Sperma sein. Ich zum Beispiel markiere meinen Weg gern mit Speichelresten. Am Kaffeebecher für unterwegs, am Saftglas in der Kaffeeküche oder an der Gabel beim Italiener um die Ecke. Erstaunlich, was wir im Laufe eines Tages an und in den Mund nehmen: Ungefähr 25 Objekte kommen mit meiner Mundschleimhaut Kontakt. Bei Durchschnittsrauchern kommen noch mal 15 Zigarettenstummel dazu, an denen menschliches Erbgut haftet. Die New Yorker Künstlerin Dewey Hagborg hält den sorglosen Umgang mit unserer DNA für bedenklich:
"Wir wissen noch nicht, wie unsere eigene DNS gegen uns verwendet werden kann. Wir beginnen gerade erst zu verstehen, welche Rolle die DNS spielt. Wir beschäftigen uns erst wenige Jahrzehnte mit dieser neuen Wissenschaft."
DNA-Spuren sind mit dem Fortschreiten der Genomforschung auf immer neue Weise interpretierbar. Sie werden dazu benutzt, Rückschlüsse auf Verwandte und auch zunehmend auf körperliche Eigenschaften zu ziehen - wie fragwürdig das auch teilweise sein mag. Trotz der Unüberschaubarkeit und Grenzenlosigkeit der DNA-Datenspeicherung befasst sich die Öffentlichkeit jedoch kaum damit.
Auf ihrer Internetseite schaue ich mir dreidimensionale Gesichtsabdrücke an: Für ein Kunstprojekt sammelt sie unter anderem benutze Kaugummis auf und analysiert die vorhandenen Speichelreste. Mit den Informationen erstellt sie dreidimensionale Gesichtsmodelle: Vorschläge, wie die anonymen Genspender aussehen könnten.
"Ich weiß, dass diese Person westafrikanische Wurzeln hat. Die Augen sind braun. Die Person hat eine Tendenz zum Übergewicht, eine typische Nase. Und sie ist männlich."
Für 230 Dollar alle Spuren verwischen?
Hagborg demonstriert möglichen Missbrauch und trommelt zum Schutz unserer Erbanlagen. In einem Museumsshop bietet sie auch mir zwei Sprays mit dem Namen "Invisible", also "unsichtbar", feil. In limitierter Auflage.
"Manchmal wünsche ich mir, unsichtbar zu sein. Wollten Sie jemals unsichtbar sein? – Jetzt sind sie unsichtbar."
Die Flüssigkeiten in den durchsichtigen Flakons sollen mögliche DNA-Hinterlassenschaften restlos zerstören. Der Beipackzettel warnt mich vor dem aggressiven Inhalt, der angeblich wie Bleiche wirkt. Kostenpunkt: 230 Dollar. Die flächendeckende Bestrahlung mit UV-Licht hilft übrigens auch - nach circa zwei Stunden, meint Professor Roewer. Für den Hausgebrauch hingegen empfiehlt er mir die Prävention. Also: Erst gar keine Zellen mit Erbgut hinterlassen. Das permanente Tragen eines weißen Schutzanzuges genüge. Als Vorbild dienen Forensikexperten an Tatorten.
"Haarnetz, Handschuhe tragen, Mundschutz tragen und nichts am Tatort zurücklassen. Das wird überwiegend reichen. Und ein Haarnetz kann auch nicht schaden."
Noch sicherer sind wir vor DNA-Dieben nur an hochfrequentierten Orten. Denn werden die DNA-Spuren verschiedener Personen vermischt. Eine gezielte Analyse: unmöglich.
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