"Es ist wertvoller, nicht zu kämpfen"
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Als Kind wurde er von seinem alkoholkranken Vater geschlagen, in der Schule gemobbt. Michael Stahl beschützte als Bodyguard Stars, gründete eine Sportschule für "moderne Selbstverteidigungserziehung". Immer dabei: sein christlicher Glaube.
Michael Stahl war Kampfsportler, Türsteher und Bodyguard, heute arbeitet er als Trainer für Selbstverteidigung. Tätigkeiten, die man vor allem mit Stärke verbindet. Aber Schwächen zeigen, darüber zu reden, das sei ihm heute viel wichtiger.
"Es ist sehr viel anstrengender immer so tun, als hätte man die Welt im Griff, als wäre man immer stark. Dem ist nicht so."
Nach der erfolgreichen Karriere als Bodyguard engagierte sich Michael Stahl in den letzten Jahren vor allem für sein Projekt "Protectics", eine Sportschule die Selbstverteidigung vermittelt. Gegründet Anfang der 2000er Jahre, unterscheide sich heute seine Philosophie grundlegend.
"Früher ging es nur ums Kämpfen"
"In den ersten Jahren ging es mir eigentlich immer nur um kämpfen, kämpfen, kämpfen. Später habe ich festgestellt, es ist viel wertvoller, nicht zu kämpfen. Wir haben ganz viele Menschen bei uns. Opfer von Straftaten, aber auch sehr viele Täter, die zuvor auch Opfer waren. Und da gilt es, auch an ein großes Netzwerk zu haben, an Seelsorgern, Psychologen, Sozialarbeitern und Polizeibeamten. So versuchen wir auf verschiedenen Ebenen, Menschen zu helfen."
Neben seiner Sportschule engagiert sich Michael Stahl auch in Schulklassen, geht in Gefängnisse. Mobbing und Gewaltprävention, das sind hier seine Themen. Ob in Gesprächskreisen im Knast, oder bei Diskussionsrunden in Schulen, der ehemalige Kampfsportler erzählt dabei viel von seinen Erfahrungen.
"Ich bin kein Theoretiker. Ich habe über Jahre am eigenen Leib erfahren müssen, was es bedeutet, wenn Menschen gegen dich sind. Ich hatte als Kind Suizidgedanken. Wenn ich in eine Klasse reinkomme, dann habe ich meistens im Gespür: Wer ist dieses Kind, dieser Jugendliche, der leidet?"
Gottvertrauen und Schläge
Für sein Engagement gegen Gewalt und Mobbing wurde Michael Stahl in den letzten Jahren mehrfach ausgezeichnet. Seine Motivation, erklärt der frühere Bodyguard, hänge mit seinem christlichen Glauben, vor allem auch mit seinem Elternhaus zusammen. Von der Oma kam das "Gottvertrauen", vom Vater die Schläge, erzählt Michael Stahl.
Der Selbstverteidigungslehrer erinnert sich an eine ärmliche Kindheit, an einen Vater, der keine Arbeit hatte, reichlich Alkohol trank und regelmäßig zuschlug:
"Ich habe bis zum 14. Lebensjahr im Schlafzimmer meiner Eltern geschlafen. Ich hatte kein eigenes Zimmer. Die Wände waren voller Schimmel. Der Vater ging jeden Morgen in die Kneipe. Ich bin mit Schlägen aufgewachsen, ich wurde bespuckt. Ich habe Sätze gehört wie: 'Du bist nichts, du kannst nichts, aus dir wird nichts.' Die haben natürlich ihre Spuren hinterlassen."
Michael Stahl klaut als Kind "wie ein Rabe", mobbt eine Lehrerin. Wäre sein Leben wie das seines Vaters verlaufen, man würde sich kaum wundern.
Doch der ehemalige Bodyguard nimmt einen anderen Weg, auch wenn die erste Ehe in die Brüche geht, das Verhältnis zu seinem Sohn lange ein schlechtes ist. Dabei habe Michael Stahl alles anders machen wollen, wollte nie sein wie sein Vater: Nicht trinken, nie schlagen, viel arbeiten.
"Man sollte die Dinge in Liebe zu tun"
Heute findet der Selbstverteidigungslehrer: "Ich glaube, dass der Ansatz sein sollte, die Dinge in Liebe zu tun. Das soll unsere Motivation sein. Dass ich mal von Liebe spreche, hätte ich vor 14 Jahren auch nicht gedacht."
Mit 18 flüchtet Michael Stahl aus dem Elternhaus, lebt zwischenzeitlich auf der Straße, lernt Kampfsport, schlägt sich als Türsteher durch.
Als er dann das T-Shirt mit der Aufschrift "Security" trägt, sei das wie ein Orden gewesen, ein Gefühl wie: "Jetzt bist du auch wertvoll."
"Unfassbare Zeit mit Muhammad Ali"
Später wird Michael Stahl ein erfolgreicher Bodyguard. Er beschützt den Papst, Schlagerstars wie Heino, die Sängerin Nena. Auch ein großer Traum erfüllt sich für den Personenschützer, als persönlicher Bodyguard von Boxlegende Muhammad Ali.
"Ich durfte mit meinem Papa, der großer Ali-Fan war, bis in die frühen Morgenstunden die Boxkämpfe von Ali anschauen. Und ich habe ihn als kleiner Junge so bewundert und gebetet, ihn möchte ich mal sehen. Und 27 Jahre später habe ich die Nachricht bekommen, dass Ali nach Deutschland kommt. Ich hatte eine unfassbare Zeit mit ihm. Dieser Mann hat so ein großes Herz."
Seinen Vater, so erinnert sich Michael Stahl, nannte er ein Leben lang nur "Erzeuger". Erst kurz vor dessen Tod "haben wir uns versöhnt".
Gewalt, so erfährt Michael Stahl im Gespräch mit dem Vater, sei schon vom Großvater ausgegangen, ein Mann mit traumatischen Kriegserfahrungen. Dem Selbstverteidigungslehrer hat das geholfen:
"Das ist keine Rechtfertigung, aber es ist ein Verstehen. Keiner in all diesen Generationen konnte den anderen in den Arm nehmen und sagen: 'Ich liebe dich, ich bin stolz auf dich.' Das sind übrigens die zwei wichtigsten Sätze, die jedes Kind in seinem Leben immer und immer wieder hören sollte."
(ful)