Selfies

Schaut her – hier bin ich!

Die Füße des Journalisten Dieter Bub
Die Füße des Journalisten Dieter Bub © Foto: Selfie von Dieter Bub
Von Dieter Bub · 26.09.2014
Ob im Schwimmbad, beim Pflaumen pflücken oder mit der Katze: Immer wieder fotografiert er sich einarmig selbst. Unser Autor Dieter Bub aus der Generation 70 plus bekennt, dem Selfie-Boom erlegen zu sein. Eitelkeit weist er allerdings weit von sich.
Spätestens seit der stundenlangen Triumphfahrt unserer Fußball-Weltmeisterhelden wissen wir, was Selfies sind – Selbstporträts, die kaum aufgenommen, Sekunden später bei Facebook, Google+, Twitter und anderswo einem Millionenpublikum zugänglich sind: Schweini und Kollegen mit dem Victory-Zeichen, einer Buddel Bier in der Hand, mit strahlendem Lächeln: So sehen Sieger aus! Sie richten geschickt ihre Handys auf sich, danach senden, Empfang weltweit. Wir waren Augenzeugen – auch der zweiten Selfie-Form, der Porträts der Fans mit ihren Stars.
Pessimisten können Selfies als einen weiteren Schritt zur Auflösung kultureller Werte einstufen, wieder einmal, so wie in der Geschichte viel Neues verurteilt worden ist: die Einführung des Buchdrucks, der weltlichen Musik, von Zeitungen, Zeitschriften, Film, Fernsehen und schließlich des Internets.
Selfies sind Mode, die Selbstdarstellung in jeder erdenklichen Form, in jeder Kleidung bis hin zum Adamskostüm. Viele halten das für geschmacklos und überflüssig. Wir haben die Wahl, können uns den Anblick durch Wegklicken ersparen oder wir lassen uns darauf ein.
Was ist verwerflich daran?
Diese neue Möglichkeit sekundenschneller optischer Botschaften ist eine zwangsläufige Folge der Entwicklung im Internet und zugleich ein Akt der Demokratisierung. Schaut her – hier bin ich! Ob auf Bali, Mallorca, Sylt oder Rügen! Und: Was ist verwerflich daran sich mit Prominenten zeigen zu wollen, an ihrem Glanz für ein paar Sekunden teilzunehmen?
In der bildenden Kunst gibt es eine Tradition, die bis in die Renaissance reicht. Lucas Cranach bereits erscheint unter seinen Figuren, Rembrandt und Rubens zeigten sich in zahlreichen Selbstporträts. Später waren es viele Künstler, unter ihnen van Gogh und Beckmann, die sich selbst zum Modell machten. Bis in die Gegenwart reicht das Ich-Thema bei Baselitz oder Jonathan Meese.
Der Weg zur Massentauglichkeit begann mit der Fotografie, mit dem Selbstauslöser. Früher musste meist der Vater in Sekundenschnelle ins Familienbild eilen. Heute darf jeder, der es mag, sich überall zeigen. Eine Darstellung nicht nur für die Extrovertierten, sondern auch für die Schüchternen, die sich aus ihrer Anonymität und Isolation heraus melden und sich dadurch mit anderen verbinden können. Für die Mutigen ist es dann nur ein kleiner Schritt hin zur Prominenz aus Politik und Showgeschäft.
Geständnisse eines Selfie-Oldis
Sie haben es gewiss gehört: Diese Anmerkungen sind nicht die Mäkeleien eines Alten, der das Abendland gefährdet sieht. Ich bekenne mich selbst, dieser fotografischen Internet-Verführung erlegen zu sein – ein Selfie-Oldi gewissermaßen. Der Autor richtete die Kamera an den unterschiedlichsten Orten auf sich, in Rom, in den Dünen von Föhr, im Schwimmbad, im Garten und auf der Weide. Sie zeigen mich auf der Leiter in einem Pflaumenbaum, beim Füttern der Schafe, mit der Katze Rosi und beim Faulenzen.
Die Form sekundenschneller optischer Nachricht mit dem Smartphone erfordert besonderes Geschick: Dem Selfie-Aktivisten steht nur eine Hand zur Verfügung. Warum solche Verrenkungen? Als Zeichen von Vitalität und Freude für den Kreis meiner Lieben: Seht her, dem Alten geht es gut!
Doch ach – es mag Sie enttäuschen: Ich bin dennoch konservativ. Ich lade die Selfies zusätzlich auf einen Stick, gebe sie im Fotoladen ab, lasse Abzüge anfertigen und klebe sie für meine Kinder und Enkel nach Altvätersitte in ein Fotoalbum. Denn eines kann man mit Selfies sonst ja kaum machen: Am Kaminfeuer gemeinsam darin herumblättern.
Dieter Bub, Jahrgang 1938, war 1979 bis 1983 Korrespondent des Magazins Stern in Ostberlin. Danach drehte er zahlreiche TV-Dokumentationen für die ARD zur deutschen Zeitgeschichte. Zuletzt veröffentlichte er den Roman "Grund genug zu gehen" im Mitteldeutschen Verlag.
Der Journalist Dieter Bub
Der Journalist Dieter Bub© Foto: Selfie von Dieter Bub
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