Musiker werden angefeindet und angespuckt
Bei der "Herz statt Hetze"-Demo sangen Mitarbeiter der Dresdener Semperoper die Ode "an die Freude". Auch sonst engagieren sie sich für Weltoffenheit. Sie leiden unter der wöchentlichen Belagerung des Theaterplatzes durch die Pegida-Demonstranten und werden angespuckt und angepöbelt - und gehen teilweise nur noch in Gruppen nach Hause.
"Die 2. oder 3. Vorstellung von Königskinder, ich erinnere mich, war ein Montag. Da habe ich hier in der Garderobe gesessen und diese Fenster kann man kippen. Und da waren 17.000 Leute hier vorne – es war auch Weihnachtszeit – auf diesem Theaterplatz. Und ich konnte hören dies … wenn so viele Leute mit einer Stimme rufen, dann hört man das deutlich in diesem Gebäude. Und da , ich komm von der Bühne und sitz in der Garderobe für den nächsten Auftritt, und da konnte ich hören: 'Widerstand! Widerstand!'. Und weißt du, ich hatte wirklich in diesem Moment Angst, muss ich sagen."
Tichina Vaughn sitzt in einem holzvertäfelten Probenraum im Hinterbau der Semperoper. Die amerikanische Altistin ist seit 2009 fest im Ensemble und kennt diese Räume gut. Und auch Dresden ist ihr mittlerweile ans Herz gewachsen. Um so mehr belastet es sie, dass die Semperoper seit über einem Jahr wöchentlich zur Kulisse der Pegida-Märsche wird, bei denen ausländerfeindliche und rechtsextreme Parolen zur Tagesordnung gehören.
Sie erinnert sich gut an den Abend, an dem sie diese zum ersten Mal bis ins Theater gehört hat.
"Sogar ein paar Kollegen im Gang haben mir gesagt: 'Es tut mir so leid, weißt du, das ist nicht Deutschland."
Daraufhin hat die Afro-Amerikanerin angefangen, auf Friedensveranstaltungen in Dresden zu singen, so zum Beispiel auf dem "Dresden ist bunt"-Konzert mit Herbert Grönemeyer Anfang des Jahres.
Und sie ist nicht allein. Es gibt eine Reihe von Mitarbeitern an der Semperoper, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit engagieren. So auch die Mezzosopranistin Christina Bock.
"Ich persönlich finde, dass wir den Auftrag haben. Es muss klar sein: Wir leben von der Internationalität, wir leben von Touristen und wenn wir es nicht schaffen, eine nette, freundliche Atmosphäre zu schaffen für Menschen, die hier herkommen, um sich Oper anzuschauen wollen, dann entziehen wir uns unsere eigene Lebensgrundlage und ich denke, das ist das, was jetzt langsam in den Köpfen auch der Mitarbeiter passiert, dass man sich überlegt, okay, was verändert das?"
Semperoper-Gruppe auf Anti-Pegida-Demos
Christina Bock ist 29 Jahre alt und fest im Ensemble der Semperoper. Die gebürtige Thüringerin hat sich von Anfang an an den Aktionen beteiligt, mit denen sich die Semperoper von Pegida abgrenzt. Zum Beispiel hat sie mit ihren Kollegen Warnwesten mit Semperoper-Aufschrift bedrucken lassen – so können sie bei den Gegendemonstrationen als Gruppe auftreten. Auch für die aktuelle Leinwandprojektion an der Hauptfassade hat sie sich fotografieren lassen.
"Da sind wirklich ganz ganz tolle Bilder entstanden mit tollen Sprüchen, und was uns auch sehr wichtig war, dass wir auch eine 'Für-Mentalität' schaffen. Dass wir nicht gegen Menschen sind, die montags auf die Straße gehen. Sondern wir sind für Toleranz und stehen einfach für bestimmte Dinge und nicht gegen Menschen."
Dass diese friedliche Haltung vielen Pegida Anhängern fern ist, hat sie bereits am eigenen Leib zu spüren bekommen:
"Ja, ich beispielsweise bin am Jahrestag von Pegida auch in der Gegendemonstration mitgelaufen und wurde – also ich bin mit einer dunkelhäutigen Kollegin unterwegs gewesen und wurde – eben auch bespuckt."
Auch auf dem Weg zur Arbeit sind an Montagabenden Pöbeleien und Beschimpfungen keine Seltenheit – vor allem wenn andere Sprachen gesprochen werden. Der komissarische Intendant Wolfgang Rothe erzählt, was das für Auswirkungen auf den Probenalltag hat:
"Gerade Theater und vor allen Dingen Musiktheater und Ballett sind ja ohne die vielen Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt gar nicht denkbar und gar nicht realisierbar. Und da gibt es eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die Ängste haben, was da passiert. Zum Beispiel bis heute ist es so, dass die Proben zu einem bestimmten Zeitpunkt enden müssen, damit die Kolleginnen und Kollegen aus der Ballettkompanie rechtzeitig nach Hause kommen, weil sie Angst haben, über den Platz beziehungsweise durch die Innenstadt zu gehen an einem Montagabend."
Wolfgang Rothe beschäftigt sich täglich einige Stunden mit dem Thema, wie sich die Semperoper am effektivsten von Pegida abgrenzen kann. Die Zusammenarbeit mit anderen Kulturstätten und die Umsetzung von Kunstprojekten, die Weltoffenheit bekunden, sind dabei genauso an der Tagesordnung wie Drohbriefe.
Dass dieser andauernde Ausnahmezustand für viele Mitarbeiter im Haus eine psychische Belastung ist, weiß auch der dänische Gast-Tenor Peter Lodahl:
"Natürlich gibt's sehr viele sensible Leute in einem Opernhaus oder Theater, also wir leben von unserer Sensibilität, das ist unser Brennstoff, das ist unser Werkzeug und klar werden viele Leute in ihrer Sensibilität sehr getroffen, das merkt man schon an der Stimmung."
Internationale Gastkünstler sind schockiert
Mit dem riesigen Polizeiaufgebot am Theaterplatz und Bussen voller angereister Pegida-Anhänger, die hinter der Oper parken, ist das auch kein Wunder.
"Man hat das Gefühl, an einem Montagnachmittag verdüstert sich irgendwie Dresden. Die Stimmung wird eine andere, die Straßen und die Geschäfte werden leer, weil mittlerweile jeder weiß, das ist dann Verkehrschaos. Man hat da das Gefühl, dass sich da bis in den Abend hinein die Stadt verwandelt. Und am nächsten Morgen, wenn der nächste Tag erwacht, dann ist Dresden wieder anders oder erscheint es anders. Aber eigentlich ist Dresden immer anders und da, wo es nicht anders ist, da müssen wir's anders machen."
Wolfgang Rothe ist froh, dass es so engagierte Ensemblemitglieder am Haus gibt wie Christina Bock und Tichina Vaughn. Die beiden kümmern sich auch um neu angekommene Gastkünstler, die Anfangs meist erst mal schockiert sind über die Demonstrationen.
"Klar jetzt in der letzten Produktion, die wir hatten, in 'The Great Gatsby' war's ja nun so, dass wir so mit einigen afro-amerikanischen Kollegen auch gearbeitet haben, wo also ich ganz persönlich auch tatsächlich Angst um ihre Sicherheit hatte Montag abends, und da wurde schon vorher immer besprochen: passt bitte auf, wir haben also dafür gesorgt, dass die Leute nicht alleine nach Hause gehen, haben teilweise auch einfach persönlich Leute nach Hause gefahren, weil wir wussten, die müssen jetzt irgendwie durch die Menge durch."
Trotz allem lassen sich die Künstler nicht einschüchtern. Der gastierende Bariton Lester Lynch findet es gerade in diesen Zeiten wichtig, Farbe zu bekennen und den Weg zu weisen:
"The art is guiding the people and it is I think part of our job to stand up and lead the society."
Vor der Oper wehen seit einiger Zeit Fahnen mit der Aufschrift "Türen auf, Herzen auf, Augen auf". Lester Lynch hat eine Idee, die dazu passt:
"An der Oper leben wir Integration, wir brauchen nur noch eine muslimische Frau in ihrer Burka, die Dirigentin ist, dann passt alles. Wir brauchen solche Sachen. Die Kunst muss die Menschen manchmal führen und wir haben da eine Mitverantwortung. Ich finde, dass das die Semperoper schon gut macht – sie lenkt die Gesellschaft der Stadt auf eine ruhige Art, ohne großen Aufruhr."