Lebensabend hinter Gittern
Der demografische Wandel macht auch vor den Gefängnistoren nicht halt. Die JVA Detmold hat deswegen eine extra Senioren-Abteilung eingerichtet. Wer hier herkommt, ist mindestens 62 Jahre - da wiegen die Tage in Unfreiheit besonders schwer.
Wenn Klaus aufwacht, lächeln ihm seine Tochter und ihr Freund entgegen. Ihr Foto hat er an die Zellenwand direkt neben dem Bett geheftet.
Klaus:"Sie ist 44. Und da möchte ich eben hinziehen. Die hat gesagt, ich soll es ja nicht wagen, ins Altersheim oder betreutes Wohnen zu gehen. Sie will mich unbedingt haben."
Daneben hängt eine Postkarte von seiner Tochter aus Erfurt und ein Werbekalender. Jeden Tag, der vergeht, streicht der 71-Jährige mit Kugelschreiber aus.
Klaus:"Jeder Tag ist eben einer weniger."
Zwei Jahre hat Klaus so schon mit dicken, blauen Kreuzen abgehakt. Er ist in der JVA Detmold in Haft, in der Abteilung für Lebensältere. Wer hier herkommt, ist mindestens 62 – und muss eine Langzeit-Haftstrafe absitzen.
Vier Jahre bleiben ihm noch, erzählt Klaus – und schaltet den Fernseher am Fußende seines Bettes an. Warum er sitzt, das möchte er nicht sagen.
Klaus: "Das bleibt mein Geheimnis."
Seine Augen füllen sich mit Tränen bei der Frage. Er streicht sich über die kurz geschnittenen, weißen Haare. Nur so viel: Er ist das erste Mal in Haft.
Wenn er rauskommt, ist er 75. Ein paar Jahre in Freiheit hat er dann vielleicht noch, die er als ganz normaler Rentner verbringen kann. Ohne Pflegeheim, Demenz oder andere Alterserkrankungen. Aber sein vorheriges Leben, das ist für immer vorbei, weiß Klaus.
Klaus: "Ich war drei Jahre als Lehrling, und dann habe ich mein ganzes Leben als Bäcker gearbeitet, bis 60 Jahre. Dann bin ich in Rente gegangen."
Wer im Alter zum ersten Mal inhaftiert wird, für den schrumpft das Leben ganz plötzlich zusammen. Die sozialen Kontakte, die Hoffnung, auf eine Rückkehr ins bisherige Leben – all das schwindet. Auch deswegen braucht es hier eine andere Betreuung als im regulären Strafvollzug.
Zusammenleben fast wie in einer WG
Mittags gibt es Erbsensuppe mit Wurst. Dann geht Justizbeamtin Karin Ludewig den langen Gang mit den grauen Eisentüren entlang, schließt die Zellentüren der 22 Häftlinge auf.
Karin Ludewig: "In anderen Anstalten habe ich auch selber erlebt, dass die Leute gequält werden in den Hafträumen oder unter den Duschen, das gibt es hier nicht. Weil wir so klein sind, und einfach alles im Blick haben."
Die Häftlinge können sich in den Gemeinschaftsraum setzen, duschen, ihre Wäsche waschen oder sich in der Küche etwas zubereiten. Fast wie in einer WG – und anders als im regulären Strafvollzug.
Bis neun Uhr abends bleiben die Zellentüren auf. Trotzdem hat fast jeder hier eine Einzelzelle, in die er sich auch jederzeit zurückziehen kann.
Im Gemeinschaftsraum setzt sich Klaus zu drei anderen Gefangenen an den großen Tisch. Zu dem 67-jährigen Fritz, der über 30 Jahre als Elektrotechniker gearbeitet hat – und vom Angeln schwärmt. Und zu Norbert, 63 Jahre.
Norbert: "Ich bin wegen Mord verurteilt, zu elf Jahren. Das ist ein absoluter Bruch, und ich trag da auch schwer dran, werde mein Leben lang dran tragen."
Fritz: "Es gab auch bei mir ein Tötungsdelikt. Und ich habe dann lebenslänglich gekriegt, habe also noch einige Jährchen vor mir."
Der Dritte – Andreas – sitzt wegen Betrugs und ist der einzige von den vieren, der bereits zum zweiten Mal einsitzt. Alt-Knackies, die auf eine lange kriminelle "Karriere" zurückblicken, gibt es hier in der Abteilung für Lebensältere eher selten.
Jeden Tag Mensch-ärgere-dich-nicht
In einem kleinen Bücherschrank im Gemeinschaftsraum stehen Krimis – Agatha Christi und Tom Clancy, außerdem ein Scrabble und Brettspiele.
Klaus: "Am liebsten spielen wir hier, wir sind so eine Gruppe, vier Inhaftierte. Wir spielen fast jeden Tag Mensch-ärger-dich-nicht. Das macht immer Spaß."
Außerdem gibt es Seniorensport, Billard, Tischfußball. Und einmal in der Woche eine Kochgruppe. Das Highlight der Lebensälteren-Abteilung. Und so lernt mancher in der Gefängnis-WG auf seine alten Tage noch einiges im Haushalt. Und wie man sonst so zurechtkommt – in einer Art "22-Mann-WG".
Andreas: "Wie im Hühnerstall, ist manchmal wirklich so, wie in der Studentenzeit: Kühlschrank auf – oh – ich habe den Joghurt reingestellt, wo ist er?! Oder so."
Dann erzählen Andreas, Klaus, Fritz und Norbert von der Freiheit. Was sie machen werden, wenn sie entlassen werden.
Norbert: "Ich werde dann zu meiner Freundin ziehen. Und wenn wir fit sind, werden wir noch viel reisen. Da freue ich mich auch drauf."
Fritz: "Vor allem jeden morgen schön spazieren gehen…"
Die größte Sorge für Fritz: gar nicht mehr lebend rauszukommen. 67 Jahre alt und lebenslänglich wegen Mordes verurteilt – das könnte knapp werden.
Fritz: "Es ist einfach so, man muss es schaffen, da durchzukommen. Genug Probleme mit der Krankheit, Diabetes, Bluthochdruck, Männerkrankheiten, ja. Ob ich das je noch mal schaffe, hier rauszukommen, weiß ich nicht. Wird man sehen."
Fritz lacht, als hätte er gerade einen Scherz gemacht. Die anderen gucken betreten.
Fritz: "Was soll ich denn tun, ich kann es nur mit Humor nehmen, wie alles hier, das Einzige, was mir hilft, ist das."