Als Rentner zum ersten Mal ins Gefängnis
Der demografische Wandel macht auch vor den Gefängnistoren nicht halt. Die JVA Waldheim in Sachsen hat deswegen eine eigene Senioren-Abteilung. Wer hier einsitzt, ist meist zum ersten Mal zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
Der demografische Wandel macht auch vor den Gefängnistoren nicht halt. Die JVA Detmold hat deswegen eine extra Senioren-Abteilung eingerichtet. Wer hier herkommt, ist mindestens 62 Jahre - da wiegen die Tage in Unfreiheit besonders schwer.
"Als diese Situation bei mir eingetreten war, da war ich ja schon Rentner. Keiner hätte mir das zugetraut. Ich mir ja auch nicht."
Siegfried Bolte, 73 Jahre alt, ist ein verurteilter Mörder. Vor sechs Jahren soll er seine Frau mit einem Messer getötet haben. Das Urteil: Lebenslänglich.
Jetzt ist er in der JVA Waldheim in Sachsen auf einer Station untergebracht, die eigens auf die Bedürfnisse von Senioren ausgerichtet ist. Ein langer, breiter Gang. Schwere, gelbe Türen zu den Zellen. Einige sind geöffnet, die Insassen können sich zwischen sechs Uhr morgens und halb zehn Uhr abends frei bewegen.
Siegfried Bolte: "Bitte sehr!"
Reporter: "Vielen Dank! Das hier ist Ihr Raum?"
Siegfried Bolte: "Alles, was Sie hier sehen. Wir dürfen Pflanzen haben, allgemein nur drei. Aber weil meine so klein sind, kann ich mir auch noch mehr leisten."
Reporter: "Wie war das für Sie ins Gefängnis zu müssen?"
Siegfried Bolte: "Furchtbar muss ich sagen. Wenn ich im Fernsehen irgendwas übers Gefängnis sah - da hab ich zu meiner Frau immer gesagt interessehalber würde ich mal einen Blick reinwerfen wollen. Aber bloß nicht irgendwie da selber drin sitzen müssen."
Siegfried Bolte: "Bitte sehr!"
Reporter: "Vielen Dank! Das hier ist Ihr Raum?"
Siegfried Bolte: "Alles, was Sie hier sehen. Wir dürfen Pflanzen haben, allgemein nur drei. Aber weil meine so klein sind, kann ich mir auch noch mehr leisten."
Reporter: "Wie war das für Sie ins Gefängnis zu müssen?"
Siegfried Bolte: "Furchtbar muss ich sagen. Wenn ich im Fernsehen irgendwas übers Gefängnis sah - da hab ich zu meiner Frau immer gesagt interessehalber würde ich mal einen Blick reinwerfen wollen. Aber bloß nicht irgendwie da selber drin sitzen müssen."
Altersarmut und Einsamkeit spielen nur eine geringe Rolle
Am Ende des langen Ganges der Seniorenstation hat Sozialarbeiterin Andrea Jessen ihr Büro. Durch ihre Arbeit im Vollzug merkt sie, dass immer mehr ältere Menschen kommen. Und die hätten völlig andere Bedürfnisse als die jüngeren Gefangenen. Gerade was die Ersttäter angeht. Sie machen die Hälfte der circa 130 Insassen hier aus. Seit zehn Jahren gibt es diese Abteilung.
Reporter: "Wenn Sie jetzt einen Ersttäter mit Mitte Siebzig, Mitte Sechzig hier herbekommen, wie erleben Sie diese Menschen in den ersten Tagen, in den ersten Wochen?"
Andrea Jessen: "Die Ersttäter zeichnen sich dadurch aus, dass sie eigentlich ein Leben gelebt haben, welches völlig normal verlief. Die sind dann oftmals eben erst im hohen Lebensalter in eine besondere Lebenssituation geraten, wo deren Mittel und Veranlagungen nicht mehr ausgereicht haben, um diese Situation zu bewältigen. Das heißt, man findet in diesem Lebensalter bei den Ersttätern häufig auch sehr heftige Straftaten. Also ich spreche da zum Beispiel von Tötungsdelikten."
Reporter: "Wenn Sie jetzt einen Ersttäter mit Mitte Siebzig, Mitte Sechzig hier herbekommen, wie erleben Sie diese Menschen in den ersten Tagen, in den ersten Wochen?"
Andrea Jessen: "Die Ersttäter zeichnen sich dadurch aus, dass sie eigentlich ein Leben gelebt haben, welches völlig normal verlief. Die sind dann oftmals eben erst im hohen Lebensalter in eine besondere Lebenssituation geraten, wo deren Mittel und Veranlagungen nicht mehr ausgereicht haben, um diese Situation zu bewältigen. Das heißt, man findet in diesem Lebensalter bei den Ersttätern häufig auch sehr heftige Straftaten. Also ich spreche da zum Beispiel von Tötungsdelikten."
Altersarmut und Einsamkeit spielen, so zeigt es eine Untersuchung der Technischen Universität Dresden, nur eine marginale Rolle. Die meisten Täter seien sozial gut integriert. Der Anteil der über 60-Jährigen unter allen Tatverdächtigen ist in den meisten Bundesländern zwischen 1995 und 2012 gestiegen. Einzige Ausnahme: Bremen. Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen verzeichnen den größten Anteil.
Lebensfertigkeiten werden verlernt
Reporter: "Glauben Sie, dass in den meisten Fällen Gefängnis bei Senioren hilft, um sie auf den rechten Pfad zu bringen oder sie zu resozialisieren oder ihnen irgendwie zu helfen für ihr Leben in der Freiheit?"
Andrea Jessen: "Nein. Die Inhaftierten, die im hohen Alter mit einer schweren Straftat auffällig geworden sind, brauchen eigentlich für sich keine Veränderung. Keine Resozialisierung. Nein, die brauchen 'Verstehen lernen', die brauchen eine neue Richtung für ihr zukünftiges Leben. Natürlich machen Gefängnisstrafen Sinn als Strafmittel und sicherlich ist es auch für das ein oder andere Opfer von Straftaten wichtig zu wissen, der Täter wurde bestraft, der wurde eingesperrt. Dem wurde die Freiheit genommen. Aber die Älteren, die einmal raus sind aus ihrem Alltag, die Lebensfertigkeiten einfach auch verlernen dadurch, für die ist es schwieriger dann wieder zurückzufinden. Und dann entwickelt unter Umständen der Vollzug eine Altengeneration von permanent auf Hilfe Angewiesenen, die letztendlich auch dem Staat wieder eine Menge Geld kosten. Also da beißt sich dann die Katze so ein bisschen in den Schwanz."
Siegfried Bolte, der seine Frau vor sechs Jahren getötet hat, hofft, dass er 2025 aus der Haft entlassen wird. Vor einem Jahr hat er wieder geheiratet. Seine neue Frau will auf ihn warten.
Siegfried Bolte: "Wir haben jetzt eine wunderschöne Wohnung, hier draußen in der Niederstadt. Von hier aus 250 Meter hin ist meine Wohnung. Es schmerzt mitunter sehr stark, aber ich hab ja die Möglichkeit meine Frau in der Tageszeit, bis zum Einschluss abends anzurufen."
Andrea Jessen: "Nein. Die Inhaftierten, die im hohen Alter mit einer schweren Straftat auffällig geworden sind, brauchen eigentlich für sich keine Veränderung. Keine Resozialisierung. Nein, die brauchen 'Verstehen lernen', die brauchen eine neue Richtung für ihr zukünftiges Leben. Natürlich machen Gefängnisstrafen Sinn als Strafmittel und sicherlich ist es auch für das ein oder andere Opfer von Straftaten wichtig zu wissen, der Täter wurde bestraft, der wurde eingesperrt. Dem wurde die Freiheit genommen. Aber die Älteren, die einmal raus sind aus ihrem Alltag, die Lebensfertigkeiten einfach auch verlernen dadurch, für die ist es schwieriger dann wieder zurückzufinden. Und dann entwickelt unter Umständen der Vollzug eine Altengeneration von permanent auf Hilfe Angewiesenen, die letztendlich auch dem Staat wieder eine Menge Geld kosten. Also da beißt sich dann die Katze so ein bisschen in den Schwanz."
Siegfried Bolte, der seine Frau vor sechs Jahren getötet hat, hofft, dass er 2025 aus der Haft entlassen wird. Vor einem Jahr hat er wieder geheiratet. Seine neue Frau will auf ihn warten.
Siegfried Bolte: "Wir haben jetzt eine wunderschöne Wohnung, hier draußen in der Niederstadt. Von hier aus 250 Meter hin ist meine Wohnung. Es schmerzt mitunter sehr stark, aber ich hab ja die Möglichkeit meine Frau in der Tageszeit, bis zum Einschluss abends anzurufen."