Offlinern helfen, online zu gehen
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Der Bremer Verein "Ambulante Versorgungsbrücke" unterstützt ältere Menschen dabei, mit den digitalen Angeboten im Alltag zurechtzukommen. Die Generation "60plus" kommt mit vielen Fragen und nutzt in Corona-Zeiten gerne die Hotline.
Während der Coronakrise ist es wichtig, sich in der digitalen Welt zu bewegen, auch um in Kontakt mit der Familie und mit Freunden zu bleiben. Viele ältere Menschen fühlen sich aber nicht sicher im Umgang mit dem Internet. Für sie sind Zoom-Konferenzen, Messengerdienste oder Onlineshopping unüberwindbare Herausforderungen. Ein Verein in Bremen will "Offlinern" dabei helfen, sich in der digitalen Welt zu bewegen, und hat dafür eine Hotline für Senioren eingerichtet.
Hotline für digitale Hilfe
Das Telefon klingelt. "Hier ist die Hotline der "Ambulanten Versorgungsbrücken", mein Name ist Imke Engelbrecht, wie kann ich ihnen helfen?", meldet sich Imke Engelbrecht. Sie hält zwei Telefone in der Hand. Aus dem Lautsprecher des einen klingt die Stimme von Paul Schmidt, das andere soll dabei helfen, Schmidts Anliegen besser nachzuvollziehen.
Schmidt ruft inzwischen zum vierten Mal bei dem spendenbasierten Verein an. Momentan wird die Hotline gut angenommen, das Telefon steht nie still. Obwohl die Anrufer eigentlich auch in das "Café WLAN" gehen könnten, wo sie vor Ort beraten werden. Dieses Angebot gibt es zurzeit aber wegen der Pandemie nur für Einzelne und mit Termin. Also greifen viele lieber zum Telefon.
"Herr Schmidt, ich kann sie gerade schlecht hören, die Verbindung ist so schlecht. Mit welchem Telefon telefonieren sie denn?", fragt Engelbrecht. Für sie ist es keine leichte Angelegenheit, wenn die Verbindung schlecht ist und man nicht auf den gleichen Bildschirm schaut.
"Sie haben da drei Tasten auf dem Rahmen. Da ist eine Taste, die sieht aus, als wenn da zwei Blätter übereinanderliegen, so sieht das aus."
Neugier auf WhatsApp
Engelbrecht fährt mit ihrer Hand über den Rahmen des zweiten Handys und vollzieht so die Bewegungen von Schmidt aus der Ferne nach. "Deine kürzlich geöffnete App kommt jetzt."
Paul Schmidt ist 69 Jahre alt und Rentner. Wie 42 Prozent aller über 60-Jährigen ist er kein Internetnutzer. Seine ehemaligen Arbeitskollegen haben ihm von WhatsApp erzählt, jetzt will er es ausprobieren.
Später erzählt er am Telefon von dem Fernkurs mit Imke Engelbrecht. "Sie hat Zeit gehabt, ich habe mir auch die Zeit genommen. Ja, das klappte ganz gut. Sie hat mir erklärt, drück da und drück hier drauf und so. Ein paar Tage später habe ich mich dann wieder gemeldet, wie weit ich gekommen bin, das war toll, war echt wunderbar."
Für Reisen mit der Bahn
Gerda Sippel will sich nichts am Telefon erklären lassen, sie hat sich einen Einzeltermin im "Café WLAN" geholt und beugt sich jetzt mit Ehrenamtler Wolfgang Gottschalk – beide mit Maske – über ihr Smartphone. "Wir haben jetzt quasi Sonntag, ab 13.38 ab Brunnenstraße."
Die 79-Jährige will lernen, wie sie sich in der Bahn-App ein Ticket nach Münster kaufen kann. Vor ihnen auf dem Tisch stehen Kaffee und eine Packung Pralinen. "Ich fahre öfter mit der Deutschen Bahn und dann beobachte ich, die zeigen dann entweder nur ihr Smartphone oder sie haben es eben schon ausgedruckt. Das will ich jetzt auch können", sagt Sippel.
Bislang ist sie zum Reisezentrum im Hauptbahnhof geradelt, um sich dort vorab Tickets zu kaufen. Jetzt will sie es einfacher haben. Im "Café WLAN" einen Termin zu bekommen, ist nicht einfach. Bis Weihnachten ist alles ausgebucht, erzählt Ricarda Möller, Vorstand des Vereins.
Die meisten "Offliner" hätten ähnliche Fragen: "Wie installiere ich PayPal, wie kann ich Bilder bei WhatsApp versenden? Bis zu mein Handy funktioniert nicht mehr, es ist so langsam, wie kriege ich alle meine Bilder jetzt auf meinen Computer?"
Die Kinder überraschen
Gar nicht so leicht, sich in der Bahn-App anzumelden. Sippel gibt gerade zum dritten Mal ihre Mailadresse ein. Das Ganze braucht viel Geduld, die Gottschalk aufbringt: "Meine Kinder staunen, dass ich das kann. Die sagen, früher hätte ich nicht so viel Geduld gehabt."
Gottschalk sagt, er vergesse die Zeit, wenn er im "Café WLAN" ist. "Ich habe das Gefühl, gebraucht zu werden", erläutert er. "Als ich früher gearbeitet hatte, war ich von allen gebraucht. Als ich dann mit einem Mal krank wurde, kam ich dann in so ein Loch rein, wo man sich zu nichts mehr nütze fühlte."
Auch Engelbrecht, die eigentlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Vereins zuständig ist, hilft den "Offlinern" gerne: "Ich finde das entzückend und wirklich ganz, ganz bewundernswert, wenn Menschen, in einem Alter in dem sie noch nie mit digitalen Geräten vorher zu tun haben, sich da ran trauen und diese Welt für sich entdecken, was da alles möglich ist."
Am Ende hat es doch geklappt und Sippel kann jetzt Bahntickets online kaufen. "Puh, ich bin ganz kaputt, dann kann ich das ja von meinem Zettel streichen, das war Bahncard", sagt sie. Auf ihrem Zettel ist aber noch eine lange Liste mit vielen anderen Fragen.