Seniorenwohnung der Zukunft

Von Dirk Asendorpf |
Die Zahl der Pflegebedürftigen wächst. Schon bald wird sich die Betreuung ohne Einsatz von Technik nicht mehr bewältigen lassen. In einigen Musterwohnungen, den sogenannten Living Labs, wird die Pflege der Zukunft schon erprobt und von ihren potenziellen Anwendern bewertet.
Eine Rentnergruppe zu Besuch im Seniorenappartement der Zukunft. Küchenzeile, Sitzgruppe, Schreibtisch und Schlafecke – auf den ersten Blick sieht der Raum nicht anders aus, als jede x-beliebige Ein-Zimmer-Wohnung. Doch der Eindruck täuscht. Matthias Brucke hat das Living Lab am Oldenburger Offis Institut für Informatik eingerichtet.

"Ich mach mal den Verteilerkasten auf, nur damit Sie sehen, dass es ein bisschen Technik im Hintergrund gibt. Insofern: Ganz ohne geht’s nicht, aber die Idee ist eben, die Technik so zu verstecken, dass man sie nicht sieht."

Schon ein Druck auf den Klingelknopf versetzt die schlummernde Elektronik in Aktion. Das Licht am Eingang geht an, auf dem Fernseher erscheint ein Videobild des Besuchers, eine Datenbank erkennt, dass es sich um die Nachbarin handelt und öffnet die Tür. Wenig später wird das Fernsehprogramm schon wieder unterbrochen. Eine freundliche junge Frau erinnert an die 12-Uhr-Tabletten. Der Sensor im Medizinschränkchen hat in der letzten halben Stunde keine Bewegung festgestellt und die Meldung ausgelöst. Viele der betagten Besucher schütteln skeptisch den Kopf.
"Ist hier mal Elektrosmog gemessen worden?"

Matthias Brucke kann die Dame beruhigen. Auf den Einsatz drahtloser Technik wurde bewusst verzichtet. Nicht aus Angst vor Elektrosmog, sondern aus einer ganz praktischen Erwägung heraus. Schließlich wäre es widersinnig, wenn man alle paar Monate auf eine Leiter steigen müsste, um die Batterien in den Sensoren auszuwechseln, die einen Sturz melden sollen. Im Living Lab gibt es dafür einem verkabelten Teppichboden, der Alarm auslöst, wenn ein Mensch auf ihm nicht steht sondern liegt. Auch hier hat Brucke eine schnelle Antwort auf die skeptischen Blicke der Rentnergruppe.

"Der Teppich kann natürlich nicht zwischen einem schweren Koffer und einem Menschen unterscheiden. Aber da wir ja in so einem System wissen, ob der Bewohner zu Hause ist – einfach durch Bewegungsmelder und verschiedene Dinge – wenn jetzt der Bewegungsmelder drum herum angeschlagen hat und dann der Teppich etwas detektiert, und das da bleibt, dann hat man zumindest schon mal einen Anfangsverdacht, dass es da ne kritische Situation gibt."

350.000 deutsche Senioren sind schon heute an eine Notrufzentrale angeschlossen. Es ist die erste praktische Anwendung elektronischer Altenassistenzsysteme, die in Zukunft immer größere Bereiche der Betreuung übernehmen werden. Die Technikindustrie spricht von einem Milliardenmarkt. Doch vieles, was die Ingenieure erfinden, erweist sich im Praxistest als Flop, zum Beispiel das vollautomatische An- und Abschalten von Geräten.

"Die Gerontologen sagen uns: Wenn Ihr den Leuten jetzt schon abnehmt, dass sie darüber nachdenken müssen, dass sie den Herd eingeschaltet haben, dann verblöden die ja völlig. Es ist nicht immer die Wahl, etwas zu automatisieren oder die Menschen von allen Dingen zu entlasten. Insofern sind viele Dinge, die wir hier noch zu lösen haben, nicht unbedingt technischer Natur, sondern das Ganze ist ein Prozess, den man eben im Dialog führen muss."

Dazu ist die Rentnergruppe gerne bereit. Ihr Urteil fällt überraschend differenziert aus. Der 72-jährige Siegfried Zobel:

"Das ist keine Wohnung, das ist ein Labor. Und das ist natürlich auch nicht menschlich. Man müsste das schon etwas menschlicher gestalten, aber das lässt sich ja durchaus lösen. Es muss ja auch nicht alles da sein. Hier ist so viel Technik drin, dass das einfach den Menschen erschlägt, wenn er da reinkommen würde. Und die Bedienung der ganzen Dinge, das ist dann natürlich die zweite Frage, wie das alles funktioniert. Meine Frau zum Beispiel, die hasst so etwas, weil sie meint, sie kann das nicht verstehen. Aber wenn ich ihr das dann genau erkläre und ne längere Zeit mit ihr darüber diskutiere, dann sagt sie: Ja, das ist ja doch ganz vernünftig. Es ist eigentlich nur die Art und Weise, wie man den Menschen das vermittelt."

Seine Frau Elke nickt zustimmend.

"Mein Mann ist mit allem vorgebildet, aber ich habe nie am Computer gearbeitet, ich habe da also große Schwierigkeiten. Ich bin das klassische Beispiel, ich kann auch keinen Video-Recorder bedienen. Aber wenn ich davon profitieren könnte, würde ich das akzeptieren. Denn in vielen Sachen wird man ja mit zunehmendem Alter doch entmündigt, weil man’s eben nicht mehr kann – ob ich das nun durch meine Kinder machen lasse oder durch Geräte: Dann würde ich die Geräte vorziehen."

Heide Kramer widerspricht. Sie hat ihre Mutter zu sich nach Hause geholt, als sie nicht mehr alleine klar kam.

"Ich denke, etwas Technik wäre schon schön, aber zuviel Technik ist mir zu viel. Dieser Teppich zu Beispiel, den finde ich sehr gut, den man da ausprobiert hat, aber diese Apparate, die den ganzen Raum ausleuchten – muss ich nicht haben, wäre mir einfach zu viel Beobachtung. Ich würde mich da zu sehr überwacht fühlen. Ich denke, man soll ja auch noch eine Persönlichkeit behalten und man hat ja auch keine Kommunikationsmöglichkeit, wenn man da alleine ist. Sicher, mit den Apparaten kann man, aber wenn man eine Pflegeperson hat, die zwischendurch kommt, wir haben das bei meiner Mutter gemacht, da hatte sie mehr davon, als wenn sie von der Technik betreut worden wäre."

Assistenzsysteme, die in zehn Jahren marktreif sind, werden allerdings erst den heute 55-Jährigen dienen. Und für die ist es das Leben in einer Welt aus Computern, Internet und Drahtloskommunikation bereits selbstverständlich.

"Ich denke, diese Generation, die jetzt kommt, also unsere Kinder, die wird dann wahrscheinlich diese Technik gut finden, weil die auch mit der Technik mehr groß geworden sind als wir."