Sensationelle Proust-Adaption
Die Kritiker waren sich 1998 einig. Ein Werbegrafiker, der Marcel Prousts Meisterwerk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" als Comic umsetzen will: Das kann nur schiefgehen. Welch eine Anmaßung!
14 Jahre später hat Stéphane Heuet fünf Bände gezeichnet – "Combray", "Im Schatten junger Mädchenblüte" I+II, "Eine Liebe Swanns" I+II. Und die Kritik ist sich wieder einig: Diese Proust-Adaption ist sensationell. Nach dem großen Erfolg in Frankreich folgte der Siegeszug durch viele andere Länder. Mit der soeben erschienenen "Liebe Swanns" liegen nun alle Bände auch in deutscher Übersetzung vor.
Die Swann-Episode stellte für Heuet eine spezielle Herausforderung dar, spielt sie doch zu großen Teilen im Salon der Verdurins und ist geprägt von seitenlangen Dialogen. Tatsächlich braucht Heuet anfangs gerade einmal drei Seiten, um diesen gesellschaftlichen Zirkel zu umreißen. Sein Zeichenstil ist der Hergés: die sogenannte "Ligne claire", die sich durch präzise Konturen und flächige, einfarbige Kolorierung auszeichnet. Die blasierten Protagonisten erfasst er mit wenigen Strichen, und die Salonatmosphäre illustriert der Zeichner mit minutiös recherchierten Details. Die Interieurs der Epoche hat er intensiv studiert!
Viele von Heuets Bildfindungen sind von großer Poesie und Schönheit. Manche sind schlichtweg hinreißend. Etwa die Inszenierung der kleinen Melodie, die im Verdurinschen Salon gespielt und zur Liebeshymne Swanns und Odettes wird. Da bricht Heuet seine Einzelbilder plötzlich auf und macht eine pastellene blaue Doppelseite zum Assoziationsraum für Swanns Fantasien. Schöner lassen sich Träume nicht illustrieren! Auch Swanns unzählige Kutschfahrten durch das nächtliche Paris – von Eifersucht getrieben – setzt er in immer neue, herrliche Bildideen um.
Heuets zeichnerische Könnerschaft ist herausragend. Doch könnte sein Projekt nicht gelingen, wäre er nicht auch durch und durch Proust-Spezialist und ein Meister der Textauslegung. Den Haupterzählsträngen Prousts folgend, liegt der Reiz seiner Adaption in der souveränen Auswahl und Gewichtung des Originals. Eindrücklich nutzt er den Text als tragendes Moment seiner Inszenierung. Das fällt besonders bei den mäandernden Salondebatten auf. Heuet verpackt die Dialoge in sich überlagernde, ineinander übergehende, unter oder nebeneinander platzierte Sprechblasen, die von allen Seiten in die Einzelbilder hineinragen, und sie manchmal auch zur Gänze füllen.
Den Erzähltext wiederum – vom Zweizeiler bis zum langen Textblock – setzt er in gelbe Kästen. So sind manche Seiten reine Illustration, andere zeigen dicht gedrängte Sprechblasen, wieder andere widmen sich ausschließlich den Worten des Erzählers. Es ist diese Montage, in der sich Heuets Proust-Universum in seiner ganzen Schönheit entfaltet.
Überzeugend auch die Freiheit, mit der er seine "Suche" erzählt. Heuet malt nicht etwa "nach Proust", sondern hat seinen eigenen Zugang zu dessen Werk gefunden: Den des Liebhabers. Man folgt ihm nur zu gerne!
Besprochen von Eva Hepper
Marcel Proust / adaptiert und gezeichnet von Stéphane Heuet: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Eine Liebe Swanns, Teil 1 und Teil 2
Aus dem Französischen von Christian Langenhagen
Knesebeck Verlag, München 2012
Jeweils 48 Seiten, jeweils 19,95 Euro
Die Swann-Episode stellte für Heuet eine spezielle Herausforderung dar, spielt sie doch zu großen Teilen im Salon der Verdurins und ist geprägt von seitenlangen Dialogen. Tatsächlich braucht Heuet anfangs gerade einmal drei Seiten, um diesen gesellschaftlichen Zirkel zu umreißen. Sein Zeichenstil ist der Hergés: die sogenannte "Ligne claire", die sich durch präzise Konturen und flächige, einfarbige Kolorierung auszeichnet. Die blasierten Protagonisten erfasst er mit wenigen Strichen, und die Salonatmosphäre illustriert der Zeichner mit minutiös recherchierten Details. Die Interieurs der Epoche hat er intensiv studiert!
Viele von Heuets Bildfindungen sind von großer Poesie und Schönheit. Manche sind schlichtweg hinreißend. Etwa die Inszenierung der kleinen Melodie, die im Verdurinschen Salon gespielt und zur Liebeshymne Swanns und Odettes wird. Da bricht Heuet seine Einzelbilder plötzlich auf und macht eine pastellene blaue Doppelseite zum Assoziationsraum für Swanns Fantasien. Schöner lassen sich Träume nicht illustrieren! Auch Swanns unzählige Kutschfahrten durch das nächtliche Paris – von Eifersucht getrieben – setzt er in immer neue, herrliche Bildideen um.
Heuets zeichnerische Könnerschaft ist herausragend. Doch könnte sein Projekt nicht gelingen, wäre er nicht auch durch und durch Proust-Spezialist und ein Meister der Textauslegung. Den Haupterzählsträngen Prousts folgend, liegt der Reiz seiner Adaption in der souveränen Auswahl und Gewichtung des Originals. Eindrücklich nutzt er den Text als tragendes Moment seiner Inszenierung. Das fällt besonders bei den mäandernden Salondebatten auf. Heuet verpackt die Dialoge in sich überlagernde, ineinander übergehende, unter oder nebeneinander platzierte Sprechblasen, die von allen Seiten in die Einzelbilder hineinragen, und sie manchmal auch zur Gänze füllen.
Den Erzähltext wiederum – vom Zweizeiler bis zum langen Textblock – setzt er in gelbe Kästen. So sind manche Seiten reine Illustration, andere zeigen dicht gedrängte Sprechblasen, wieder andere widmen sich ausschließlich den Worten des Erzählers. Es ist diese Montage, in der sich Heuets Proust-Universum in seiner ganzen Schönheit entfaltet.
Überzeugend auch die Freiheit, mit der er seine "Suche" erzählt. Heuet malt nicht etwa "nach Proust", sondern hat seinen eigenen Zugang zu dessen Werk gefunden: Den des Liebhabers. Man folgt ihm nur zu gerne!
Besprochen von Eva Hepper
Marcel Proust / adaptiert und gezeichnet von Stéphane Heuet: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Eine Liebe Swanns, Teil 1 und Teil 2
Aus dem Französischen von Christian Langenhagen
Knesebeck Verlag, München 2012
Jeweils 48 Seiten, jeweils 19,95 Euro