Vor 50 Jahren: Eine Trainer-Legende tritt ab
28 Jahre lang betreute Sepp Herberger die Fußball-Nationalmannschaft, eine bis heute einzigartige Leistung. Mit dem sogenannten Wunder von Bern machte er sich 1954 als Trainer nahezu unsterblich. Vor einem halben Jahrhundert musste Herberger zurücktreten.
"Nach dem Spiel ist vor dem Spiel."
"Der Ball ist rund."
"Der nächste Gegner ist immer der Schwerste."
Sepp Herbergers Sprüche sind noch heute in aller Munde. Zu Lebzeiten schon wurde der ehrgeizige und penible Fußballlehrer zur Trainerlegende. Niemand schaffte es wie er, die Spieler zu motivieren und zu einem Team zusammenzuschweißen, in dem jeder für jeden alles gab. Er verlangte unbedingten Fleiß und Einsatzwillen, absolute Unterordnung und Hingabe.
"Gekickt hab ich schon sehr früh, was eben transportabel war, hat einen Tritt bekommen. Ich bin noch nicht zur Schule gegangen, da hab' ich schon gekickt."
Als Kind musste Herberger heimlich kicken
Um die Jahrhundertwende jedoch, als Kaiser Wilhelm II. das Sagen hatte, war Fußball in Deutschland noch weitgehend als "englische Krankheit", "Fußlümmelei" oder "Aftersport" verpönt.
"Wir mussten alles heimlich betreiben, weil das Elternhaus und die Schule und die Kirche gegen dieses wilde Getue war."
Aber das runde Leder eröffnete dem 1897 im Mannheimer Stadtteil Waldhof geborenen Arbeitersohn Josef Herberger den Aufstieg. Vom Fußball besessen, schaffte es der talentierte, kleine, aber zähe Mittelfeldspieler bis in die Nationalelf. Er lebte sparsam, und jeglicher Alkohol war tabu. 1930 legte er an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin die Sportlehrerprüfung ab. Der Jahrgangsbeste wurde Trainer des Westdeutschen Fußballverbandes und Assistent von Reichstrainer Otto Nerz. 1933 trat er der NSDAP bei. Das war der Karriere förderlich, aber die nationalsozialistische Ideologie machte sich Herberger nicht zu eigen. Als die Nationalelf 1936 beim olympischen Fußballturnier frühzeitig ausschied, musste Otto Nerz gehen. Sepp Herberger wurde sein Nachfolger als Reichstrainer.
"Aus, aus, aus! Aus - das Spiel ist aus, Deutschland ist Weltmeister."
Der größte Erfolg gelang dem listigen Taktiker und Strategen 1954 mit dem sogenannten "Wunder von Bern", als die bundesdeutsche Nationalelf unter ihm überraschend Weltmeister wurde.
Kritiker-Vorwurf: veraltete Trainingsmethoden
Herberger und seine Elf-Freunde-Philosophie wurden zum Mythos. Der "Chef" selbst aber blieb nicht unumstritten. Kritiker warfen ihm einen autoritären Führungsstil und veraltete Trainingsmethoden vor. Als die bundesdeutsche Elf bei der Weltmeisterschaft in Chile 1962 im Viertelfinale ausgeschieden war, forderten viele den Rücktritt des Bundestrainers. Herberger war nach der Rückkehr aus Südamerika sichtlich überrascht und getroffen.
"Also ich muss sagen, das ist die größte Überraschung, die hier auf mich zugekommen ist. Wir haben geglaubt aufgrund der Eindrücke und aufgrund des Erlebnisses, das wir drüben hatten, dass die Heimat mit uns zufrieden war. Das kann sie nämlich, unsere Mannschaft hat Großartiges geleistet drüben. Was ich hier höre, ich muss sagen, ich bin aus allen Wolken gefallen."
Ein Abgang in Raten begann. Der Deutsche Fußball-Bund erfüllte zwar Herbergers lange gehegten Wunsch nach einer Eliteliga und führte 1963 die Bundesliga ein. In der Führungsetage wurden aber auch immer mehr Stimmen gegen ihn laut.
Die Verbandsspitze war im Umbruch, und Sepp Herbergers langjähriger Mentor Peco Bauwens war als DFB-Präsident von Hermann Gösmann abgelöst worden.
Aber nach der Devise "jetzt erst recht" hielt Herberger stur an seinem Trainerjob fest und erklärte:
"Wann ich abtrete, das bestimme ich. Der DFB lässt mir da vollkommen freie Hand."
Nach verschiedenen Indiskretionen aus dem Vorstand, die den baldigen Abgang des Bundestrainers ankündigten, gab der DFB schließlich im November 1963 den Rücktritt Herbergers zum Ende der ersten Bundesliga Saison bekannt.
Bitterer Abgang mit nachträglichem Witz
Für den 12. Mai 1964 war die offizielle Verabschiedung in Hannover terminiert, anlässlich des Länderspiels gegen Schottland. Auf der Trainerbank saß da schon Helmut Schön. Das Spiel endete 2:2. Nur mit einem Unentschieden abzutreten, das passte dem inzwischen 67-jährigen Herberger gar nicht. So verließ er die Fußball-Bühne als Bundestrainer endgültig erst am 7. Juni 1964, beim 4:1 Sieg der bundesdeutschen Elf in Finnland. Später, angesichts der Weltmeisterschaft 1966 in England, verstand es der eloquente Meister der Selbstinszenierung, seinen bitteren Abgang gewitzt zu verklären.
"Da hab ich in meinen Pass geguckt und da hab ich gesehen, dass ich ja noch aus dem vergangenen Jahrhundert bin, und das war sicherlich ein entscheidender Punkt für mein Ausscheiden, denn wenn wir schlecht abschnitten, hätte die ganze Welt mit Recht gesagt: Was will denn der alte Knacker noch mit den jungen Leuten da?"