Serendipität

Wie der Zufall unser Leben verbessern kann

Illustration eines Leiter und Schlange Spiels vor rotem Hintergrund.
Manchmal gibt es Zufälle, die perfekt passen. Eine positive Erwartungshaltung hilft uns, sie zu nutzen. © imago / Ikon Images / John Holcroft
Der Zufall beschert uns große Entdeckungen wie auch kleine Freuden im Leben. Für den überraschenden Fund offen zu sein, nennt sich Serendipität. Sie beeinflusst den Lauf der Geschichte - und kann uns auch privat viel nützen.
Kolumbus entdeckt aus Versehen den nordamerikanischen Kontinent, die Wirkung von Penicillin wird erkannt, weil sein Entdecker zwei Petrischalen nicht rechtzeitig entsorgt. Und beim ersten Einsatz der Chemikalien, die wir heute als Sekundenkleber nutzen, stört ihre Klebrigkeit die Ingenieure nur. Erst später verstehen sie, dass es gerade diese Eigenschaft ist, welche die Substanz so wertvoll macht.
Der Zufall beschert uns große Entdeckungen wie auch kleine Freuden im Leben. Wissenschaftler bezeichnen die Offenheit für Zufälle als Serendipität. Diese Haltung spielte nicht nur eine große Rolle im Lauf der Geschichte, sondern kann auch unser Leben verbessern – wenn wir sie richtig einsetzen.

Was bedeutet Serendipität?

Für manch einen Glückspilz hält das Leben eine schöne Überraschung nach der anderen bereit: Auf der Straße liegt ein Geldschein, auf dem Weg zur Arbeit hängt im Schaufenster eines Geschäfts eine tolle Jacke - und im Büro angekommen wird die gefürchtete Besprechung abgesagt, weil der Kollege krank geworden ist.
Glückliche Zufälle? Ja. Serendipität? Nein, noch nicht.
Serendipität bezeichnet das Stolpern über eine Sache, nach der man nicht gesucht hat – die aber ein Problem auf überraschende Weise löst. Dafür kommt es auch darauf an, dass man empfänglich für zufällige Beobachtungen ist. "Serendipität beschreibt eine Fähigkeit, nicht ein Ereignis", stellt der Ethnograf Mark de Rond fest. Es ist die Fähigkeit, offen für unerwartete Entdeckungen zu sein, ohne sie aktiv zu forcieren.

Von wem stammt der Begriff Serendipität?

Dem Begriff lässt sich eindeutig ein Datum zuordnen: Der englische Schriftsteller Horace Walpole benutzt ihn zum ersten Mal am 28. Januar 1754 in einem Brief an einen Freund. In der Freude über einen glücklichen Zufall erfindet er das Wort „serendipity“ einfach – denn ihm fällt kein anderes ein, das treffend wäre.
Porträtzeichnung von Horace Walpole in schwarz vor weissem Hintergrund.
Der "Erfinder" der Serendipität: Horace Walpole.© Getty Images / duncan1890
Dabei greift Walpole auf das persische Märchen „Die drei Prinzen von Serendip“ (eine alte Bezeichnung für Sri Lanka) zurück. Die Prinzen machen bei einer Reise allerhand zufällige Entdeckungen, die anderen – die nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit und Muße wie die Königssöhne ausgestattet sind – verborgen bleiben.
Zufällig im Wörterbuch entdeckt
Wirklich bekannt wurde der Begriff aber erst Mitte des 20. Jahrhunderts. Robert K. Merton, einer der ersten Wissenschaftssoziologen, entdeckt ihn zufällig in einem Wörterbuch. Von da an ist er sich sicher, dass man mit ihm viele Entdeckungen in der Wissenschaftsgeschichte beschreiben kann.
Und tatsächlich: Röntgenstrahlung, Penicillin, Radioaktivität und selbst die Viagrapille gehen alle auf glückliche Zufälle zurück. Daneben genauso wichtig waren aber die Wissenschaftler, die die Zufälle zu interpretieren und auszunutzen wussten.

Wie wichtig ist der Zufall für die Geschichte?

Für den Soziologen Armin Nassehi spielt die Serendipität nicht nur in der Wissenschaft eine Rolle, sondern prägt die gesamte Gesellschaft fundamental. Auch in früheren Gesellschaftsformen habe es immer wieder zufällige Ideen und Entdeckungen gegeben, die das Leben der Menschen verbessert hätten, sagt er. Aber: „Traditionale Gesellschaften bringen sehr viel Energie dafür auf, dafür zu sorgen, dass sich nichts ändert.“
Heutzutage sei das anders: „Die Moderne zeichnet sich besonders dadurch aus, dass sie Abweichungsmöglichkeiten prämiert, sodass man das Neue überhaupt denken kann.“ So suchen wir heute überall nach Verbesserungsmöglichkeiten: Bessere Gesetze in der Politik, bessere Produkte in der Wirtschaft und ein besseres Sportprogramm im Privatleben. Insofern sei man heute offener dafür, die Serendipität auch zu belohnen, betont Nassehi. Wichtig sei, das Unerwartete wenn schon "nicht erwarten zu können, so doch wenigstens aufnehmen zu können“.

Welche Rolle spielt der Zufall in unserer Gesellschaft?

Zufälle meinen es natürlich nicht immer gut mit uns. Gerade individuelle Ungleichheiten gehen laut dem Soziologen Armin Nassehi oft auf Zufälle zurück. Er kritisiert die Vorstellung einer ursprünglichen Gleichheit: „Wir stellen uns gerne – das ist eine sehr moderne Idee – den Menschen als Tabula Rasa vor. Und dann trifft der auf eine Gesellschaft und wird dann, zufällig natürlich, in ungleiche Schichten geboren oder bekommt ungleiche Chancen im Leben.“
Dabei spielen ihm zufolge aber zufällige Unterschiede zwischen Menschen – in Intelligenz, Fähigkeiten, Talenten – von Anfang an eine große Rolle: „Es gibt eine genetische Ungleichheit. Es gibt die Zufälligkeit der Existenz.“
Reaktion auf wahrgenommene Ungleichheit
Die moderne Vorstellung, dass eine gerechte Gesellschaft für eine gewisse Gleichheit sorgen muss, habe sich als Reaktion auf die wahrgenommene Ungleichheit entwickelt: „Die ganze Gleichheitssemantik der Moderne stößt ja nicht auf Gleichheit, weil alles gleich ist. Sondern sie stößt auf das Gleichheitsversprechen, weil man überall ungleiche Verhältnisse wahrnimmt.“

Wie kann ich Serendipität in meinem Leben nutzen?

Christian Busch, Ökonom an der New York University, ist sich sicher, dass wir den Zufall für uns nutzen können. Busch empfiehlt beispielsweise, bei einem Gespräch über die Arbeit möglichst ausführlich auf die Frage zu antworten, was man beruflich macht – denn so bekommt der Gesprächspartner mehr potenzielle Anknüpfungspunkte.
Erzählt man neben der Jobbeschreibung auch noch von einem Buch, das man gerade liest und einem Hobby, sind die Chancen besser, dass der Gesprächspartner zufällig das gleiche Buch gelesen hat oder auch Tennis spielt. „Der Punkt ist, dass wir die Wahrscheinlichkeit erhöhen können, dass wir solche positiven Zufälle haben, wenn wir mehr Punkte in die Welt setzen“, sagt der Zufallsforscher.
Starker Fokus auf negative Überraschungen
Busch sieht einen zu starken Fokus auf negative Überraschungen – bei gleichzeitigem Vernachlässigen der glücklichen Zufälle des Lebens: „Das negativ Unerwartete haben wir oftmals mit drin. Wir gehen über die grüne Ampel, aber gucken trotzdem noch links und rechts, ob ein Auto rüberfahren könnte.“
Wer voller Angst auf das Leben blicke, der verliere aber irgendwann die spontane Offenheit für Neues, die es braucht, um Serendipität zu entwickeln und auszuschöpfen. Er plädiert darum dafür, das „positiv Unerwartete ein bisschen mehr in unser Leben aufzunehmen“.
Kein Plan, sondern Zufall
Zudem hat er festgestellt, dass wir Geschichten zufälliger Entdeckungen und Entwicklungen oft rückblickend rationalisieren. Aus dem Zufallsfund wird dann der lang gehegte Plan: „Leute tun immer so als ob etwas geplant war - man hatte den tollsten Plan, aber oftmals kam das aus Zufällen“, hat Busch beobachtet - und fordert einen ehrlicheren Umgang mit Geschichten des zufälligen Glücks.
Quellen: nbs, dlf
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