Ein verzweifelter Solitär
Schon früh verlor sich Lucien Ginsburg, so sein bürgerlicher Name, in die Künste - erst Malerei, dann die Musik. Er verfasste 550 Chansons. Die Medien kannten ihn jedoch auch als Zyniker, Exzentriker und Nonkonformisten - heute vor 25 Jahren starb der Chansonnier.
Paris, 1921.
Sie haben alles hinter sich gelassen, um ein neues Leben zu beginnen. Joseph und Olia Ginsburg, russisch-jüdische Emigranten, er 25, sie 27 Jahre alt. Am 2. April 1928 kommt ihr Sohn Lucien zur Welt. Aus ihm wird später einer der großen französischen Chansonniers: Serge Gainsbourg. Im Mai 1940 dringen die Armeen des Dritten Reichs in Frankreich ein. Seit Jahren hatten die Ginsburgs einen wachsenden Antisemitismus verspürt; bald sieht man Schilder an den Fenstern der Cafés: "Dieses Lokal ist für Israeliten verboten." Jüdische Musiker dürfen nicht mehr in den Cabarets spielen, Journalisten nicht mehr publizieren und Maler in Galerien nicht mehr ausstellen.
"Ich war ganz schön arrogant. Mein Davidstern musste schön glatt und sauber sein. Dann kam die Miliz, wir mussten abhauen. Meine Schwestern wurden in eine christliche Schule geschickt und ich in die Provinz."
Als Kind musste er den "gelben Stern" tragen
Mit viel Klugheit und Umsicht gelingt es der Familie Ginsburg zu überleben. Lebenslänglich wird sich Serge daran erinnern, dass er einmal den "Yellow Star", den Davidstern tragen musste. Und wie die Bomben gefallen sind. Als 15-Jähriger muss der schüchterne Junge viele Monate getrennt von der Familie in einem Versteck zubringen. In dieser Zeit entdeckt der traumatisierte Lucien seine Passion fürs Zeichnen.
Gefühltes Glück - die Malerei
"Die Malerei hat mich geprägt. Wenn ich malte, war ich ausgeglichen. Das Chanson und der Erfolg haben mich irritiert. Glücklich war ich, wenn ich malte."
76.000 französische Juden verschwinden in jener dunklen Zeit – zwischen Exekutionen und Deportationen. Kurz vor seinem 17. Geburtstag bricht Lucien die Schule ab und besucht eine Malklasse in Montmartre. Er spielt Gitarre, liest viel und wird Kettenraucher.
"Je jouais la gitarre."
Am Klavier entstehen, ermutigt durch den Vater, die ersten Chansons. Malerei? Eine brotlose Kunst! Musiker soll Lucien werden. So tauscht er die für ihn "höhere" gegen die "niedere" Kunst des Chansons ein.
Ein verzweifelter Solitär, der nicht ohne Musik leben kann
Lucien Ginsburg begeistert sich für den Jazz. Er erlebt Billie Holiday live und ist überwältigt. Der ziemlich hässliche junge Dandy mit den großen abstehenden Ohren und der langen Nase fühlt sich magisch angezogen von den schönen Frauen von Paris, vom Luxus und von der Eleganz.
"Süchtig war ich. Aber Drogen hab' ich nie angefasst, weiche ja, harte nicht. 'N Gläschen, das gab mir die Kühnheit. In der Horizontalen bin ich sehr schüchtern. Heldentaten wollte ich vollbringen, ein Meister werden."
Ab 1963 stürzt Serge sich vom Jazz in Pop und Rock – um, wie er sagt, "nicht zu krepieren". Gainsbourg arbeitet erfinderisch mit der französischen Alltagssprache. Ein Dandy und Snob, der mit der Zeit geht und musikalisch alles aufsaugen kann, wie ein großer Schwamm.
Gainsbourg sagt öffentlich Dinge, die sich niemand zu sagen traut. Aus dem genialen Verfasser von über 550 Chansons wird ein fast ständig betrunkener Zyniker, ein verzweifelter Solitär – am Ende ungefähr so witzig wie der Clochard am Kiosk um die Ecke, der alle zum Lachen bringen will.
Serge Gainsbourg stirbt kurz vor seinem 63. Geburtstag am 2. März 1991 an einem Herzinfarkt.