Der mafiöse Kapitalismus der DDR
Die Autoren Anna und Jörg Winger erzählen von den absurden Momenten ihrer Recherche über die DDR-Auslandsgeheimdienstaktivitäten: Für ihre TV-Serie "Deutschland 86" haben sie die versteckte Geschichten hinter der offiziellen Historie ausgegraben.
Susanne Burg: Wenn es in den letzten Jahren so etwas wie einen internationalen Hype für eine deutsche Serienproduktion gab, dann waren das die Reaktionen auf "Deutschland 83". Himmlische Rezensionen gab es in den Zeitungen, von der "New York Times" bis zum "Guardian". Auch die Quoten waren international so gut, dass es nun eine zweite Staffel gibt – "Deutschland 86" heißt sie. In der begegnen wir dem ostdeutschen Spion Martin Rauch wieder, drei Jahre, nachdem er in die BRD eingeschleust wurde, aber diesmal sehen wir Martin und seine Tante Lenora im Auftrag des DDR-Auslandsgeheimdienstes in Kapstadt.
Patrick Wellinski: "Deutschland 86" ist derzeit beim Streaming-Anbieter Amazon Prime Video zu sehen, und die beiden Schöpfer der Serie sind Anna und Jörg Winger, und beide sind bei uns im Studio. Herzlich willkommen! Hallo!
Anna Winger: Hallo!
Jörg Winger: Hallo, vielen Dank!
Jörg Winger: Hallo, vielen Dank!
Wellinski: Als "Deutschland 83" fertig war, war ja noch nicht klar, dass es eine nächste Staffel geben wird. Dann kam dieser große internationale Erfolg. Wie haben Sie denn den Druck empfunden, jetzt nun diese Serie weiterzuentwickeln?
Anna Winger: Wir wollten eine neue Staffel entwickeln, die alleinstehen konnte, aber auch eine Weiterentwicklung von "83". Also es war nicht schwierig, das zu entwickeln. Wir waren total inspiriert von dieser Zeit. Wir fanden es ganz interessant.
Burg: Die zweite Staffel spielt jetzt zu großen Teilen in Südafrika. Warum haben Sie sich dagegen entschieden, sie weiterhin in Deutschland spielen zu lassen? Vielleicht auch, um das internationale Publikum mehr zu befriedigen?
Die DDR hat Waffen, Kunst, Patienten zu Geld gemacht
Jörg Winger: Es ging nicht darum, dass wir uns jetzt an ein anderes Publikum wenden. Wir haben eigentlich immer versucht, die beste Version unserer Geschichte zu erzählen, und die HVA war ja kein Geheimdienst, der seine Tätigkeiten auf Westdeutschland beschränkt hätte. Also die waren international, weltweit sehr gut aufgestellt und zählten damals zu den besten Geheimdiensten der Welt und haben demnach auch global operiert. Und das wollten wir gerne aufnehmen.
Wellinski: Wie haben Sie denn dahingehend überhaupt recherchiert?
Anna Winger: Wir haben viele Bücher gelesen, natürlich, aber was gut ist von 80er-Jahren: Es ist lebendige Geschichte, die Leute leben noch. Man kann natürlich viele Fragen direkt an Leute stellen, und wir kriegen viel Inspiration und Auskunft direkt von Leuten, die das erlebt haben.
Burg: Trotzdem: Wenn man jetzt filmisch herangeht, sind die großen filmischen Protagonisten ja KGB und CIA. Inwieweit muss man sich jetzt lösen von den filmischen Konflikten, die von anderen Filmen und Serien schon erzählt wurden wie in James Bond?
Anna Winger: Also eigentlich: Die andere Serien oder andere Geschichten über die gleiche Zeit sind ganz anders. Wir sehen die Welt durch DDR-gefärbte Brillen, und ich glaube, unsere Perspektive an Weltpolitik und alles, was 86 passiert, ist ganz anders.
Jörg Winger: Wir gucken wenig nach links oder rechts. Also wir schauen eigentlich weniger auf andere Filme im Genre oder Serien, sondern wir gucken eher auf die Welt damals und was uns interessiert, welche Figuren, welche Geschichten, und wir sind ziemlich früh darauf gekommen, dass die Headline für "Deutschland 86" sein wird, wie der Kommunismus versuchte, sich mit mafiösem Kapitalismus zu retten. Daran hängen sich eigentlich alle unsere Missionen auf. Also die DDR hat damals versucht, und gerade die HVA im Zusammenspiel mit der KoKo, Waffen, Kunst, Patienten, Häftlinge, alles Mögliche zu Geld zu machen, einfach im Versuch, die eigene Haut zu retten.
Anna Winger: Harte Devisen.
Jörg Winger: Harte Devisen um jeden Preis.
Rettung des maroden Landes mit einem Traumschiff
Wellinski: Die finanzielle Lage der DDR ist ja auch noch der andere Handlungsstrang, der quasi neben dem Agentenplot miterzählt wird in dieser zweiten Staffel, und da wird es ja auch zum Teil schon absurd: Der DDR droht der Staatsbankrott, und wir sehen die Apparatschiks, die versuchen, sich irgendwie zu retten und auf sehr lustige Ideenkommen: Unter anderem will man das ZDF-Traumschiff kaufen.
Jörg Winger: Das ist tatsächlich zumindest eine Überlegung gewesen in der Zeit. Das sind genau die absurden Momente, die Anna und mich eigentlich dann begeistern und die es uns erlauben, die versteckte Geschichte hinter der offiziellen Geschichtsschreibung zu erzählen. In der "Zeit" gab es einen tollen Artikel dazu, wie Schalck-Golodkowski und andere versucht haben, das ZDF-Traumschiff zu kaufen, um die verdienten Arbeiter auf See zu schicken – wie Sylvester Groth bei uns immer so gerne sagt: "ohne Landgang".
Burg: Die versteckte Geschichte hinter der offiziellen – das ist natürlich total attraktiv und klingt total spannend. Welche Aspekte waren Ihnen da noch wichtig?
Anna Winger: Für uns war es immer ganz interessant, dass nach dem Mauerfall das Ende der Apartheid kam, und wir waren neugierig, welche Verbindung es zwischen diesen beiden Events gab. Deswegen haben wir viel gelesen über die Beziehung zwischen der Sowjetunion und seinem Partner in Südafrika, dem ANC. Und zu dieser Frage haben wir viel rausgefunden, was wir ganz faszinierend fanden. Zum Beispiel wurden tausend Leute des MK – das war die Army von Nelson Mandela – in Rostock trainiert wurden. Also es gab diese Beziehungen. Wir fanden das ganz interessant. Das ist eine Perspektive der DDR-Geschichte, die man vielleicht nicht so oft hört. Wir wollten das weiter entdecken.
Jörg Winger: Was Anna gerade sagt, das ist genau so ein Element. Wir haben das Gefühl, dass der Kalte Krieg mittlerweile oft schon fast romantisiert wird als eine einfache Zeit – Schwarz und Weiß, Gut und Böse, hier die Kapitalisten und da die Kommunisten, da die Diktatoren und, hier die Demokratie –erzählt wird. Aber je tiefer man eindringt desto mehr stellt man fest, dass es damals äußerst komplex war. Also, was heute bei den Forschern die Tunnel und Fenster des Kalten Krieges genannt wird, das ist so das Gebiet, auf dem wir uns wohlfühlen.
Wellinski: Das Spannende an der zweiten Staffel von "Deutschland" jetzt "86" ist auch so ein gewisser Tonlagenwechsel. Kommt natürlich auch dadurch zustande, dass man auch Deutschland verlassen hat, aber ich wollte fragen, die erste Staffel, die hatte ja dieses Moment, wird er aufgedeckt oder nicht, schafft er es oder nicht. Das hatte auch so eine gewisse kammerspielartige Idee dahinter. Jetzt hat man das Gefühl, in dem Moment, wo man sich auf die Welt öffnet, auf Südafrika, wird das Ganze schneller und auch actionreicher. War das Ihnen auch wichtig, jetzt in der zweiten Staffel auch die Action, sagen wir mal, zu betonen und dadurch auch eine Rasanz zu entwickeln, die die Folgen durchaus haben?
Jörg Winger: Gerade diese actionreiche Episode, auf die Sie wahrscheinlich anspielen, ist ein ganz wichtiger Punkt in der Reise für unsere Hauptfigur, für Jonas Nay, der in der ersten Staffel die Welt retten durfte vor einer nuklearen Katastrophe und in der zweiten Staffel eigentlich gar nicht mehr weiß, wen er retten soll, weil es alles smoke and mirrors sind, also es ist eine unglaublich komplizierte Lage. Er weiß nicht mehr, für wen er arbeitet, für welche Werte er dort unterwegs ist, und diese Erfahrung von Angola bringt ihn eigentlich auf die Idee, aussteigen zu wollen, was dann natürlich auch nicht klappt.
"Deutschland 83" und der erste Writers' Room
Wellinski: Wir haben uns zur Vorbereitung noch 'mal die Rezensionen und die Berichterstattung zur ersten Staffel angesehen, und das Spannende war ja auch, dass "Deutschland 83" immer zusammengedacht worden ist mit: Jetzt machen wir Serien, so wie's die Amerikaner machen, so richtig mit Headautorinnen – in dem Fall waren das Sie – und auch einem Writers' Room. Ich glaube, das war das erste mal,...
Anna Winger: Genau.
Wellinski: ...dass dieser Begriff auf eine deutsche Serie angewandt worden ist. Und damals haben Sie auch erzählt, dass es gar nicht so leicht war, diese Strukturen zu etablieren in Deutschland. War es desnn jetzt wesentlich leichter bei der zweiten Staffel mit Writers' Room?
Anna Winger: Es ist nie leicht. Also der ganze Prozess ist natürlich kompliziert. Darum: Es war nicht leichter, aber es hat gut geklappt. Wir sind ambitiös mit unserem Prozess. Wir wollten es hier weiterentwickeln. Wir wollten hier bleiben. Niemand soll nach Amerika fahren, um gutes Fernsehen zu machen. Also warum. Ich bin natürlich Amerikanerin, aber ich wohne in Kreuzberg ganz gerne. Also wir versuchen, alles hier aufzubauen, und ich glaube, bei "86" hat das sehr gut geklappt.
Burg: Uns hat ein Drehbuchautor, der auch Serien schreibt, gesagt, dass er findet, Deutschland sei ein sehr hierarchisch… also in den Köpfen der Autoren sei ein sehr hierarchisches System auch etabliert, dass es einen Chef gibt und Untergebene, dass es nicht sowas Kollaboratives hat wie in den USA der Writers‘ Room.
Anna Winger: Ja.
Burg: Ist das auch etwas, mit dem Sie zu kämpfen hatten?
Die Suche nach dem besten Arbeitsprozess
Anna Winger: Es ist so anders wie alles hier gemacht ist normalerweise. Man kann es nicht vergleichen. Also ich meine, unter uns, also in unserem Writers' Room, ist es sehr kollaborativ, aber im Endeffekt muss jemand alles so umschreiben, dass es in die gleiche Stimme kommt. Aber es ist freundlich. Also der ganze Prozess ist ganz kollaborativ. Ich glaube: Man baut alles auf zusammen, und es macht Spaß als Gruppe, aber es ist keine …
Jörg Winger: .. keine Kommune.
Anna Winger: ...keine Kommune. Es ist eine benevolent dictatorship, so funktioniert das. Im Endeffekt bin ich verantwortlich für die Drehbücher.
Jörg Winger: Ich würde auch gerne den Eindruck des Autors entgegensetzen: Die Writers' Rooms in Amerika sind extrem hierarchisch. Es gibt immer letztendlich den oder die Creator oder Showrunner, die dann zum Schluss – oder den Headwriter oder die Headwriterin – den Hut aufhat. Es ist auch wahr, dass jeder Writers' Room anders ist. Das hängt sehr von der Persönlichkeit der Showrunner ab. Es gibt in Deutschland den Wunsch, dieses eine Modell zu entdecken und damit dann den Schlüssel zum Erfolg zu haben. Aber das wird nicht passieren, denn man muss, glaube ich, für jede Serie, für jedes Team von Menschen mit ihren Persönlichkeiten und ihren Bedürfnissen und Stärken und Schwächen, spezielle Lösungen finden.
Anna Winger: Es gibt keinen Schlüssel, aber normalerweise gibt es in Deutschland keinen Writers' Room. Es gibt ein anderes Problem in Deutschland: Die Autoren sind sehr fern, zu weit weg vom Produktionserlebnis. Eigentlich müssten der Autor oder die Autorin – so wie ich – auch Produzenten sein und mitmachen. Traditionelles Fernsehen in Deutschland ist anders gemacht. Non-writing producers sind Produzenten. Und dann bleibt der Autor im Pyjama irgendwo und schickt sein Drehbuch, und dann nimmt der Regisseur das alles rüber und macht sein Ding. Es ist mehr wie Factory-Arbeit, und ich glaube, was wir machen, ist mehr eine Gesamtarbeit. Das ist vielleicht der größte Unterschied. Wie es läuft unter uns, und das ist natürlich eine Frage von Persönlichkeit.
Burg: Das war ja auch eine der Forderungen, die von Drehbuchautoren von deutscher Seite jetzt auch erhoben wurde in dem Kontrakt 18, mehr mitbeteiligt zu sein am Produktionsprozess.
Anna Winger: Genau. Ganz wichtig der Kontrakt 18.
Wellinski: "Deutschland 86", derzeit zu sehen auf Amazon Prime Video. Bei uns zu Gast war das kreative Duo unter dem Serienerfolg, Anna und Jörg Winger. Vielen Dank für den Besuch!
Jörg Winger: Herzlichen Dank!
Anna Winger: Vielen Dank!
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