Der Schreibtischboy – ein Ordnungssystem fürs Museum
05:49 Minuten
Selbst die Ordnung untersteht Moden - etwa das Sortiersystem auf dem Schreibtisch. Und zwar hilft hier der "Schreibtischboy". Marietta Schwarz hat hat das Geheimnis dieses "Hidden Champion" ergründet.
Es gibt Dinge, die man jahrelang anstarrt, ohne dass sie etwas auslösen in einem. So ging es mir mit diesem Schreibtischboy. An vielen Arbeitsplätzen steht er in schwarz herum, meist links vom Bildschirm. Aus den hohen Köchern schaut ein Scherengriff heraus oder ein abgebrochener Bleistift, lange nicht benutzt.
"Ein Textmarker, und unten die kleinen Büroklammern, Und was ist da noch drin? Achso, Zucker für den Kaffee im Büro mittags. Super!"
Ich halte dieses Utensil meinen Kollegen vor die Nase. Und alle – zumindest die aus dem Westen – reagieren so wie ich:
- "Kenn ich noch von früher"
- "Hatte ich auch."
- "Farbe?"
- "Orange!"
- "Knallorange!"
- "Das hatte ich in Orange. Das hat einem so das Gefühl gegeben, dass man die Dinge im Griff hat. Das Gefühl hat sich dann aber zunehmend aufgelöst."
- "Hatte ich auch."
- "Farbe?"
- "Orange!"
- "Knallorange!"
- "Das hatte ich in Orange. Das hat einem so das Gefühl gegeben, dass man die Dinge im Griff hat. Das Gefühl hat sich dann aber zunehmend aufgelöst."
Bestseller Schreibtischboy
Die Ostkollegen lachen und sagen: "Ham wer im Werkunterricht selbst gebastelt!" Und ich überlege kurz, ob es dreißig Jahre nach dem Mauerfall überhaupt noch zulässig ist, ein Fünftel der Deutschen aus diesem Nostalgie-Moment auszuschließen. Aber: Es geht nicht nur um Nostalgie.
Die Firma Metzger & Mendle aus Fischach nahe Augsburg brachte den "Schreibtischboy" 1975 auf den Markt. Schon ein Jahr später wurde er über eine Million Mal verkauft. Eine feine Sache für das Unternehmen. Ein neues Zeitalter hatte begonnen – und zwar sichtbar!
"Das Ding ist damals zeitgemäß gewesen. In dem ganzen Kontext Popart, Kunststoff-Begeisterung, es ist leicht, mobil, es vereinfacht", sagt Angelika Nollert am Telefon. Sie ist die Direktorin der Neuen Sammlung in München, eines der größten Designarchive weltweit. Und sie möchte den Schreibtischboy auf meine Anfrage hin sogar in ihre Sammlung aufnehmen!
Vor allem in der Masse – etwa in einem Großraumbüro, sagt sie – komme die fröhliche Wirkung des Schreibtischboys so richtig zum Ausdruck, zumal wenn man bedenke, das er damals Stiftablagen aus Marmor, Glas und Eisen ablöste.
"Und dann gibt es ja noch diese Ablagehöhen, die so orgelpfeifenmäßig abgewickelt werden, und dann natürlich für kurze und lange Stifte Platz ist."
Aber wenn man in dieser hohen Orgelpfeife was versenkt, zum Beispiel einen Spitzer, dann verschwindet der für alle Zeiten! Von daher finde ich das Ding nur mittel funktional!
"Ja, also ich will das gar nicht bestreiten: Spitzer in der hohen Orgelpfeife, der ist dann versenkt, d'accord", stimmt Nollert zu: "Aber der gehört da ja auch eigentlich nicht rein!" Wie lachen beide.
Ein Versprechen, verkauft für 3,50 Euro
Ich denke an die brüchigen Gummiringe, die Reißzwecken, den eingetrockneten Pritt-Stift. Bürokram, der im Schreibtischboy aufbewahrt wird, funktioniert nicht mehr. Und was sagte die Kollegin noch?
"Pfffff, überall bleibt der Staub hängen. Das ist irgendwie eklig, ich fand das immer ranzig, das Ding."
Ordnung auf dem Schreibtisch in einem System aus bunten Kunststoffröhren: Für mich ist das nicht mehr als ein hohles Versprechen. Eines, das sich seit über vierzig Jahren anscheinend sehr gut verkauft, für ungefähr 3 Euro 50. Aber als Designobjekt aus Kunststoff? Nicht ganz überzeugend. Was auch am Prinzip der Addition liegen mag. Materialgerecht wäre ja eher eine gegossene, eine amorphe Form.
Ich frage Nollert: "Und warum ist das überhaupt ein Boy und nicht ein Girl?"
Nollert sagt, sie habe sich das auch überlegt: "Ich hatte eher die Assoziation Hotelboy, Liftboy, dieser Page, der Diener. Ein Schreibtischdiener."
"Sehr geehrte Damen und Herren, folgende Fragen:
Von wem stammte die Idee/Entwurf?
Und hat die Gestaltung gegebenenfalls etwas mit produktionstechnischen Fragen zu tun?
Und ist der Stifteboy bis heute das Schreittischutensil Nr. 1?
Vielen Dank und herzliche Grüße..."
Konkurrenzprodukt Butler
Meine Fragen an die Firma Metzger & Mendle bleiben leider unbeantwortet. Stattdessen stoße ich auf einen identischen Stiftehalter aus Metall. Der hieß: BUTLER und wurde von der Silberwarenfabrik Deyhle in Schwäbisch Gmünd hergestellt. Zum Beweis schickt mir das Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd einen historischen Prospekt:
"Die Butler von Deyhle sind die kleinen Ordnungshüter auf dem gepflegten Tisch. Eine runde Sache. Erhältlich in vielen Ausführungen."
Es gibt "Blütenbutler" als Blumenvase, "ash-butler" als Aschenbecher und Party-Butler für die Erdnüsschen. Und natürlich den "maxi-butler", die 1:1 Vorlage des Schreibtischboys. Und ehrlich gesagt: aus Metall macht diese Form auch viel mehr Sinn als aus Kunststoff.
Leider existiert die Firma Deyhle seit Anfang der 00er Jahre nicht mehr. Zu gern hätte ich gewusst, wer hier von wem was abgeschaut hat.