Kettensäge, Eisblock, Cocktails
04:57 Minuten
Eiswürfel sind nicht nur einfach gefrorenes Wasser, nein, als gestalterisches Element von Drinks kommt ihnen besondere Bedeutung zu. Und auf die Form kommt es an. Und für die richtig gute Form kommt die Kettensäge zum Einsatz.
Also, nicht dass hier ein falscher Eindruck entsteht: Ich trinke nicht oft Cocktails. Aber bei meinen Barbesuchen ist mir aufgefallen, dass die Eiswürfel immer größer werden. Sie werden größer und sie werden klarer, zum Beispiel hier, in der Velvet-Bar in Berlin. Barkeeper Ruben Neideck empfiehlt die "Preiselbeere":
"Ein schön herber Drink auf Basis von Cachaça und selbstgemachtem Preiselbeerlikör und etwas unreifem Traubensaft, der kommt auf so 'nem fetten Eiswürfel, ist schön klar und rot."
Fünf Zentimeter Kantenlänge misst der Eiswürfel – und ragt einen Hauch aus dem roten Drink heraus.
"Was natürlich auch ganz schön ist: Ich hab hier 'ne riesen Oberfläche drauf, ich kann da alles Mögliche drauflegen."
Eine Blüte zum Beispiel, ein Basilikum-Blatt oder ein Stück Schokolade. So wird aus einem Cocktail ein Design-Objekt. Instagrammable.
Ein Eiswürfel für 70 Cent
Ruben kennt den Vorwurf, der jetzt gleich kommt: Man füllt die Cocktailgläser mit möglichst viel Eis, damit man sich die teuren Ingredienzien spart. Ein typisch spätkapitalistisches Phänomen!
Er schüttelt den Kopf. Erstens: So ein Eiswürfel kostet ihn 70 Cent, also ungefähr so viel wie ein Schnaps. Und zweitens: Es geht um Physik.
"Die Oberfläche ist gemessen am Volumen des Eiswürfels sehr klein, d.h. der Drink wird zwar stark gekühlt durch den Eiswürfel, aber nicht sehr stark verwässert."
Das A zu V Verhältnis: Volumen zu Oberfläche – idealerweise müsste der Eiswürfel eine Kugel sein, aber darauf kann man nix ablegen.
Ein denkbar schlechtes A zu V Verhältnis haben übrigens auch lustige Einhorn-, Gebiss- oder Flipper-Eiswürfel, wie sie heutzutage in Silikonformen angeboten werden: Wie Crushed Ice schmelzen sie schnell und nehmen dem Drink das Aroma. Und wirklich instagrammable ist so ein Flippereiswürfel ja auch nicht. Deshalb zurück zum minimalistischen Würfel: Wie wird der jetzt so klar?
150 Kilogramm schwerer Eisblock
Besuch bei der "Eisfabrik" von Sebastian Ebenberger und Sezgin Albayrak. Die beiden empfangen mich mit einer Kettensäge in der Hand und einem sehr großen Eisblock: 150 Kilogramm schwer.
Der Block wird zunächst in 5 cm dicke Scheiben gesägt, und die werden dann nochmal durch eine Knochenbandsäge geschoben. Wie beim Schreiner, nur eben sehr kalt.
Sebastian und Sezgin kommen ursprünglich aus dem Gastronomie- und Kunstbereich. Jetzt produzieren sie qualitativ hochwertige Eiswürfel. Die Veränderung des Aggregatzustands – Wasser wird Eis – hört sich nach einem Wahnsinnsgeschäft an: Wasser ist billig, ein Eiswürfel für 70 Cent hingegen ist ziemlich teuer. Ich hab's ausgerechnet: Die Preissteigerung liegt bei 3000 Prozent! Die beiden lachen. Komm mal mit!
"Hier das ist unsere Eisblockmaschine."
Langsam, Lage für Lage, gefroren
Zwei Becken – wie leere Spülbecken, nur viel größer. Darin wird das Eis langsam, Lage für Lage, gefroren. Enormer Energieaufwand.
"Ah hier sind ja auch Markierungen – Zentimeterweise, denn das wächst ja nicht in einem Tag. 4-5 Tage braucht ein Eisblock, der 1m lang ist, 50 cm breit und 25cm tief ist.
Sebastian: "Das Wasser muss in Bewegung gehalten werden durch diese Pumpen, und dadurch bildet sich das Eis langsam von unten nach oben."
Und wenn der Block dann fertig ist, wird er mit einem Kran aus dem Becken gehoben.
Sezgin: "Wir haben immer Angst, dass es zerbricht, ja dass es fällt, wenn mal etwas schief läuft, kann man sich ganz doll verletzen."
Reich werden kann man damit nicht, sagen die beiden. Es geht ihnen um die Bar-Kultur. Weg von den 90er-Jahre-Drinks mit Schirmchen und kegelförmigen Eiswürfeln, die unten ein Loch haben. Im Fachjargon heißen die übrigens "Pinguinkondome" und auch ihr A zu V Verhältnis ist schlecht.
Der gute Eiswürfel ist möglichst formecht und möglichst voll.
(abu)
Sie hören eine Wiederholung vom 19.02.2019.
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