Serie "Gestalten!": Industrielampen

Sehnsucht nach rauer Schlichtheit

Alte oder auf alte gemachte Industrielampen sind auch in Wohnungen immer häufiger als Accessoire anzutreffen.
Alte oder auf alt gemachte Industrielampen sind in Wohnungen immer beliebter. © Nonki Azariah/Unsplash
Von Matthias Finger |
In Burger-Läden und auch in Wohnungen sind Industrielampen seit einiger Zeit als Wohnaccessoire schwer angesagt. Je älter und verbeulter, desto besser. Vielleicht steckt dahinter ja mehr als nur ein hipper Einrichtungsgegenstand.
Die Industrieleuchte kam – der Name legt es nahe – mit dem Industrial Style zu uns. Auf einmal waren keine glatten futuristischen Einrichtungsentwürfe mehr angesagt, sondern roher Beton, Metallschränke, Holzpaletten und – Industrielampen. Produktentwickler Thorsten Stephan verkauft seine Kreationen auf Deparso.de.

"Industrielampe heißt eigentlich immer: Ich komme von innen nach außen. Ich habe erst mal nur ein Leuchtmittel und ein Bedürfnis von Licht irgendwo in einem Raum. Aber es ist immer auf das Wesentliche beschränkt. Das macht den Unterschied von so einer Industrielampe zu einer Wohnraumleuchte. Die soll nur das Wesentliche können, was sie machen muss."

Absolute Funktionalität

Und das ist: Leuchten. Mehr als Schirm, Fassung und Kabel braucht keine Industrielampe – absolut funktional. Unnötige Schnörkel verursachen nur Kosten – für die Industrie.

"Bei dieser totalen Überfrachtung von Informationen und dieser ganzen Multifunktionalität von allem was uns umgibt, ist das einfach auch mal schön, wenn man sich ein Objekt anschaut, was total simpel ist. Und ich glaube auch, dass das die Faszination von den Industrieleuchten im Moment ausmacht. Die haben so was Schönes, Einfaches."
Trendige Burgerrestaurants und Cafés schmücken sich gerne mit Industrielampen.
Trendige Burgerrestaurants und Cafés schmücken sich gerne mit Industrielampen.© Redd Angelo/Unsplash

Industrielampen stehen für schicke Lofts

Industrieleuchten sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sogar Nordsee und McDonalds hängen sie mittlerweile gern auf. Besonders gut passen die Leuchten jedoch in Fabriketagen.

"Das ist ein Traum vorm urbanen Menschen. Und die Lofts sind teuer und ausverkauft. Und man transferiert quasi diesen Traum vom Loft: In seine vielleicht auch nur Zwei-Zimmer-Wohnung holt man sich so ne Lampe. Und das ist dann der Traum vom großen Glück: Loft."

…meint Olaf Tiedje. Er richtet Immobilien für den Verkauf her: Die großen Lampen aus Metall funktionieren gut mit weichen Accessoires und Möbeln - beispielsweise im Kontrast zur aktuellen Trendfarbe Gelb. Der Präfix "Industrie" verspricht zudem robuste Qualität und Wertigkeit. Der Innenarchitekt Andrin Schweizer sagt über Industrielampen in der Süddeutschen:

Sprecher: "Unsere Gesellschaft ist süchtig nach Geschichten und Erlebnissen. Vor allem kommerzielle Räume werden heute stark inszeniert und folgen einem präzisen Storytelling."

Die Verklärung einer Epoche

Industrieleuchten lösten sofort starke Gefühle aus, meint Schweizer. Im Übergang zur digitalen Gesellschaft würden wir das Design der industriellen Epoche verklären, und uns das Menschsein damals idyllisch vorstellen.

(Sprecher): "Wir umgeben uns momentan offenbar lieber mit Zitaten, die wir leicht - und sei es ironisch - einordnen können, statt uns mit Neuem, Unvertrautem auseinanderzusetzen."

Ein reflexhafter Rückgriff auf die gute alte Zeit. Moderne Industrielampen - aus Plastik und flächigen LEDs, die unscheinbar an den Decken der Werkhallen kleben - eignen sich weniger. Angesagte Industrielampen müssen mindestens so aussehen, als entstammten sie dem Zeitalter der frühen Industriellen Revolution. Thorsten Stephan von Deparso.de lässt seine Industrieleuchten auf alten Maschinen herstellen – beispielsweise mit Lampenschirmen aus unlackiertem Kupfer:

"Der wird irgendwann anlaufen und eine Patina kriegen. Grünspan nennt man das, wo dann plötzlich Fingerabdrücke sichtbar werden, das dann nachdunkelt und in Würde altert. Das passt für mich zu diesem Thema Industrieleuchten eigentlich sehr schön."

Kein Makel, sondern Gütesiegel

Beulen und rostige Stellen sind heute kein Makel mehr, sondern ein Gütesiegel der Provenienz. Einige Hersteller erzeugen Beschädigungen mittlerweile auch bewusst, ähnlich dem Bleichen und Durchlöchern von Ripped-Jeans für den Verkauf. Mit unserem Drang nach Authentizität holen wir uns dann ein Stück Geschichte ins Haus, die es so vielleicht gar nicht gibt.
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