Was wir von Japan lernen können
Vollautomatisierte Sushi-Diner. Züge, die niemals Verspätung haben. Oder Bettwäsche, die sich kinderleicht beziehen lässt. Marietta Schwarz hat Japan als ein in vielerlei Hinsicht perfektes Land erlebt. Wäre da nicht diese Regulierungswut ...
Am Tag meiner Abreise, frühmorgens um 5 Uhr, beschenkte mich Japan mit einem letzten feinen Detail. Ich zog die Bettwäsche ab, und mir wurde klar, warum in diesem wundersamen Land die Ecken des Federbetts nie aus den Ecken des Überzugs rutschen: Sie sind im Inneren durch kleine Klettverschlüsse verbunden.
Man kann am Umgang fremder Länder mit Bettwäsche viel lernen. In Japan etwa befindet sich häufig an der Längsseite des Überzugs ein langer Reißverschluss, was das Beziehen viel leichter macht. Oder die Bettbezüge haben ein ovales Loch in der Mitte wie bei einer Kleenex-Schachtel, auch so lässt sich das Plumeau viel leichter in seine Hülle manövrieren. Schön für das Hotel-Personal.
Es gibt wahnsinnig viel Service-Personal in Japan. Überall kommen einem lächelnde Menschen zu Hilfe, und sie tragen stets hervorragend sitzende Uniformen. Im Shinkansen, jenem Schnellzug, der niemals zu spät eintrifft, begleitet mich der Schaffner bis zum Sitzplatz. Schon rast der Zug los, ich schaue raus, den Arm auf der Fensterbank abgelegt. Das ist bequem, denn die Fensterbank ist breit und gerade, und es kommt keine kalte Luft aus den Rillen wie beim ICE. Man könnte hier sogar ein Getränk abstellen, oder japanischer: ein kleines Blumengesteck, wie man es überall, sogar auf öffentlichen WCs vorfindet.
Musik und Spielzeug für die Kinder am Bahnhof
Auch an einem Bahnhof anzukommen ist schön in Japan. Bestimmt wartet an der nächsten Ecke ein Stoffmaskottchen! Oder Malzeug und Bücher für sich langweilende Kinder. In jedem Fall aber hat jede Station ihre eigene Melodie, die zur Corporate Identity gehört. In der Tokioter Metro ist das eher ein kurzer Jingle. Aber je ländlicher die Region, desto länger, auch: desto melancholischer wird das Lied.
Vielleicht ist die Länge der Bahnhofsmusik ja ein Hinweis auf die verfügbare Zeit in Stadt und Land? Zeit ist ein wichtiger Faktor. Zeit und Organisation. Im Idealfall, so mein Eindruck, gleitet man widerstandslos durch den Alltag. Japan ist wie ein Fließband, wie eine gut geölte Maschine.
Vielleicht ist die Länge der Bahnhofsmusik ja ein Hinweis auf die verfügbare Zeit in Stadt und Land? Zeit ist ein wichtiger Faktor. Zeit und Organisation. Im Idealfall, so mein Eindruck, gleitet man widerstandslos durch den Alltag. Japan ist wie ein Fließband, wie eine gut geölte Maschine.
Einmal fuhr ich in einem Bus, in dem das Kleingeld für das Ticket auf einem Münz-Fließband Richtung große Kasse befördert wurde. Einmal, in einem traditionellen Hotel, fühlte ich mich selbst wie ein Rädchen im Getriebe: Im fensterlosen Restaurant trugen wir Gäste die gleichen Hausmäntel, wir saßen an gleichen Tischen, die gleich gedeckt waren. Das Servicepersonal in sanftem Rot schob gleiche Teewägen durch die Reihen und versorgte jeden Tisch mit den gleichen Gerichten, ein Kracauer’sches "Ornament der Masse".
Vollautomatisiertes Sushi-Diner
Infantiler, lauter und lustiger lebt diese Idee in den japanischen Sushi-Karussell-Restaurants fort – ich fand mich in einem riesigen, etwas in die Jahre gekommenen, aber vollautomatisierten Diner wieder, in dem wir die Sushi-Bestellung über einen am Tisch montierten Touchscreen eingaben. Kurze Zeit später kamen die Plastik-Tellerchen herangefahren, nicht ohne eine aufgeregte Manga-Stimme und eine Melodie, die die Lieferung ankündigten.
Alles ist im Fluss. Der Fluss gerät nur durch zwei Dinge ins Stocken. Erstens eine Begegnung von Mensch zu Mensch: Man lächelt. Man verneigt sich. Vielleicht überreicht man sich sogar ein kleines, sehr aufwändig verpacktes presento, ein Geschenk. Zweitens Warten, zum Beispiel auf ein Verkehrsmittel. Dann erklärt einem die Grafik auf dem Boden genau, wie das geschehen soll: Warteschlange 1 in grün, Warteschlange 2 in rot. Bitte nicht aus der Reihe tanzen!
Ein Land voller Verhaltensregeln
Das Land ist voller Anweisungen und Verhaltensregeln, gerne in humoristische Schilder und Piktogramme verpackt. Das nimmt dem Regulierungsdrang die Schärfe.
Niemals würde man ein Geschäft mit einem nassen Regenschirm betreten. Dazu gibt es am Eingang spezielle Spender, die Einmal-Überzieher aus Plastik bereithalten.
Ein paar Mal habe ich mich auch gefragt, warum mir im Klamottenladen vor der Umkleidekabine ein hauchdünnes handtuchgroßes Tuch gereicht wurde. Bis ich ein Hinweisschild in der Kabine sah: Bitte Tuch so über Kopf und Gesicht legen, dass keine Haut den Pullover beim Überziehen berührt. DAS schien mir tatsächlich etwas übertrieben.