Serie "Musik und Revolution": die 1970er

Songs verknüpft mit Trauma und Rassismus

05:41 Minuten
Sly Stone, Gründer der US-amerikanischen Soul- und Funkband Sly & the Family Stone, bei einem Auftritt 2007
Sly & the Family Stone schien Anfang der 1970er die Band der Zukunft zu sein. Doch der Optimismus hielt nicht lange. © imago stock&people
Von Fabian Wolff |
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Nach den hoffnungsvollen 1960er-Jahren folgten musikalisch eher depressive 70er: geprägt von der Niederschlagung der Black-Power-Bewegung. Songs der Band Sly & the Family Stone fingen die Stimmung mit am besten ein - und leben bis heute fort.
Die 70er: knallige Farben, Funkgrooves und Discoinferno. Jedenfalls denkt bei "70s vibes" wohl kaum jemand an Ölkrise, Terrorismus und Rezession. Vielleicht, weil Geschichte von den Gewinnern geschrieben wird - und Gewinner haben gute Laune.
Wer dabei war, erinnert sich anders. Der Musikkritiker Lester Bangs fasste das Jahrzehnt und seine Musik 1980 jedenfalls so zusammen: "Alles fühlt sich wie eine Niederlage an."

Platten, die einen runterziehen

Alben, die am besten die Stimmung der 70er einfangen, seien "Young Americans" von Bowie, "There's A Riot Going On" von Sly & the Family Stone, "Tonight's the Night" von Neil Young oder alles von Lou Reed.
"Das sind Platten, die einen runterziehen, die nach Unglück und Verwirrung klingen." So hätten sich die Leute auch gefühlt: "Es schien, als würde sich die Gesellschaft ihrem Ende nähern", so Bangs.

Trauriger, böser Witz

Kein Album fängt diese Stimmung so ein wie "Riot" von Sly Stone. Als es 1971 erschien, waren die Erwartungen der Fans aber andere. Sly & the Family Stone aus San Francisco schien die Band der Zukunft zu sein: Schwarze und Weiße spielten hier zusammen, Frauen neben Männern, die Botschaft war ein optimistischer Blick in die Zukunft nach den Kämpfen der Bürgerrechtsbewegung: Everybody is a Star.
Dafür stand die Band 1971. Das neue Album sollte noch optimistischer sein, so jedenfalls das Versprechen. Aber hinter den Kulissen zerfiel die Familie.
Sly Stone saß oft allein in seinem Studio, sehr high und sehr paranoid, fuchtelte mit Waffen herum und experimentierte mit Drum Machines, die seine Bandmitglieder ersetzen sollten. Dass die erste Single "Family Affair" hieß, wirkt vor diesem Hintergrund wie ein trauriger, böser Witz.
Die Single wurde ein Hit, das Album hinterließ viele Fragen. Stimmt etwas mit meinen Lautsprechern nicht oder warum sind die Texte kaum zu verstehen? Warum ist beim Titelstück nur Stille zu hören? Wann kommt der alte Sly wieder?

Tiefe und kraftvolle Musik

Der Kritiker Greil Marcus erkannte als einer der ersten die politische Depression, die aus der Musik sprach. Sly Stone verknüpfte die Songs mit Trauma und Rassismus: wie dem vom August 1970, als die Polizei in Philadelphia das Büro der Black Panthers stürmt und die Anwesenden zwingt, sich nackt auf der Straße aufzustellen. Auf "Brave & Strong" singt Sly Stone über "verängstigte Gesichter gegen die Wand".
Es wäre zu leicht, in dem Album nur den persönlichen Zerfall einer Band und ihres kreativen Kopfes zu hören. Es ist die Chronik eines angekündigten Todes, nicht unbedingt von Sly Stone selbst, sondern des radikalen Wunschs nach Freiheit und Gleichheit. Greil Marcus schreibt in "Mystery Train":
"Diese Ereignisse und Slys Haltung zu seiner eigenen Karriere berührten sich auf einmalige Weise. Dabei entstand unglaublich tiefe und kraftvolle Musik. Sly hinterfragte seine früheren Songs und unsere Liebe für sie: egal, was für ein schönes Statement 'Everybody is a Star' auch ist, vielleicht bedeutete es nichts anderes als 'jeder ist ein Opfer'."

Erst Tragödie, dann Remix

Die Krise, die Sly Stone durch- und überlebte, hat sich danach für viele schwarze Musikerinnen und Musiker wiederholt: das Hadern mit den großen Erwartungen, das Unwohlsein mit dem eigenen Publikum, spirituelle, politische und persönliche Krisen.
"There's A Riot Goin' On" ist dabei die Blaupause für Alben, die aus solchen Zusammenbrüchen entstehen können. Nicht immer sind die Emotionen und der soziale Kontext dabei so tiefschürfend. Als Donald Glover 2016 "Awaken, My Love!" aufnimmt, um Gefühlen leichter Entfremdung Ausdruck zu geben, klingt die Platte streckenweise, als bestünde sie aus Samples von Sly Stone.
Vielleicht ist das das Nachleben von "There's A Riot Goin' On": erst als Tragödie, dann als Remix.

"The revolution will not be televised", wusste schon der Musiker Gil Scott-Heron. Aber was, wenn sie schon angekündigt war - und dann nicht stattfindet? In unserer Serie "Musik und Revolution" beschäftigt sich Fabian Wolff mit gescheiterten Aufständen und abgesagten Umstürzen, mit persönlichen Krisen und sterbenden Genres.

Die fünf Folgen decken 50 Jahre Pop-Geschichte ab und kehren jeweils zum Beginn eines Jahrzehnts zurück: vom Ende der Bürgerrechtsbewegung und "There's A Riot Goin' On" von Sly & the Family Stone Anfang der 1970er bis zu Drake und Kanye West und dem Aufstieg Donald Trumps zu Beginn der 2010er Jahre.

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