Als Nacktheit für Skandale reichte
05:57 Minuten
John Lennon, Yoko Ono oder Jim Morrison testen 1969 mit nackten Plattencovern und exponiertem Gebaren auf der Bühne ihre künstlerischen Freiheiten. Heute, in Zeiten von #MeToo, wirkt die sexuelle Befreiung von damals mitunter übergriffig.
3. Januar 1969. Auf dem Flughafen von Newark beschlagnahmt die Polizei 30.000 Exemplare von John Lennon und Yoko Onos LP "Two Virgins". Begründung: Pornografisches Cover. Als pornografisch gilt: John und Yoko nackt, vorne von vorne, hinten von hinten. Lennons Kommentar:
"Es war absurd! Die Leute regten sich dermaßen auf – einfach weil zwei Leute nackt waren. Ich hatte nicht gedacht, dass es einen solchen Aufstand geben würde. Die Welt findet wahrscheinlich, dass wir ein hässliches Paar sind."
Grassierende Onophobie
Je mehr die Welt das hässliche Paar anfeindet, desto unzertrennlicher wird ihre Symbiose. Das Album "Two Virgins" ist für viele Beatles-Fans ein weiterer Nagel auf dem Sarg ihrer Lieblingsband. Anders als die anderen Frauen der Fab Four hält sich Yoko Ono nicht diskret im Hintergrund.
"Wenn ich Musik mache, sagen die Leute: Ach, sie ist bloß eine Künstlerin, und wenn ich Kunst mache, sagen die Leute, ach, sie ist bloß eine Musikerin", sagt Yoko Ono. Bis heute ist sie die meistgehasste Witwe der Popgeschichte.
Die Kritikerin Christina Mohr erklärt die grassierende Onophobie so: "Für viele Beatles-Fans ist Yoko Ono immer noch die Frau, die die Beatles auseinandergebracht hat. Die damals John Lennon verhext hat. Anders konnte sich der weiße, männliche Beatles-Fan nicht vorstellen, was John Lennon mit dieser asiatisch aussehenden Künstlerin wollte."
Jim Morrison: Anklage wegen unzüchtigen Verhaltens
"Touch me, baby", fass mich an, singt Jim Morrison. Im Februar 1969 bekommen die Doors für diesen Song eine Goldene Schallplatte. Und natürlich spielt die kalifornische Band ihren Hit auch ein paar Tage später in Florida.
1. März 1969. Der Auftritt der Doors im Dinner Key Auditorium in Miami läuft aus dem Ruder. Jim Morrison ist schwer betrunken und sucht Kontakt - zum Publikum.
"Kommt auf die Bühne und liebt meinen Arsch", brüllt Morrison in den Saal, gewissermaßen eine Konkretisierung von "Touch me". Dann macht er seinen Fans eine Liebeserklärung. Von der Liebeserklärung zur Publikumsbeschimpfung in drei Sekunden: "Ihr seid ein Haufen verdammter Idioten", ruft Morrison in den Saal. Er will Action sehen, keine Grenzen, keine Regeln, let's do it!
Dann öffnet der Sänger der Doors die Tür seiner Hose und präsentiert seinen Penis. Jetzt ist richtig Action, die Polizei stürmt die Bühne, Morrison wird festgenommen und angeklagt wegen unzüchtigen Verhaltens.
"Kommt auf die Bühne und liebt meinen Arsch", brüllt Morrison in den Saal, gewissermaßen eine Konkretisierung von "Touch me". Dann macht er seinen Fans eine Liebeserklärung. Von der Liebeserklärung zur Publikumsbeschimpfung in drei Sekunden: "Ihr seid ein Haufen verdammter Idioten", ruft Morrison in den Saal. Er will Action sehen, keine Grenzen, keine Regeln, let's do it!
Dann öffnet der Sänger der Doors die Tür seiner Hose und präsentiert seinen Penis. Jetzt ist richtig Action, die Polizei stürmt die Bühne, Morrison wird festgenommen und angeklagt wegen unzüchtigen Verhaltens.
"What we're testing down there is the issue of artistic freedom of expression." Die künstlerische Freiheit stehe auf dem Prüfstand, sagt Morrison. Verurteilt wird er trotzdem: Sechs Monate Haft und sechzig Tage gemeinnützige Arbeit. Beides bleibt dem Sänger erspart, er geht nach Paris und stirbt dort im Juli 1971. Die Umstände seines Todes mit siebenundzwanzig Jahren sind bis heute nicht ganz geklärt.
Beitrag zur sexuellen Befreiung oder Übergriff?
Die expressive Show des Jim Morrison gilt damals als Akt der Befreiung, als Beitrag zur "sexuellen Revolution". Und 50 Jahre später?
Angela Nagle hat in Dublin promoviert über "Neue antifeministische Bewegungen im Internet." Und Nagle hat ein vieldiskutiertes Buch geschrieben: "Die digitale Gegenrevolution - Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten." Darin analysiert sie die Strategien der sogenannten Alt Right und relativiert das fortschrittliche und befreiende Potential von Provokation und Tabubruch:
Angela Nagle hat in Dublin promoviert über "Neue antifeministische Bewegungen im Internet." Und Nagle hat ein vieldiskutiertes Buch geschrieben: "Die digitale Gegenrevolution - Online-Kulturkämpfe der Neuen Rechten." Darin analysiert sie die Strategien der sogenannten Alt Right und relativiert das fortschrittliche und befreiende Potential von Provokation und Tabubruch:
Kritisch sein mit dem Ideal des Tabubruchs
"Sieht man sich vor diesem Hintergrund den guten Ruf der Enthemmung in der Kunstwelt, bei Linken und bei zahlreichen Theoretikern an, ist das Phänomen der Alt-Right sehr lehrreich. Hier sieht man, wozu es eben auch führen kann, wenn Tabus keine Rolle spielen. Wir sollten sehr kritisch umgehen mit dieser 60er-Jahre-Idee der unbedingten Fortschrittlichkeit von Tabubrüchen und Impulsivität."
Wir leben in Zeiten von #MeToo und aus der heutigen Perspektive der Mittdreißigerin Angela Nagle sieht der Tabubruch von Jim Morrison ziemlich alt aus, nach 1960er-Jahre-Idee eben. Und eher übergriffig als befreiend.
Wir leben in Zeiten von #MeToo und aus der heutigen Perspektive der Mittdreißigerin Angela Nagle sieht der Tabubruch von Jim Morrison ziemlich alt aus, nach 1960er-Jahre-Idee eben. Und eher übergriffig als befreiend.