Sitcom "United States of Al"

Der weiße Retter und ein südafrikanischer Afghane

07:06 Minuten
Im Still aus "United States of Al" stehen die beiden Protagonisten in einem Wohnzimmer vor einem Sofa und stoßen mit Bier und Limonade an.
Die Sitcom "United States of Al" zeigt das gemeinsame Leben eines US-Marine und eines ehemaligen Übersetzers aus Afghanistan in Ohio. © Warner Bros. Entertainment Inc
Von Stefan Mesch |
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Awalmir war Übersetzer fürs US-Militär in Afghanistan. Nun lebt er mit einem Ex-Soldaten in Ohio. In der auf ProSieben gezeigten Sitcom „United States of Al“ wird die Geschichte seicht erzählt. Doch die Serie hat auch Potenzial.
Falls es Tausende afghanischer Ortskräfte gibt, die heute dankbar in den Garagen jener weißen Militärs wohnen, die 2001 bis 2021 in Afghanistan Krieg führten, können sie bald 26 Folgen der US-Sitcom „United States of Al“ für ihre Kinder speichern und ihnen zeigen: „So war das damals in Kabul und dann bei meinen weißen Rettern in der Vorstadt. Gut, dass es über uns eine authentische Serie gab.“

In die Provinz geholt

Awalmir ist 28, zog als Kind mit Mutter und Schwester nach Kabul und wurde mit 17 Jahren Übersetzer für die US-Streitkräfte. Sechs von acht Jahren Einsatz erlebte er unter Riley, einem Marine und Troop Leader. Dann zog Riley zurück in die Provinz Ohios zu Frau und Tochter und jobbte in der Baufirma seines verwitweten Vaters. Im Frühling 2021, nachdem Riley drei Jahre mit Anträgen kämpfte und Gefallen bei Ämtern einforderte, darf der von allen nur Al genannte Awalmir zu ihm ziehen.
"United States of Al" stammt aus Chuck Lorres Produktionsfirma. In Serien wie „Two and a Half Men“ und „The Big Bang Theory“ war zwar Platz für schrullige Figuren, doch meist als Futter für Sticheleien, Süffisanz und Wortgefechte, in denen Familien und Freundeskreise zeigen, wen sie verachten und wer in der Hackordnung unten stehen soll. "United States of Al" ist ebenso bieder gefilmt, seicht erzählt und reaktionär geplottet, doch deutlich wärmer.
Es gibt keine „gemeine“ Figur, keinen Frauenhasser, kein Ekelpaket. Wie schon bei Lorres aktuelleren Serien "Mom" (Suchtkranke finden Kraft in ihrer Selbsthilfegruppe) und "Bob Hearts Abishola" (ein Sockenfabrikant aus Detroit verliebt sich in eine Pflegerin und heiratet sie in Nigeria) sind Zusammenhalt, Verletzlichkeit, Loyalität manchmal wichtiger als eine billige Pointe.

Keine migrantische Community

In Kabul war Al Streitschlichter und Problemlöser; Riley war und bleibt sein größtes Projekt. Weil Riley trotz Stresssymptomen und körperlicher Ausfälle keine Hilfe sucht, liebt seine Frau jetzt einen soften, strickenden Kanadier. Riley und Al wohnen in Papas Garage, und auch Rileys Schwester Lizzie zog zurück ins Haus: Sie war mit einem Marine verheiratet, der starb. Die Ratschläge und ungefragten Verschlimmbesserungen von Al erinnern an Sitcom-Figuren wie ALF oder Fran Fine ("Die Nanny"): frischer Wind durch einen fordernden, aber motivierten und bunt-bereichernden Hausgast.

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Andere geflüchtete Menschen, Erfahrungsaustausch und Gemeinschaft sind Al fast unwichtig. Es gibt keine migrantische Community, die ihn auffängt oder politisiert. Die Nebenfigur Ariana wohnt Stunden entfernt, ihr Vater führt ein Lokal in Cleveland. Wenn sie in einer 60-Sekunden-Szene sagt: "Congratulations in selling out our country. How could you help a foreign invader?", soll sie verbohrt und weltfremd klingen. "Thank you for the history lesson you've learned from a book", kontert Al. "I was there. Our house was destroyed not once, not twice, but three times."
Unmöglich, diese Serie zu sehen, ohne in jeder Szene zu überlegen: "Stimmt das so? Weshalb sind diese Figuren so positioniert? Was soll und will das über das US-Militär und Afghanistan erzählen oder hinterfragen?"

Durchwachsene Einschaltquoten

Unerträglich ist Folge 3, als Al bei der Fahrprüfung erregt ist von den unbedeckten Schenkeln der Prüferin und später auch Lizzie bittet, sich daheim nicht freizügig zu kleiden. Auch, wie angewidert Al vor einem „unreinen“ zugelaufenen Hund flüchtet, wirkt ausgedacht und rassistisch. Tiefpunkt ist eine pseudo-muntere Episode, in der Riley als Zwangsvollstrecker Autos pfänden will, Al gern beim Durch-die-Nacht-Schleichen und Autoknacken hilft und an keiner Stelle an Polizeigewalt, Bürgerwehren, "Stand your Ground"-Gesetze erinnert wird: In 22 bisher ausgestrahlten Folgen wird Al selten rassifiziert, scheint sich vor nichts in den USA fürchten zu müssen.
Für Unterhaltung, die auf dem größten US-Sender CBS das größte Mainstreampublikum ansprechen muss, sind die Einschaltquoten durchwachsen: Eine dritte Staffel würde sich nur lohnen, falls CBS damit ein Statement setzen will.

 "United States of Al" läuft auf ProSieben, montags um 20.15 Uhr. Neue Episoden sind für 30 Tage gratis in der ProSieben-Mediathek abrufbar.

Beim Serienstart im April 2021 gab es fast nur Kritik: Hauptdarsteller Adhir Kalyan ist indischstämmig, kommt aus Südafrika und seine Versuche, sich einen afghanischen Akzent anzueignen, fanden keine Fans. Zwar zeigen warme, feinfühlige Szenen regelmäßig, dass Riley eine posttraumatische Belastungsstörung hat, dass Lizzie sich ihrer Trauer stellen muss, dass ihr Vater sich mehr öffnen sollte; auch Al hadert in einer einzigen Folge kurz mit seinen chronischen Panikattacken.
Doch der Sender Al Jazeera merkt dazu an: "Kriegstraumata durch eine Veteranenfigur wie Riley zu erzählen, das ist ein sehr gängiger Weg, die handfesten Wirklichkeiten bei Kriegen zu umgehen – und den Soldaten als das Opfer gleichzusetzen."

Realität kommt in Sitcom

Trotz allem aber wünsche ich "United States of Al" ein (kritisches) Publikum. Weil einzelne afghanische Autorinnen und Autoren der Serie in Essays und auf Instagram ihre Bekanntheit nutzen, um über den Krieg und ihre Familien zu informieren. Weil Nebendarsteller wie Fahim Anwar klarmachen: "Drei Afghanen in einer US-Sitcom. Hätte nie gedacht, dass ich das mal erlebe." Und besonders wegen Episode 14, dem Start der zweiten Staffel.
Eine Reportage im „Hollywood Reporter“ beschreibt detailliert, wie Autoren und Autorinnen der Serie im August 2021, als die Taliban Kabul einnahmen, mit eigenen Familienmitgliedern telefonierten, um ihre Ausreise kämpften und parallel an einer Episode schrieben, die das zum Thema macht.
Die daraus entstandene Folge "Promises/Wahada" hat kein Gelächter und fast keine Pointen. Sie beweist, wie existenziell, packend und zwingend diese Figuren und ihre quatschig-melancholische Vorstadtwelt erzählt werden kann und in jeder Folge erzählt werden müsste. Mehr davon. Dann hätte die Serie eine Existenzberechtigung.

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