Servicewüste Deutschland
Neulich auf dem Postamt – heißt es überhaupt noch Amt? Oder erledigen wir die Post jetzt im Kunden-Service-Center? Und der gute alte Schalterbeamte ist längst ein Customer Manager?
Alles falsch - nicht wir erledigen die Post - die Post erledigt uns, den Kunden. Häufig jedenfalls, von gelegentlichen Ausnahmen abgesehen. Doch halt: Was auch immer ich zum Thema Service in Deutschland jetzt sagen werde – es wird falsch sein. Und ungerecht, weil subjektiv. Aber so ist das Leben. Natürlich gibt es kein allgemein gültiges Urteil über die Qualität dessen, was wir Dienstleistung nennen, sondern allenfalls ein subjektives…
Wahrscheinlich liegt es sowieso nur an mir: Ich schaue zu erwartungsvoll. Oder zu ungeduldig. Oder beides. Oder genervt, das ist am wahrscheinlichsten. Weil ich einfach nicht verstehe, von welcher mentalen Beschaffenheit man sein muss, um eine Schlange von 25 Kunden warten zu sehen, während man mit einem Beleg in der Hand von einer Seite des Schalters zum anderen schlurft. Immerhin die Stimmung unter den Kollegen scheint super: Für ein kleines Schwätzchen reichts immer! Schön!
Einen Mangel an Hartnäckigkeit kann man der Christel von der Post jedenfalls nicht nachweisen. Wenn schon Service, dann richtig. Dieses Frühjahr fahndeten die Postler zum Beispiel nach der Zustelladresse von Adolf Hitler. Die an den Führer adressierte Postkarte landete schließlich im Reichstag, versehen mit der Bemerkung: "Sendung nachadressiert wegen unkorrekter Anschrift. Bitte Absender verständigen. Ihre Deutsche Post."
Vorgänge wie diese beweisen immer wieder: Dienstleistung IST ein Unterhaltungsgewerbe, und nicht umgekehrt.
Wenden wir uns der Gastronomie zu, in der sich – den großen Hotels sei Dank – inzwischen Einiges zum Positiven entwickelt hat. Ein Gebiet, auf dem ich persönlich besonders allergisch auf mässigen oder schlechten Service reagiere. Noch immer besteht hinreichend Gelegenheit, den eigenen Blutdruck durch eine Diskussion mit Kellnern anzufachen. Sofern Sie daran nicht übermässig Gefallen finden, sollten Sie aufkommende Diskussionen durch eine beherzte Geste beenden – Sie erinnern sich an das mit beiden Händen geformte T? – der Kellner ist für Sie da, und nicht umgekehrt.
Haben Sie davon gehört? Ein großes Kreditkartenunternehmen hat vor einigen Wochen seine Kunden in die Spur geschickt, um deutschlandweit gastronomische Einrichtungen zu bewerten. Ausschlag gebend dabei war die Service-Qualität. Und wie heisst der Preis? Halten Sie sich fest: Service-Oase-Deutschland. Gut gewählt – willkommen in der Service-Wüste. Unfreiwillige Komik ist eben häufig die treffendste!
Ökonomen haben mal versucht, die so genannte "Dienstleistungslücke" in Zahlen zu fassen. Demnach würden rund 3,5 Millionen zusätzliche Jobs hierzulande entstehen. wenn das Beschäftigungspotenzial vor allem im Niedriglohnbereich so gut ausgeschöpft würde wie zum Beispiel in den USA, dem Dienstleistungs-Musterland. Arbeitslosigkeit in Deutschland hätte sich damit erledigt - statistisch jedenfalls.
Aber die Deutschen haben keine Dienstleistungsmentalität – ich bleibe dabei. Eine starke industrielle Prägung, vertikale Arbeitsorganisationen, kollektive Lohnfindung, Achtstundentag und eine Ausbildung, die sich am Facharbeiterideal orientiert, vergleichsweise hohe Mindestlöhne, hohe Lohnnebenkosten und Sozialleistungen, die gerade Geringqualifizierte kaum zwingen, eine Arbeit anzunehmen.
All das passt nicht wirklich zusammen mit Dienerjobs – und nichts anderes sind Dienstleistungen nämlich.
Erschrecken Sie nicht bei dem Wort Dienen, das bekanntlich im Wort Dienst-Leistung steckt: als Diener braucht sich niemand schlecht zu fühlen. Es ist eine Tätigkeit, die unser Zusammenleben freundlicher und besser machen kann. Erinnern Sie sich an das letzte Mal, als Sie einen ausgesprochen aufmerksamen und freundlichen Service erlebt haben. Waren Sie davon nicht auch angenehm berührt? Und merken Sie, wie locker Ihnen da das Trinkgeld sitzt...?
Dass es einen Bedarf dafür gibt, sogar wenn's dann etwas teurer wird, beweist eine Erfahrung, die ein großer Mineralölkonzern gerade macht. Dort führt man Zug um Zug den Tankwart wieder ein. Und, gestützt durch eine repräsentative Umfrage, erklären 80 Prozent der Autofahrer, dass sie für's Tanken, Scheiben reinigen, Öl nachfüllen und Luft prüfen sogar bereit wären, etwas mehr zu bezahlen.
Schon eine eigenartige Entwicklung beim deutschen Autofahrervolk, das ansonsten bereit ist, für zwei Cent Preisersparnis einen Umweg von mehreren Kilometern in Kauf zu nehmen.
Deutschland, eine Servicewüste. Natürlich kennt jeder die Klage aus eigener Erfahrung: Schon mal im Kaufhaus einen Verkäufer aus seinem Versteck gelockt? Oder ein kurzes Beratungsgespräch über Beförderungstarife mit einem Schaffner der Deutschen Bahn? Oder, noch besser, Anruf beim Call–Center, und nach dem hingehauchten "Was kann ich für Sie tun?" Inkompetenz bis an den Rand des Wahns?!
Zugegeben, alles sehr sehr subjektiv. Aber wenn Sie ehrlich sind, vieles wird Ihnen doch sehr bekannt vorkommen. Es hilft nur ein Mentalitätswandel. Doch woher soll der kommen?
Den ersten Anstoß muss der Kunde liefern. Ist er zufrieden, so ist es geradezu seine Pflicht, dafür auch zu loben und zu belohnen. Ist ist er es nicht – egal wo! – dann nehmen Sie einfach wörtlich, was uns seit Wochen durch eine breite öffentlichkeitswirksame Kampagne eingebleut wird: Du bist König! … möchte man dem Verbraucher zurufen, selbst wenn er nur Kunde heißt.
Harald Prokosch, Jg. 1959, Redakteur und Fernsehmoderator mit Stationen Stuttgarter Zeitung, Süddeutscher Rundfunk, SAT 1, n-tv, Hauptabteilungsleiter Regionales SFB, jetzt Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Siemens Deutschland, Berlin.
Wahrscheinlich liegt es sowieso nur an mir: Ich schaue zu erwartungsvoll. Oder zu ungeduldig. Oder beides. Oder genervt, das ist am wahrscheinlichsten. Weil ich einfach nicht verstehe, von welcher mentalen Beschaffenheit man sein muss, um eine Schlange von 25 Kunden warten zu sehen, während man mit einem Beleg in der Hand von einer Seite des Schalters zum anderen schlurft. Immerhin die Stimmung unter den Kollegen scheint super: Für ein kleines Schwätzchen reichts immer! Schön!
Einen Mangel an Hartnäckigkeit kann man der Christel von der Post jedenfalls nicht nachweisen. Wenn schon Service, dann richtig. Dieses Frühjahr fahndeten die Postler zum Beispiel nach der Zustelladresse von Adolf Hitler. Die an den Führer adressierte Postkarte landete schließlich im Reichstag, versehen mit der Bemerkung: "Sendung nachadressiert wegen unkorrekter Anschrift. Bitte Absender verständigen. Ihre Deutsche Post."
Vorgänge wie diese beweisen immer wieder: Dienstleistung IST ein Unterhaltungsgewerbe, und nicht umgekehrt.
Wenden wir uns der Gastronomie zu, in der sich – den großen Hotels sei Dank – inzwischen Einiges zum Positiven entwickelt hat. Ein Gebiet, auf dem ich persönlich besonders allergisch auf mässigen oder schlechten Service reagiere. Noch immer besteht hinreichend Gelegenheit, den eigenen Blutdruck durch eine Diskussion mit Kellnern anzufachen. Sofern Sie daran nicht übermässig Gefallen finden, sollten Sie aufkommende Diskussionen durch eine beherzte Geste beenden – Sie erinnern sich an das mit beiden Händen geformte T? – der Kellner ist für Sie da, und nicht umgekehrt.
Haben Sie davon gehört? Ein großes Kreditkartenunternehmen hat vor einigen Wochen seine Kunden in die Spur geschickt, um deutschlandweit gastronomische Einrichtungen zu bewerten. Ausschlag gebend dabei war die Service-Qualität. Und wie heisst der Preis? Halten Sie sich fest: Service-Oase-Deutschland. Gut gewählt – willkommen in der Service-Wüste. Unfreiwillige Komik ist eben häufig die treffendste!
Ökonomen haben mal versucht, die so genannte "Dienstleistungslücke" in Zahlen zu fassen. Demnach würden rund 3,5 Millionen zusätzliche Jobs hierzulande entstehen. wenn das Beschäftigungspotenzial vor allem im Niedriglohnbereich so gut ausgeschöpft würde wie zum Beispiel in den USA, dem Dienstleistungs-Musterland. Arbeitslosigkeit in Deutschland hätte sich damit erledigt - statistisch jedenfalls.
Aber die Deutschen haben keine Dienstleistungsmentalität – ich bleibe dabei. Eine starke industrielle Prägung, vertikale Arbeitsorganisationen, kollektive Lohnfindung, Achtstundentag und eine Ausbildung, die sich am Facharbeiterideal orientiert, vergleichsweise hohe Mindestlöhne, hohe Lohnnebenkosten und Sozialleistungen, die gerade Geringqualifizierte kaum zwingen, eine Arbeit anzunehmen.
All das passt nicht wirklich zusammen mit Dienerjobs – und nichts anderes sind Dienstleistungen nämlich.
Erschrecken Sie nicht bei dem Wort Dienen, das bekanntlich im Wort Dienst-Leistung steckt: als Diener braucht sich niemand schlecht zu fühlen. Es ist eine Tätigkeit, die unser Zusammenleben freundlicher und besser machen kann. Erinnern Sie sich an das letzte Mal, als Sie einen ausgesprochen aufmerksamen und freundlichen Service erlebt haben. Waren Sie davon nicht auch angenehm berührt? Und merken Sie, wie locker Ihnen da das Trinkgeld sitzt...?
Dass es einen Bedarf dafür gibt, sogar wenn's dann etwas teurer wird, beweist eine Erfahrung, die ein großer Mineralölkonzern gerade macht. Dort führt man Zug um Zug den Tankwart wieder ein. Und, gestützt durch eine repräsentative Umfrage, erklären 80 Prozent der Autofahrer, dass sie für's Tanken, Scheiben reinigen, Öl nachfüllen und Luft prüfen sogar bereit wären, etwas mehr zu bezahlen.
Schon eine eigenartige Entwicklung beim deutschen Autofahrervolk, das ansonsten bereit ist, für zwei Cent Preisersparnis einen Umweg von mehreren Kilometern in Kauf zu nehmen.
Deutschland, eine Servicewüste. Natürlich kennt jeder die Klage aus eigener Erfahrung: Schon mal im Kaufhaus einen Verkäufer aus seinem Versteck gelockt? Oder ein kurzes Beratungsgespräch über Beförderungstarife mit einem Schaffner der Deutschen Bahn? Oder, noch besser, Anruf beim Call–Center, und nach dem hingehauchten "Was kann ich für Sie tun?" Inkompetenz bis an den Rand des Wahns?!
Zugegeben, alles sehr sehr subjektiv. Aber wenn Sie ehrlich sind, vieles wird Ihnen doch sehr bekannt vorkommen. Es hilft nur ein Mentalitätswandel. Doch woher soll der kommen?
Den ersten Anstoß muss der Kunde liefern. Ist er zufrieden, so ist es geradezu seine Pflicht, dafür auch zu loben und zu belohnen. Ist ist er es nicht – egal wo! – dann nehmen Sie einfach wörtlich, was uns seit Wochen durch eine breite öffentlichkeitswirksame Kampagne eingebleut wird: Du bist König! … möchte man dem Verbraucher zurufen, selbst wenn er nur Kunde heißt.
Harald Prokosch, Jg. 1959, Redakteur und Fernsehmoderator mit Stationen Stuttgarter Zeitung, Süddeutscher Rundfunk, SAT 1, n-tv, Hauptabteilungsleiter Regionales SFB, jetzt Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Siemens Deutschland, Berlin.