Servicewüste wegen Überarbeitung

Stärkt den öffentlichen Dienst!

04:06 Minuten
Illustration eines überforderten Büroangestellten, der aus dem Labyrinth seines Aktenschrankes kaum herausfindet.
Stress im Büro: Wenn der Mitarbeiter vergisst, es mit Menschen zu tun zu haben, sendet dies ein fatales Signal an die Bürger, sagt Susanne Gaschke. © imago/Ikon Images/Daniel Haskett
Ein Vorschlag von Susanne Gaschke |
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Nicht einmal 50 Prozent der Wahlberechtigten haben bei der letzten Europawahl ihre Stimme abgegeben. Was tun gegen diese Verdrossenheit? Der Staat sollte die staatlichen Dienstleistungen verbessern, meint die Publizistin Susanne Gaschke.
Der Bundeskanzler und langjährige "Zeit"-Herausgeber Helmut Schmidt konnte sich großartig in Rage reden, wenn er davon erzählte, wie absurd viele einzelne Bauvorschriften er einzuhalten hatte, als er die Tür seines Ferienhauses mit einem einfachen Regenvordach versehen wollte. Wir Deutsche neigen allgemein dazu, unsere Bürokratie, unser Beamtenwesen, unsere Besessenheit von Grenzwerten und unsere allgemeine Pingeligkeit zu verachten.

Der organisierte Staat funktioniert - noch

Aber tief in unserem Inneren wissen wir schon ganz gut, was wir an unserem durchschaubar organisierten Staat mit seinen ganz überwiegend loyalen Dienern haben.
Es ist praktisch nicht vorstellbar, einem deutschen Polizisten, der einen wegen einer Geschwindigkeitsübertretung stoppt, einen 50-Euro-Schein anzubieten. Und bei der Vergabe von kommunalen Aufträgen oder von städtischem Bauland mag es zwar den einen oder anderen unzulässigen Deal geben, aber es gibt eben auch Rechnungshöfe, die streng über die öffentlichen Bilanzen wachen. Die Meldepflicht funktioniert bei uns, Klagen sind überwiegend zustellbar, Autofahrer in der Regel versichert.
Der Staat ist für uns Steuerbürger da, und was er uns an Mitwirkung zum Funktionieren des Gemeinwesens abverlangt, ist meistens sowohl einzusehen als auch zu bewältigen.

Das Vertrauen der Bürger steht auf dem Spiel

Jedenfalls bisher. Umso hellhöriger sollten wir - und vor allem unsere politischen Verantwortlichen - allerdings werden, wenn es in der öffentlichen Verwaltung zu knirschen anfängt. Wenn in den Metropolen wie Berlin viele Bezirksämter so überlastet sind, dass man monatelang auf notwendige Termine warten muss: Sei es, um sich umzumelden, einen neuen Pass oder Anwohner-Parkausweis zu beantragen oder um zu heiraten.
Wir sollten aufpassen, wenn der Ton auf den Ämtern rauer wird. Wenn gestresste und zu schlecht bezahlte Angestellte der Jobcenter vergessen, dass sie es mit Mitbürgern und nicht mit Bittstellern zu tun haben. Es ist fatal, wenn privatisierte Hausmeister- und Reinigungsdienste die Schulen nicht mehr vernünftig instand halten oder privatisierte Gartenbaubetriebe der Verwüstung der öffentlichen Parks nicht mehr Herr werden. Die Privatisierung vieler staatlicher Aufgaben war ein gewaltiger Fehler, die Unterbesetzung vieler Dienststellen ist ein weiterer.
Und es ist geradezu eine Katastrophe, wenn es, wie zuletzt bei der Landtagswahl in Hessen, tatsächlich so weit kommt, dass ein in Deutschland ausgezähltes Wahlergebnis nicht mehr nachvollziehbar ist. Oder wenn nur der Verdacht aufkommt, dass Polizisten an Straftaten beteiligt sein könnten, wie jüngst im Missbrauchsfall in Lügde. Bürgervertrauen wird auf diese Weise gefährlich untergraben.

Das Rückgrat der Demokratie

Es ist darüber hinaus ein Irrweg, wenn die Deutsche Bahn nach Gewinn und nicht nach Nützlichkeit für ihre Fahrgäste strebt. Wenn im Wirrwarr der Zustellfirmen nicht mehr 100-prozentig sicher gestellt ist, dass Post tatsächlich ihren Bestimmungsort erreicht.
Es war auch ein großer Fehler der neoliberalen rotgrünen Regierungsjahre, die Bevölkerung zu Kunden ihres Staates zu degradieren. Wir sind keine Kunden, wir sind Bürger, die Steuern zahlen. Die meisten öffentlichen Dienstleistungen sind für uns alternativlos: Es gibt keinen freien Markt für Baugenehmigungen oder Personalausweise, und es darf ihn auch niemals geben.
Ein effizienter und freundlicher öffentlicher Dienst ist das Rückgrat unseres Gemeinwesens, auch unserer erfolgreichen mittelständischen Wirtschaft. Es wäre keineswegs spießig, darauf ein bisschen stolz zu sein. Das Vertrauen in Politik, der innere Frieden und sogar die Demokratie hängen weit stärker davon ab, als es den politisch Verantwortlichen bewusst zu sein scheint.

Susanne Gaschke ist Autorin der "Welt am Sonntag". Zuvor war sie Reporterin und Leitartiklerin bei der Hamburger Wochenzeitung 'Die Zeit' und bei der 'Frankfurter Allgemeine Zeitung'. Besondere Beachtung fand Susanne Gaschke mit ihrem Buch "Erziehungskatastrophe. Kinder brauchen starke Eltern". Zuletzt erschien ihr Buch "SPD. Eine Partei zwischen Burnout und Euphorie." Sie ist Mitglied der SPD. Webpräsenz unter susannegaschke.de.

© dpa/Ingo Wagner
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