Seufzen, Stöhnen und Juchzen
"Höre auf den Ton und singe einen anderen." So lautet bei manchen Stücken der Meißner Kantorei das oberste Prinzip. Der Chor aus Dresden ist ein traditionsreicher, musikalisch verschreibt er sich aber dem Zeitgenössischen - mit hohem Anspruch.
38 Sängerinnen und Sänger sitzen im Halbkreis in einem lichtdurchfluteten, fast vollständig verglasten Raum. Konzentriert lauschen sie ihrem Chorleiter, der in regelmäßigen Abständen auf den Konzertflügel klopft. Rhythmusübung für das neue Werk von Reiko Füting, eines zeitgenössischen Komponisten, mit dem Titel "...als ein Licht". Christian Brödel:
"Ich persönlich komme überhaupt nicht von der neuen Musik her. Ich hab früher Bach und Schütz als die Leitsterne meines musikalischen Lebens angesehen. Ich bin dazu gekommen, weil ich unter meinem Vorgänger mitgesungen habe in diesem Chor und habe dort gelernt, dass die Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik, eine Auseinandersetzung mit dem Leben und mit der Bewältigung des Lebens insgesamt sein kann.
Und es ist schon was Tolles, wenn man Musik, die noch nie erklungen ist, zum Leben erwecken kann und wenn man gespannt sein kann, was sich daraus ergibt, völlig neue Klangeindrücke bekommt und sie dann auch mit seiner Person, das gilt nicht nur für mich als Dirigenten, sondern für jeden einzelnen Sänger, mit seiner Person füllen und formen kann."
Christfried Brödel ist Professor für Chorleitung an der Hochschule für Kirchenmusik in Dresden und deren Rektor. Seit 1981 leitet der 64-Jährige die Meißner Kantorei. In der DDR war sie der einzige Chor, der die Kirchenmusik zeitgenössischer Komponisten aufführte:
"Sie war einer der wenigen Orte, wo junge Menschen einerseits sich um zeitgenössische Musik bemüht haben, um zeitgenössische Kirchenmusik, die aber nicht der offiziellen kulturellen Zensur unterlag, also ganz frei, und sie fanden dort auch einen nicht ideologisch vorgeprägten Raum, also dort konnte man miteinander offen reden und das ist für viele sehr wichtig gewesen. Und sie haben dort nicht nur eine musikalische, sondern auch eine geistige und vielleicht gar geistliche Heimat gefunden."
Schon lange ist kein Gründungsmitglied mehr in der Meißner Kantorei. Aber zum Teil ihre erwachsenen Kinder. Das Durchschnittsalter der Sänger und Sängerinnen liegt heute so um die 40.
Imke Wassmann, Briefträgerin und leidenschaftliche Hobby-Musikerin, reist extra aus Hamburg an, um an den Probenwochenenden in Dresden teilzunehmen. Andere kommen aus Berlin, Niedersachsen und Brandenburg. Unterkunft finden sie bei anderen Chormitgliedern im Dresdner Raum. Gemeinschaft wird groß geschrieben in der Meißner Kantorei, man hilft sich, wo man kann. Auch wenn sie keine Profi-Musiker sind: Intensive musikalische Vorbildung haben sie alle. Sonst könnten sie auch solche anspruchsvollen Werke nicht singen, sagt Imke Wassmann:
"Es sind natürlich sehr ungewöhnliche Dinge, die man teilweise tun muss, und man muss sich dafür auch überwinden und dann gibt es auch die Momente, dass man so krause Harmonien singt den ganzen Tag, dass man, wenn man dann nach Hause fährt und einen Kanon singen will, überhaupt nicht mehr weiß, wie 'ne ganz normale Terz geht, das ist schon sehr witzig. Man muss sich schon dran gewöhnen. Manchmal muss man seufzen und stöhnen und juchzen, was in den Proben immer zu riesiger Heiterkeit führt und hinterher einen Wahnsinnseffekt hat, wenn's dann aufgeführt wird. Es ist nicht das normale Benutzen der Stimme, es ist was anderes."
Fünf bis zehn Konzerte singt die Meißner Kantorei jährlich mit wechselnden Programmen. Oft war der Chor zu Gast bei Kirchenmusikfesten, Tagen für Neue Musik im In- und Ausland.
"Wenn wir A Capella-Konzerte machen, dann sind ein paar Stücke dazwischen, ein Schütz oder ein Schein oder Palestrina, alte Musik, das ist dann immer gemischt mit modernen A Capella-Stücken, eine ganz tolle Kombination."
In ihrem Konzert zum Dresdner Kirchentag Anfang Juni hat die Meißner Kantorei gleich drei Uraufführungen im Programm: Werke von Hans Peter Türk, Reiko Füting und Jörg Herchet.
Herchet hat dem Ensemble bereits einige Werke zur Uraufführung gegeben, musikalisch äußerst fordernde Stücke. So auch seine jüngste Kantate zum Erntedankfest. Bei der Meißner Kantorei fühlt er sich in guten Händen. Im Gegensatz zur traditionellen Chormusik geht es ihm nicht um harmonischen Gleichklang, sondern um individuelle Klanggestaltung:
"Sich einzustellen auf Klänge, Geräusche, auf Clustersingen, wo keine genauen Tonhöhen angegeben sind, wo aber das oberste Prinzip ist: Höre auf den Ton, den dein Nachbar singt, und singe einen anderen."
Das stellt für alle Beteiligten immer wieder eine besondere Herausforderung dar, macht aber - da sind sich alle einig – auch den besonderen Reiz dieser Chorarbeit aus.
Zur Website der Meißner Kantorei in Dresden
Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.
"Ich persönlich komme überhaupt nicht von der neuen Musik her. Ich hab früher Bach und Schütz als die Leitsterne meines musikalischen Lebens angesehen. Ich bin dazu gekommen, weil ich unter meinem Vorgänger mitgesungen habe in diesem Chor und habe dort gelernt, dass die Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik, eine Auseinandersetzung mit dem Leben und mit der Bewältigung des Lebens insgesamt sein kann.
Und es ist schon was Tolles, wenn man Musik, die noch nie erklungen ist, zum Leben erwecken kann und wenn man gespannt sein kann, was sich daraus ergibt, völlig neue Klangeindrücke bekommt und sie dann auch mit seiner Person, das gilt nicht nur für mich als Dirigenten, sondern für jeden einzelnen Sänger, mit seiner Person füllen und formen kann."
Christfried Brödel ist Professor für Chorleitung an der Hochschule für Kirchenmusik in Dresden und deren Rektor. Seit 1981 leitet der 64-Jährige die Meißner Kantorei. In der DDR war sie der einzige Chor, der die Kirchenmusik zeitgenössischer Komponisten aufführte:
"Sie war einer der wenigen Orte, wo junge Menschen einerseits sich um zeitgenössische Musik bemüht haben, um zeitgenössische Kirchenmusik, die aber nicht der offiziellen kulturellen Zensur unterlag, also ganz frei, und sie fanden dort auch einen nicht ideologisch vorgeprägten Raum, also dort konnte man miteinander offen reden und das ist für viele sehr wichtig gewesen. Und sie haben dort nicht nur eine musikalische, sondern auch eine geistige und vielleicht gar geistliche Heimat gefunden."
Schon lange ist kein Gründungsmitglied mehr in der Meißner Kantorei. Aber zum Teil ihre erwachsenen Kinder. Das Durchschnittsalter der Sänger und Sängerinnen liegt heute so um die 40.
Imke Wassmann, Briefträgerin und leidenschaftliche Hobby-Musikerin, reist extra aus Hamburg an, um an den Probenwochenenden in Dresden teilzunehmen. Andere kommen aus Berlin, Niedersachsen und Brandenburg. Unterkunft finden sie bei anderen Chormitgliedern im Dresdner Raum. Gemeinschaft wird groß geschrieben in der Meißner Kantorei, man hilft sich, wo man kann. Auch wenn sie keine Profi-Musiker sind: Intensive musikalische Vorbildung haben sie alle. Sonst könnten sie auch solche anspruchsvollen Werke nicht singen, sagt Imke Wassmann:
"Es sind natürlich sehr ungewöhnliche Dinge, die man teilweise tun muss, und man muss sich dafür auch überwinden und dann gibt es auch die Momente, dass man so krause Harmonien singt den ganzen Tag, dass man, wenn man dann nach Hause fährt und einen Kanon singen will, überhaupt nicht mehr weiß, wie 'ne ganz normale Terz geht, das ist schon sehr witzig. Man muss sich schon dran gewöhnen. Manchmal muss man seufzen und stöhnen und juchzen, was in den Proben immer zu riesiger Heiterkeit führt und hinterher einen Wahnsinnseffekt hat, wenn's dann aufgeführt wird. Es ist nicht das normale Benutzen der Stimme, es ist was anderes."
Fünf bis zehn Konzerte singt die Meißner Kantorei jährlich mit wechselnden Programmen. Oft war der Chor zu Gast bei Kirchenmusikfesten, Tagen für Neue Musik im In- und Ausland.
"Wenn wir A Capella-Konzerte machen, dann sind ein paar Stücke dazwischen, ein Schütz oder ein Schein oder Palestrina, alte Musik, das ist dann immer gemischt mit modernen A Capella-Stücken, eine ganz tolle Kombination."
In ihrem Konzert zum Dresdner Kirchentag Anfang Juni hat die Meißner Kantorei gleich drei Uraufführungen im Programm: Werke von Hans Peter Türk, Reiko Füting und Jörg Herchet.
Herchet hat dem Ensemble bereits einige Werke zur Uraufführung gegeben, musikalisch äußerst fordernde Stücke. So auch seine jüngste Kantate zum Erntedankfest. Bei der Meißner Kantorei fühlt er sich in guten Händen. Im Gegensatz zur traditionellen Chormusik geht es ihm nicht um harmonischen Gleichklang, sondern um individuelle Klanggestaltung:
"Sich einzustellen auf Klänge, Geräusche, auf Clustersingen, wo keine genauen Tonhöhen angegeben sind, wo aber das oberste Prinzip ist: Höre auf den Ton, den dein Nachbar singt, und singe einen anderen."
Das stellt für alle Beteiligten immer wieder eine besondere Herausforderung dar, macht aber - da sind sich alle einig – auch den besonderen Reiz dieser Chorarbeit aus.
Zur Website der Meißner Kantorei in Dresden
Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.